Susanne Talabardon

Chassidismus


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einen Konflikt mit dem aktiven Handeln geriet. Der Sabbatianismus setzte für seine interne Diskussion kein aktives Tun voraus, da er ja festgelegt hatte, dass das Gebot im messianischen Zeitalter nicht mehr notwendig sei und es insofern als Anzeichen jener Ära aufzugeben wäre. Die Abschaffung des religiösen Handelns war nur äußerliches Indiz für die historische Krise. Der Chassidismus gab das Handeln (inklusive der praktischen Gebote) nicht auf – […] der Konflikt mit dem konkreten Tun führt aber zum Kern des Chassidismus. (Schatz, Hasidism, S. 43)

      Der Besch“t als Teil des EstablishmentsIn der Person des Ba’al Schem Tov fanden sich die Ideale der Chassidim ‚alter Schule‘ mit den Fähigkeiten eines Ba’al Schem bzw. eines praktischen Kabbalisten zusammen. Wiewohl keiner angesehenen Familie entstammend, gelang es Israel ben Eli’eser, die Anerkennung eines Kreises von Gelehrten zu erreichen und schließlich (ab ca. 1740) als Gemeindekabbalist von Międzyboż Anstellung zu finden.

      Das Leben des Israel ben Eli’eser, soweit man es überhaupt rekonstruieren kann, lässt eher auf eine etablierte Existenz im Rahmen der geltenden religiösen Maßstäbe schließen. Die Grenzen zwischen den Frommen ‚alter Prägung‘ und den ‚neuen‘ Chassidim im Gefolge des Ba’al Schem Tov waren eben bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts noch durchaus fließend (Hundert, Apta, S. 59).

      Die Gründe für seine bedeutende Funktion innerhalb des werdenden Chassidismus müssen daher vor allem in seiner (charismatischen) Persönlichkeit – was ex post facto schwer zu fassen ist – oder |58|in seiner Lehre gesucht werden. Für Letzteres sprechen immerhin einige Besonderheiten seiner hauptsächlich in den Werken seiner Anhänger überlieferten Sentenzen. So wandte sich der Ba’al Schem Tov dezidiert gegen eine harte Askese und Gottesdienst in Freudepropagierte stattdessen einen Gottesdienst in Freude. Dieser wird durch das Konzept der Avoda be-Gaschmi’ut (des Gottesdienstes in Körperlichkeit) begründet, das gleichfalls auf den Besch“t zurückgeführt wird. Es nimmt dezidiert die gesamte physische Existenz des Menschen als Feld religiöser Aktivität in den Blick. Nicht nur in Gebet, Gebot und Studium sollte dem Ewigen gedient werden, sondern in der gesamten Palette menschlichen Tuns.

      PanentheismusZur Begründung der Avoda be-Gaschmi’ut erfährt die gesamte weltliche Wirklichkeit, die panentheistisch als vom Ewigen durchdrungen gedacht wird, eine durchgreifende Spiritualisierung. Letztlich kann aus der göttlichen Präsenz in Allem auch eine Infragestellung der materiellen Realität (Akosmismus) abgeleitet werden, was späterhin von einem Teil der Anhänger des Ba’al Schem Tov tatsächlich auch denkerisch in Angriff genommen wird. Die unmittelbare Konsequenz dieser besonderen panentheistischen Grundkonstellation („Kein Ort ist leer von IHM“) besteht darin, dass dem Bösen keine ontische Bedeutung zugemessen werden kann. Es ist lediglich das weiter von seiner transzendenten Wurzel Entfernte, welches man durch Rückführung zu seinem Ursprung „aufheben“ kann und muss.

      GebetspraxisVon den traditionell-jüdischen Formen religiöser Aktivität – dem Gebet, dem Gebot und dem Studium der Tora – wird, im Unterschied zu sabbatianischen oder frankistischen Gruppierungen, keine in Frage gestellt. Besondere Aufmerksamkeit widmete der Ba’al Schem Tov dem Gebet. Manche der frühen chassidischen Quellen konstatieren, die eigentliche Bedeutung des Besch“t habe in dessen besonderer, durch Gesten unterstützter Gebetspraxis bestanden. Er habe das Gebet als wichtigstes Mittel zum Erreichen der Devequt bzw. zu Seelenaufstiegen verstanden.

      Betrachtet man die theoretischen Konzepte des Ba’al Schem Tov, so fällt auf, dass er sich (im Unterschied zu den Kabbalisten ‚alter Prägung‘) relativ wenig auf lurianische Denkansätze bezog. Sogar das sefirotische System trat als Bezugsrahmen hinter alphabetmystische Ansätze zurück.

      Weniger im Leben als in der Lehre (und wohl auch in der konkreten spirituellen Praxis) des Ba’al Schem Tov lassen sich demzufolge diejenigen Neuansätze beobachten, welche die Entstehung der innovativen Strömung des osteuropäischen Chassidismus verstehen helfen.

       [Zum Inhalt]

      |59|5. Jakob Josef ben Zvi ha-Kohen Katz von Połonne: Der erste Theoretiker der neuen Strömung

      Dresner, Samuel H., The Zaddik: The Doctrine of the Zaddik According to the Writings of Rabbi Yaakov Yosef of Polnoy, New York 1974 (Northvale 1994).

      Grözinger, Karl Erich, Jüdisches Denken: Theologie, Philosophie, Mystik, Bd. 2: Von der mittelalterlichen Kabbala zum Hasidismus, Frankfurt/M., New York 2005, S. 853–885.

      Pedaya, Haviva, „Ya’akov Yosef of Polnoye.“, YIVO Encyclopedia of Jews in Eastern Europe 5 November 2010. 20 February 2013, (http://www.yivoencyclopedia.org/article.aspx/Yaakov_Yosef_of_Polnoye).

      Einer der treuesten Gefährten des Ba’al Schem Tov, noch dazu einer, der für diese Anhänglichkeit etliche Widrigkeiten auf sich nehmen musste, wurde zum ersten großen Theoretiker des osteuropäischen Chassidismus: Jakob Josef ben Zvi ha-Kohen Katz von Połonne (starb 1783). Sein wichtigstes Werk, die Tol’dot Ja’aqov Josef (תולדות יעקב יוסף, Korzec 1780), war nicht nur das erste gedruckte chassidische Buch überhaupt, sondern lieferte das bahnbrechende Konzept für die neue Führungsfigur der entstehenden Strömung und löste noch dazu eine gewaltige Kontroverse aus.

      5.1. Das Leben des Jakob Josef von Połonne

      Das Leben Jakob JosefsIm Unterschied zum Ba’al Schem Tov erfuhr Jakob Josef eine sorgfältige, traditionelle rabbinische Ausbildung. Seine Schriften, gespickt mit Zitaten aus Dutzenden jüdischer Werke unterschiedlichster Art und Sorte, geben davon Kenntnis: Er war mit allen Gebieten des jüdischen Bildungskanons vertraut, verstand sich auf die Auslegung des Talmuds und der Halacha und beherrschte wesentliche Werke der Kabbala und der Moralliteratur (Mussar). Sein hohes Renommee als Angehöriger der gelehrten Elite spiegelte sich auch in seiner Bestellung zum Rabbiner von Szarogród, der seinerzeit immerhin zweitgrößten jüdischen Gemeinde Podoliens.

      Um das Jahr 1741 geriet er in den Bannkreis des Chassidismus alter Prägung, vermutlich in Gestalt eines Gefährten des Ba’al Schem Tov, der damals als Prediger in Połonne wirkte. Jakob Josef übernahm sukzessive einen asketischen Lebensstil, isolierte sich von den anderen, hielt strenges Fasten und stellte hohe Ansprüche an die Schächtung. Offenkundig stieß der fromme Eifer des Rabbiners auf wenig Begeisterung in der Gemeinde. Bis etwa 1748 waren die |60|Konflikte um Jakob Josef so sehr eskaliert, dass man ihn schließlich aus Szarogród vertrieb.

      Jakob Josef und der Besch“tEs hat den Anschein, als wäre Jakob Josef in dieser für ihn sehr schwierigen Phase endlich auch mit dem Ba’al Schem Tov persönlich in Kontakt gekommen (Etkes, Besht, S. 177–178). Die Begegnung mit ihm sollte zu seiner zweiten, noch größeren persönlichen Lebenswende geraten. Jakob Josef entwickelte sich zum bedeutendsten Tradenten der Lehre seines Meisters. Die zahlreichen, sorgfältig gekennzeichneten Äußerungen des Besch“t, wie sie überall in den vier Werken des Jakob Josef zu finden sind, deuten auf ein enges persönliches Verhältnis des Schülers und Anhängers zu seinem spirituellen Tutor und Meister. In dieser Autorität führte der Ba’al Schem Tov ihn vom Pfad der strengen Askese auf den Weg der Freude am Gebot.

      Werke des Jakob JosefNach seiner Vertreibung aus Szarogród amtierte Jakob Josef noch etliche Jahre in kleineren Gemeinden wie Raszków (bis ca. 1752), Niemirów (1752–1770) und Połonne. Vermutlich aufgrund des entschiedenen Einsatzes für die Lehren des Besch“t erlitt Jakob Josef Verfolgung und sozialen Abstieg. Die Konflikte um seine Person verschärften sich noch erheblich, als im Jahre 1780 die Tol’dot Ja’aqov Josef im Druck erschienen. Die in diesem Werk enthaltene heftige Kritik an der traditionellen Führungselite der jüdischen Gemeinschaft löste eine Verfolgung der Anhänger des Ba’al Schem Tov aus. Die Tol’dot wurden sogar öffentlich verbrannt. Dieses Schicksal blieb den drei folgenden Büchern des Maggid von Połonne erspart. Nach seinem magnum opus, das Homilien zu allen Teilen der Tora enthielt, erschienen Ben Porat Josef (בן פורת יוסף, Korzec 1781) mit Homilien zur Genesis, Zaf’nat Pa’aneach (צפנת פענח, Korzec 1782) zum