dann in das Blickfeld der Alten Geschichte, wenn es Berührungen durch politische Ereignisse oder kulturellen Austausch gab, und oft heißt dieses: wenn sie Teil der griechisch-römischen Zivilisation wurden. So werden mit dem Siegeszug Alexanders des Großen nicht nur ein Großteil Asiens, sondern auch das kulturell und sprachlich so eigenständige Ägypten Gegenstand des Fachs. Ähnliches gilt für den Westen Europas, für Spanien und Frankreich, die britischen Inseln, die Alpenländer oder die westlichen und südlichen Gebiete des heutigen Deutschland: Erst mit der Ankunft der römischen Soldaten treten sie ins hellere Licht der Ereignisse, wo sie die einsetzende römische Überlieferung zu einem Bestandteil der Alten Geschichte macht. Die Alte Geschichte beginnt –und endet – in den verschiedenen geographischen Räumen zu höchst unterschiedlichen Zeiten.
Aus der Bindung des Fachs Alte Geschichte an Zeit und Raum resultiert, dass sie ein regional gebundener Epochenbegriff ist, und zwar der okzidentalen Geschichte. ,Alte Geschichte‘ ist kein Strukturbegriff, etwa in Form eines definierten ,alten‘ Entwicklungsabschnitts der Geschichte einer jeden Kultur. Derartige Ansätze ermöglichen zwar anregende Kulturvergleiche, doch werden diese von den Althistorikern im Allgemeinen nicht mehr vorgenommen: Gegenüber den dabei zumindest als Arbeitshypothese mitschwingenden Kulturstufenvorstellungen herrscht derzeit ebenso eine Grundskepsis vor, wie hinsichtlich der Entwicklung umfassender geschichtsphilosophischer Modelle.
Die Alte Geschichte beschäftigt sich also mit einer ganz konkreten Antike. Zwar befasst sie sich dabei – gemessen an dem Umfang der von ihr behandelten Zeit von deutlich über 1000 Jahren und ebenso der Größe des von ihr untersuchten Raumes – mit sehr heterogenen Dingen, doch aus größerer Distanz zeigt die griechisch-römische Zivilisation viele Gemeinsamkeiten. Eine andere Gefahr einer so definierten Alten Geschichte innerhalb des weit verbreiteten Drei-Perioden-Schemas aus Altertum, MittelalterMittelalter und NeuzeitNeuzeit ist eher, dass ihr Einsetzen im 8.Jahrhundert v. Chr. als Nullpunkt einer jetzt kontinuierlich aufstrebenden okzidentalen KulturgeschichteKulturgeschichte wahrgenommen wird, wenn nicht als Anfang der Geschichte überhaupt. Doch auch die abendländische Geschichte begann nicht voraussetzungslos, sondern sie ist durch unzählige Elemente aus den frühen Hochkulturen des Orients geprägt.
1.3 Der ,Sinn‘ der Alten Geschichte
Die Frage nach der Legitimation der Alten Geschichte stellen sich nicht nur die in der Alten Geschichte Forschenden regelmäßig zur Selbstvergewisserung, sondern in einer konsequent Kosten und Nutzen kalkulierenden Gesellschaft wird sie regelmäßig auch von außen an die Wissenschaft herangetragen. Innerhalb des Fachs fallen die Antworten unterschiedlich aus, doch geben sie dabei in ihren Akzentuierungen einen Einblick in den Pluralismus der Forschungen und in Denktraditionen.
1.3.1 Alte Geschichte als Teil der Geschichte
Zum einen ist die Alte Geschichte ein integraler Teil des Fachs Geschichte und sie ist von dieser im Hinblick auf die Notwendigkeiten einer Beschäftigung mit Geschichte nicht zu trennen. Die Verzahnung zeigt sich bei der Verfolgung der Traditionen und Entwicklungslinien, da ohne Kenntnis der Antike vieles aus dem MittelalterMittelalter, der NeuzeitNeuzeit und selbst in unserer Gegenwart überhaupt nicht verständlich wäre: Die Verbreitung der Sprachen in EuropaEuropa, das ChristentumChristentum oder die Grundzüge unseres Rechtssystems zählen zu den unmittelbar auf das Imperium Romanum zurückgehenden Tatsachen. In der Wahl von Siedlungsplätzen, in Stadtplänen, Straßenzügen und Bauwerken sind noch direkte Überreste aus römischer Zeit zu sehen, oft können sie nur vor diesem Hintergrund adäquat erklärt werden. Hinzu kommen die zahlreichen REZEPTIONEN und ganze Rezeptionsphasen – wie die RenaissanceRenaissance des 15. und 16. Jahrhunderts oder der KlassizismusKlassizismus des 19. Jahrhunderts –, die in ihrer Architektur, Kunst und Literatur, überhaupt in ihrem ganzen Lebensgefühl ohne Kenntnis der antiken Vorbilder unverstanden bleiben würden.
1.3.2 Zunahme der Quellen
Dabei ist die Alte Geschichte mehr als ein auf ihren Gegenstand hoch spezialisierter Gedächtnisspeicher der Gesellschaft, der für mögliche Fragen nach Ursprüngen, Vorbildern und Traditionen zum Verständnis der eigenen Kultur abgerufen werden kann. Sie ist ebenso ein sich selbst dynamisch verändernder Bereich. Zum einen befindet sich das für eine Auswertung zur Verfügung stehende Quellenmaterial der Alten Geschichte – gegen eine weit verbreitete Grundannahme – in einem unaufhörlichen Wachstum. Weniger betrifft dieses die literarische Überlieferung, wo mit der Neuentdeckung eines noch völlig unbekannten bedeutenderen Werks kaum mehr gerechnet werden kann. Doch durch Surveys, Prospektionen und Ausgrabungen, veranlasst nicht zuletzt durch die immer stärker voranschreitende bauliche Erschließung von Räumen, nimmt die Zahl der materiellen Überreste in teils atemberaubender Geschwindigkeit zu. Sind selbst weite Teile des Altmaterials noch nicht oder nicht in der erforderlichen kritischen Weise publiziert, so kommen Teil- und Nachbardisziplinen wie Epigraphik, Papyrologie, Numismatik oder Archäologie mit der Bearbeitung des sich stetig vermehrenden Quellenmaterials erst recht kaum nach (→Kap. 2.3–2.6). Angesichts stets drohenden Verfalls durch Verwitterung, Korrosion oder sogar mutwillige Zerstörung – und der gleichzeitigen Unmöglichkeit, alles zu konservieren – sehen Forscher wie der verstorbene Géza AlföldyAlföldy, Géza in der Sicherung und dem Zugänglichmachen der Quellen die wichtigste Aufgabe der Alten Geschichte: eine Pflicht zeitgenössischer Historiker für künftige Generationen, der im Zweifelsfall Vorrang auch vor dem Entwurf neuer Theorien oder Interpretationsmodelle gebühre.
1.3.3 Beantwortung neuer Fragestellungen
Andere Historiker heben dagegen gerade die jeweils neue Erarbeitung des Vergangenen für die je aktuelle Gegenwart als wichtigste Aufgabe der Geschichtswissenschaft hervor. Zwar steht das Vergangene selbst nicht mehr zur Disposition, doch einerseits können sich die Methoden zum Verständnis der Quellen verbessern und mithin bessere Ergebnisse liefern, zum anderen ändert sich stetig das Interesse an dem Vergangenem (→Kap.3.1.4). Aus dem langen Kontinuum der Ereignisse, der Geschichte im landläufigen Verständnis, wird stets etwas anderes sichtbar gemacht. Das erwachte Interesse an einer Geschichte der Geschlechter, des Kontaktes und Zusammenlebens verschiedener Kulturen oder auch an einer Geschichte des Zusammenspiels von Mensch und Natur/Umwelt geben illustrative Einblicke in derartige Prozesse. Intensivere Sensibilisierungen für Aspekte der Kommunikation haben Formen der Repräsentation und Propaganda, ebenso die Bedeutung des symbolischen Handelns ins Zentrum der historischen Forschungen gestellt. Gedenkstättendiskussionen einerseits und die Ergebnisse der Hirnforschung andererseits führen derzeit zu einer Neubewertung dessen, was ,Gedächtnis‘ überhaupt ist – und betreffen damit grundlegend die Frage, was ,Geschichte‘ sein kann.
„So lange etwas ist, ist es nicht das, was es gewesen sein wird. Wenn etwas vorbei ist, ist man nicht mehr der, dem es passierte.“ (Martin Walser, Ein springender Brunnen)
Der Zugang zur Vergangenheit erfolgt also von der Gegenwart aus und ist auch nur so möglich. Geschichte ist „die im Bewusstsein der Gegenwart verarbeitete Vergangenheit“ (Hans-Werner GoetzGoetz, Hans-Werner). Noch drastischer formulierte es Benedetto CroceCroce, Benedetto (1866–1952): „Alle Geschichte ist Zeitgeschichte.“ Dabei ist die Befangenheit in den Fragestellungen und Denkweisen ihrer Zeit für die Historiker keineswegs nur eine unerfreuliche Last, von der sie sich zur Objektivierung ihrer Tätigkeit möglichst zu befreien trachten sollten, sondern sie ist, im positiven Sinne, ebenso Teil und Grundlage der ihnen auferlegten Pflicht, den Wissens-, Kenntnis- und Orientierungsbedarf ihrer Zeit zu erfüllen.
Info: Der „Fall“ Roms
In seinem Buch „Der Fall Roms. Die Auflösung des Römischen Reiches im Urteil der Nachwelt“ von 1984 hat der Althistoriker Alexander Demandt nicht den Untergang des Römischen Reiches, sondern die bislang dazu vorgetragenen Deutungen zum Thema gemacht. Rund 400 verschiedene Erklärungen konnten von ihm zusammengestellt werden: Frauenemanzipation oder fehlende Männerwürde, Askese oder Genusssucht, Führungsschwäche oder Totalitarismus, die vorhandenen Besitzunterschiede oder die soziale Egalisierung, Polytheismus oder ChristentumChristentum, Faulheit oder