Udo Schnelle

Theologie des Neuen Testaments


Скачать книгу

in seiner Macht, sondern in seinem verborgenen Wirken.

      F.HAHN, Christologische Hoheitstitel (s.u. 4), 133–225.466–472; G.VERMES, Jesus der Jude (s.o. 3), 115–143; F. HAHN, Art. Χριστός, EWNT 3 (1983) 1148–1153; M.KARRER, Der Gesalbte. Die Grundlagen des Christustitels, FRLANT 151, Göttingen 1990; D.ZELLER, Art. Messias/Christus, NBL III (1995), 782–786; M.HENGEL, Jesus der Messias Israels, in: ders./A.M. Schwemer, Der messianische Anspruch Jesu und die Anfänge der Christologie, WUNT 138, Tübingen 2001, 1–80; J.FREY, Der historische Jesus und der Christus der Evangelien, in: J.Schröter/R.Brucker (Hg.), Der historische Jesus, BZNW 114, Berlin 2002, 273–336.

      Von den 531 Belegen für Χριστός („Christus“) bzw. Ἰησοῦς Χριστός („Jesus Christus“) finden sich allein 270 bei Paulus. Bedeutsam ist, dass Χριστός an den ältesten Bekenntnistraditionen (vgl. 1Kor 15,3b–5; 2Kor 5,15) haftet, und sich damit Aussagen über Tod und Auferstehung Jesu verbinden, die das gesamte Heilsgeschehen umfassen. Bei Paulus ist Ἰησοῦς Χριστός ein Titelname. Der Apostel weiß, dass Χριστός ursprünglich ein Appellativ und Ἰησοῦς das eigentliche nomen proprium ist, denn er spricht nie von einem ϰύριος Χριστός. Χριστός ist somit in der Verbindung mit Ἰησοῦς als Cognomen aufzufassen, bei dem die titulare Bedeutung durchaus mitschwingen kann. Zugleich verschmilzt der Titel so mit der Person Jesu und ihrem spezifischen Geschick, dass er bald zum Beinamen zu Jesus wird und die Christen danach benannt werden (Apg 11,26).

      Ausgangspunkt und Voraussetzung der Entwicklung messianischer Vorstellungen sind im Alten Testament Königssalbung und Dynastiezusage (vgl. 1Sam 2,4a; 5,3; 1Kön 1,32–40; 11; 2Sam 7; Ps 89; 132)289. Daraus bildeten sich vielschichtige Traditionen im antiken Judentum, speziell um die Zeitenwende herum besaßen die messianischen Hoffnungen eine vielfältige Gestalt290. Die Vorstellung von einem politisch-königlichen Messias (vgl. PsSal 17; 18; syrBar 72,2), der die Heiden aus dem Land treiben und Gerechtigkeit wiederherstellen soll, findet sich ebenso wie prophetisch (vgl. CD 2,12; 11Q Melch) und priesterlich-königlich geprägte Anschauungen (vgl. 1QS 9,9–11; 1QSa 2,11ff; CD 12,23; 14,19; 19,10f; 20,1). Von der großen Variationsmöglichkeit und Vernetzungskraft jüdischer Eschatologie zeugen auch die Verbindung von Menschensohn- und Messiasvorstellungen (vgl. äthHen 48,10; 52,4; 4Esr 12,32; 13) und messianische Gestalten, die ohne den Messias-Begriff auftraten (messianische Propheten)291.

      Χριστός ist Bestandteil der ältesten ntl. Überlieferungen, ob Jesus selbst den Χριστός-Titel für sich in Anspruch nahm oder zumindest bewusst messianische Erwartungen auslöste, muss eine Analyse der synoptischen Tradition klären. Der Befund ist überraschend schmal und vieldeutig. Bei Markus finden sich 7 Belege, Matthäus ist bei seinen 18 Belegen im Wesentlichen von Markus abhängig und im lukanischen Doppelwerk verbindet sich vor allem durch die Aufnahme von Jes 61,1f eine ausgeprägte Geistchristologie mit Χριστός (s.u. 8.4.2/8.4.3). Schlüsselstellen sind Mk 8,29 („Petrus antwortet ihm: Du bist der Christus!“) und Mk 14,61f („Da fragte ihn der Hohepriester noch einmal, und er sagte zu ihm: Bist du der Christus, der Sohn des Hochgelobten? Da sprach Jesus: Ich bin es …“). Beide Texte sind vollständig in die markinische Christologie eingebunden und geben kaum exakt historisches Geschehen wieder.

      Dennoch spricht viel dafür, dass Jesus durch seine Verkündigung und sein Verhalten messianische Erwartungen ausgelöst hat. Mk 8,27–30 könnten belegen, dass an Jesus politisch-messianische Erwartungen herangetragen wurden. Die messianischen Ovationen beim Einzug in Jerusalem (vgl. Mk 11,8–10), die Tempelreinigung und vor allem die Kreuzesinschrift (s.u. 3.10.2) legen darüber hinaus die Annahme nahe, dass Jesus bewusst messianische Erwartungen schürte. Die Kreuzesinschrift ὁ βασιλεῦς τῶν Ἰουδαίων („Der König der Juden“) dürfte weder von Juden noch Christen stammen und belegen, dass die Römer Jesus von Nazareth als Messiasprätendent hinrichteten292. Dann muss die Frage nach Jesu Königtum/Messianität im Prozess eine entscheidende Rolle gespielt haben293, ohne dass entscheidbar ist, ob Jesus aktiv den Messiastitel für sich beanspruchte. Auch die schnelle und umfassende Ausbreitung von Χριστός in den ältesten nachösterlichen Traditionen lässt sich am besten verstehen, wenn eine Verbindung mit dem Wirken und Geschick Jesu besteht.

      Wie auch immer einzelne Texte beurteilt werden, der Gesamtbefund lässt nur einen historischen Schluss zu: Das Leben Jesu war nicht unmessianisch!294 Jesu Selbstanspruch, Repräsentant des gegenwärtigen und kommenden Gottesreiches zu sein, seine Freiheit gegenüber der Tora, seine souveränen Jüngerberufungen, seine Gewissheit, die entscheidende Gestalt in Gottes Gerichtshandeln und der gegenwärtige sowie kommende, von Gott inthronisierte Menschensohn zu sein, lassen nur den Schluss zu, dass Jesus einen ungeheuren Anspruch für seine Person erhoben hat, der von keinem Juden vor und nach ihm so gestellt wurde.

      Zugleich aber fällt auf, dass sich dieser Anspruch auch in einer merkwürdig verhüllten Weise zeigt: Er äußert sich nicht in vorgegebenen, dogmatisch klaren Kategorien, sondern in zuweilen fast paradoxen Erzählungen und Worten. Jesus vermittelt Erfahrungen des Gottesreiches, aber er verweigert sich jeder Zeichenforderung und jedem direkten Autoritätsbeweis. Er verlangt für seine Botschaft höchste Verbindlichkeit und bindet Heil und Unheil an seine Person, zugleich verfremdet und überbietet er sämtliche bekannten Spielarten messianischer Autorität. Entscheidend ist nicht ein Wissen über Jesus, sondern die Konfrontation mit ihm und seiner Botschaft, sich ganz auf die neue Wirklichkeit Gottes einzulassen.

      J.BLINZLER, Der Prozeß Jesu, Regensburg 41969; P.WINTER, On the Trial of Jesus, SJ 1, Berlin 1961; A.N. SHERWIN-WHITE, Roman Society and Roman Law in the New Testament, Oxford 1963; D.DORMEYER, Die Passion Jesu als Verhaltensmodell, NTA 11, Münster 1974; A.STROBEL, Die Stunde der Wahrheit, WUNT 21, Tübingen 1980; M.LIMBECK (Hg.), Redaktion und Theologie des Passionsberichtes nach den Synoptikern, Darmstadt 1981; O.BETZ, Probleme des Prozesses Jesu, ANRW.II 25.1, Berlin 1982, 565–647; K.KERTELGE (Hg.), Der Prozeß gegen Jesus. Historische Rückfrage und theologische Deutung, QD 112, Freiburg 1988; R.E. BROWN, The Death of the Messiah I.II, New York 1993/94; W.REINBOLD, Der älteste Bericht über den Tod Jesu, BZNW 69, Berlin 1994; N.T. WRIGHT, Jesus (s.o. 3), 540–611; P.EGGER, Crucifixus sub Pontio Pilato, NTA 32, Münster 1997; W.BÖSEN, Der letzte Tag des Jesus von Nazareth, Freiburg 1999; U. LUZ, Warum zog Jesus nach Jerusalem?, in: J. Schröter/R. Brucker (Hg.), Der historische Jesus, BZNW 114, Berlin 2002, 409–427; J.D.G. DUNN, Jesus Remembered (s.o. 3), 765–824; G.VERMES, Die Passion, Darmstadt 2005; W.REINBOLD, Der Prozess Jesu, Göttingen 2006.

      Am Ende seiner öffentlichen Wirksamkeit zog Jesus mit seinen Jüngern und weiteren Begleitern im Jahr 30 zum Passafest nach Jerusalem295. Er tat dies in Kontinuität zu seiner bisherigen Reich-Gottes-Verkündigung und zweifellos nicht ohne Absicht296, denn sowohl seine bisherige spektakuläre Wirksamkeit in Galiläa als auch der Einzug in Jerusalem (Mk 11,1–11par) lassen eine Zuspitzung der Ereignisse erwarten.

      Zwar kann man am Ende des Wirkens Jesu von einer Zuspitzung seines Konfliktes mit jüdischen Autoritäten sprechen, was zugleich aber auch den Höhepunkt und das Ende bereits lang andauernder Auseinandersetzungen darstellte. Die Evangelien lassen keinen Zweifel daran, dass Jesu öffentliches Auftreten von Anfang an mit Kontroversen verbunden war297. Als charismatische religiöse Gestalt wirkte Jesus von Nazareth vor allem als Heiler, Exorzist (s.o. 3.6) und Lehrer. Nach Mk 1,22 lehrte er mit ‚Vollmacht‘ und nicht wie die Schriftgelehrten. Als Lehrer trat Jesus in zweifacher, sich ergänzender und durchdringender Weise auf298: 1) als eschatologischer Weisheitslehrer (s.o. 3.4/3.5) und 2) als vollmächtiger Ausleger der Tora (s.o. 3.8)299. Speziell mit den Pharisäern und Schriftgelehrten kam es wiederholt zu Auseinandersetzungen über