seien, basiert wesentlich auf vertragstheoretischen Überzeugungen wie den folgenden:
1) Alles Handeln ist nur vernünftig, wenn es durch Maximierung von Eigeninteressen erklärbar ist.
2) Alles moralisch erlaubte Handeln muss vernünftig sein.
3) Der Zweck des Wirtschaftens muss moralisch erlaubt sein.
K) Alles moralisch erlaubte Handeln, inklusive des Zwecks des Wirtschaftens, muss durch Maximierung von Eigeninteressen erklärbar sein.
Daher schwächt es die besagten Zwecke, wenn man die Vertragstheorie und ihre Verbindung von Vernunft, Moral und Eigennutzen verwirft, in der die ökonomische Ethik verankert ist. Auch die Debatte um den homo oeconomicus (HO) war bislang durch ein „Aneinander-Vorbeireden“ geprägt, da verschiedene HO-Konzepte nicht voneinander unterschieden wurden. Daher standen zwei aufeinander aufbauende Thesen der ökonomischen Ethik nicht genügend im Zentrum der Debatte: 1) Die These, dass ein moralisch akzeptables Wirtschaftssystem auf die Zustimmung jedes Betroffenen angewiesen ist. 2) Die These, dass diese Zustimmung gerade in einer marktwirtschaftlichen Ordnung zu erwarten ist, weil die aufgeklärten Interessen |9|der Individuen darauf ausgerichtet sind, den Eigennutzen zu maximieren.
Ich will in diesem Kapitel begründen, dass 1) die von T. Hobbes stammende Vertragstheorie einen unzureichenden normativen Rahmen bietet, dass 2) gerade in einer Marktwirtschaft ein Konsens aller Betroffenen über diese Wirtschaftsform nicht besonders wahrscheinlich ist, selbst wenn die Menschen ihren Eigennutzen maximieren wollen und dass 3) die aufgeklärten Interessen der Individuen nicht automatisch mit denen eines Eigennutzenmaximierers zusammenfallen, weshalb „die Menschen“ auch unter Konkurrenz nicht automatisch ihren Eigennutzen maximieren. Das erschwert den Konsens über die Marktwirtschaft noch einmal. Zuletzt soll auch eine konstruktive Würdigung der ökonomischen Ethik stattfinden, um für die weiteren Kapitel Lehren aus dieser Theorie ziehen zu können.
II. Rezepte gegen „Appellitis“
Die ökonomische Ethik versucht, eine in der Ethik immer wiederkehrende Grundkonstellation aufzulösen: Hier gebietet die Ethik die Norm N und dort scheitert N an der Umsetzung. Ethik wird damit nach Auffassung der ökonomischen Ethik zur Moralpredigt, d.h. zur wirkungslosen „Appellitis“ (vgl. Homann und Blome-Drees 1992, 36). Diese Problemkonstellation versuchen Homann und seine Schüler zu vermeiden: Der Grund für das Problem ist demnach ein normativistischer Fehlschluss, in dem von normativen Idealen direkt auf Handlungsnormen geschlossen wird, ohne die realen Umsetzungsbedingungen zu beachten. Diese gibt die Empirie vor (Suchanek 2007, 31, 43–46). Die Fakten, an denen Ethiker mit normativistischen Fehlschlüssen meist vorbeigehen, bestehen demnach darin: Unter scharfem Konkurrenzdruck können selbst altruistisch motivierte Menschen nicht anders, als im Extremfall sogar ihre eigenen moralischen Überzeugungen zu verraten (Homann und Blome-Drees 1992, 26). Es besteht ein Zwang, dass letztlich alle Individuen unter Konkurrenz wie ein HO handeln (Suchanek 2005, 99; vgl. Homann und Blome-Drees 1992, 26). Damit sind empirische Annahmen derart gemacht, dass „auch moralisch motivierte Menschen nicht bereit sein werden, dauerhaft gegen ihre (sonstigen) eigenen Interessen zu verstoßen“ (Suchanek 2005, 99). Und: Wenn „moralisches Verhalten (…) systematisch und dauerhaft mit ökonomischen Nachteilen ‚bestraft‘ wird, dann wird die Moral (…) |10|sehr schnell erodieren; sie kann keinen Bestand haben.“ (Homann und Blome-Drees 1992, 94).
Wirkungslose Moralpredigten sollen vermieden werden, indem betont wird, dass das Individuum nicht die primär zuständige Instanz für moralische Veränderungen ist, sondern die Ordnungspolitik. Die Institutionen sind gefordert. Diese setzen in wesentlichen Teilen den Rahmen, also beispielsweise die gesetzlichen Spielregeln. Gegeben ein perfektes Regulierungssystems wäre somit allein der Rahmen der systematische Ort der Moral (Homann und Blome-Drees 1992, 35–47). Die Anreize, d.h. die Vorteilserwartungen für die Individuen, müssen durch die Institutionen verändert werden[4], damit so viel Kooperation möglich wird, wie in der eigentlich wettbewerbsorientierten Marktwirtschaft erwünscht ist. Ansonsten sind die Individuen, selbst bei guten Absichten, nicht fähig zu moralischer Kooperation, wie mit dem Gefangenen-Dilemma (zur Darstellung: Homann und Blome-Drees 1992, 29–34) demonstriert wird. Erst wenn eine ursprünglich wirkungslose Norm N den Vorteil der Individuen vergrößert, wird sie umsetzbar, denn Individuen werden nicht dauerhaft gegen ihren Vorteil handeln (Suchanek 2007, 49f.). In einem perfekten Regulierungssystem sind die einzelnen Handlungen der Firmen und Kunden (Spielzüge) auf einer ersten, die Absichten der Akteure betreffenden Ebene „moralfrei“. Die Moral oder besser die Anreize für moralisches Handeln werden durch den Rahmen hergestellt. Dies ist nicht Aufgabe der Individuen, wenn der Rahmen perfekt ist. Diese sollen sich allein darum sorgen, den Gewinn zu maximieren, während sie die bestehenden Gesetze achten. Diese Gestaltung der Spielzüge wird auf einer zweiten Ebene begründet, denn dort soll dieses individuell „moralfreie“ (d.h. insbesondere von moralischen Motiven befreite) Verhalten moralisch fruchtbar sein. So wird nämlich das für alle nützliche marktwirtschaftliche System in Gang gehalten (eine Mischung aus unsichtbarer Hand und prästabilierter Harmonie). Daher wird sogar eine moralische Pflicht für Unternehmen darin gesehen, den Gewinn konform mit dem Rahmen zu maximieren (Homann und Blome-Drees 1992, 38).
|11|Das Allgemeinwohl[5] und damit das Wohl jedes Einzelnen wird ohne Marktwirtschaft gemindert, denn von ihr profitiert jedermann; das zumindest in der Rolle des Konsumenten, die jedes Wirtschaftssubjekt einnimmt (Homann und Blome-Drees 1992, 26; vgl. Suchanek 2007, 77). Durch die Marktwirtschaft fallen die Preise und erhöht sich die Qualität der Produkte für die Konsumenten. Das vermehrt deren Freiheitsspielräume, denn mit gleichem Geld lassen sich mehr Präferenzen realisieren (Homann 2003, 123). Also gilt: Je billiger und besser die Produkte, desto höher die Freiheitsspielräume der Konsumenten und desto größer ihre Freiheit. Und individuelle Freiheit ist für Homann der höchste ethische Wert, der realisiert werden kann (Homann 2003, 125). Neben dem Konsumentenwohl werden auch andere Errungenschaften der Marktwirtschaft für das Wohl jedes Einzelnen hervorgehoben, etwa der stetige Innovationsprozess, der z.B. medizinische Erfolge für alle hervorruft. Wir leben alle länger dank der Marktwirtschaft (Lin-Hi 2011, 10).
Weiterhin wird von Homann auch mehr Solidarität als Ziel des Wirtschaftens und als vorteilhafte Wirkung der Marktwirtschaft ausgewiesen (Homann und Blome-Drees 1992, 26, 45). Aber diese Solidarität zu gewähren, heißt in modernen Massengesellschaften, Mittel für einen sozialen Ausgleich bereitzustellen. Diese müssen erwirtschaftet werden, eine arme Gesellschaft kann nicht solidarisch sein. Da die nötigen Mittel nur auf den Märkten und damit unter Konkurrenz erwirtschaftet werden können, gilt für die ökonomische Ethik: Wettbewerb ist solidarischer als Teilen (Homann und Blome-Drees 1992, 26). Sankt Martin hätte demnach nicht seinen Mantel teilen, sondern eine Fabrik für Mäntel bauen und dann Mäntel verkaufen sollen, das wäre marktwirtschaftliche Solidarität. (Man denke an all die Sankt-Martins-Aufführungen, für die dementsprechend ein neues Drehbuch geschrieben werden müsste.) So kommt Homann zu dem Fazit, dass „das Streben nach individueller Besserstellung – unter einer geeigneten Rahmenordnung – auch den anderen, allen anderen, Vorteile bringt“ (Homann 2003, 171).[6]
|12|All das begründet einen Perspektivwechsel: „Habgier“ von Unternehmern sei nicht schuld an moralischen Problemen, sondern sei moralisch erwünscht, sofern sie auf dem Boden der Rahmenordnung verbleibe. Es sei niemandem damit gedient, wenn ein „guter“ Unternehmer, der Moralappellen folge, vom Markt verschwinde. Der Bankrott würde sich zwangsläufig bei einem Unternehmen einstellen, wenn es Moralvorstellungen gegen die bestehenden Anreize durchsetze und zulasten seiner Gewinne handele (Homann und Blome-Drees 1992, 34). Der Wettbewerb wird als scharf aufgefasst (es gebe keine „Schlafmützenkonkurrenz“ und es solle sie auch nicht geben) und es wird behauptet, Unternehmen könnten sich seinem Zwang nicht entziehen und trotzdem fortbestehen. Wenn moralisches Handeln dauerhafte Gewinneinbußen bewirken würde, könne dies vom Individuum bzw. Unternehmen nicht gefordert sein (zur vertragstheoretischen Begründung dessen, s.u.). Alles andere wäre eine „Hypermoralisierung“ (Homann und Blome-Drees 1992, 36), eine Überdehnung der Individualethik (Pies 2010, 254). Eine Ethik des Opferns und Teilens stamme aus vergangenen Zeiten, in