Kriege sind wichtige Phänomene Internationaler Beziehungen. In diesem Kapitel werden die Formen von Krieg sowie ihre Hauptursachen erläutert. Dabei wird zwischen zwischenstaatlichen Kriegen und anderen bewaffneten Konflikten unterschieden. Zu Letzteren gehören insbesondere Bürgerkriege und Terrorismus. Schließlich wird erläutert, wie Kriege verhindert oder beendet werden können.
3.1 Friedliche Streitbeilegung oder Krieg?
3.2 Geographische Verteilung von Kriegen
3.3 Kriegsverhinderung und friedliche Konfliktregelung
3.4 »Alte« und »neue« Kriegsformen
In den frühen Morgenstunden des 4. September 2009 erteilte der kommandierende Offizier des deutschen Feldlagers in Kunduz, Afghanistan, Oberst Georg Klein, zwei amerikanischen Jagdbomberpiloten den Befehl, zwei Bomben auf zwei Tanklastzüge abzuwerfen, die in einer Furt in einem Fluss stecken geblieben waren. Oberst Klein sah in den beiden Tanklastzügen, die von Rebellen entführt worden waren, eine Bedrohung des in nur kurzer Entfernung liegenden deutschen Feldlagers und seiner Soldaten. Ihm war nicht bekannt, dass es sich bei den Menschen, die um die Lastwagen herumstanden, um unbeteiligte Zivilisten handelte, die Benzin abließen. Daher trafen die beiden Bomben nicht nur die Entführer und Rebellen, von denen die Bedrohung ausging, sondern auch eine hohe Anzahl unschuldige Zivilisten (Demmer et al. 2010)
In Deutschland löste dieser Angriff großes Entsetzen aus. Wie in einem Brennglas führte diese Episode den Deutschen vor Augen, dass sich ihr Land in einem schrecklichen Krieg befand, in dem auf einen deutschen Befehl hin unschuldige Zivilisten zu Tode kamen. Krieg und Frieden standen wieder auf der Tagesordnung politischer Debatten. Die Frage war nicht nur, warum auch im 21. Jahrhundert noch Kriege z. T. weit ab der Heimat geführt wurden, sondern auch, warum heutzutage vor allem Zivilisten zu den Opfern zählen.
3.1 | Friedliche Streitbeilegung oder Krieg?
Zweck von Kriegen
Einen Krieg zu führen ist von wenigen Ausnahmen abgesehen17 (
Definition
Krieg oder bewaffnete Konflikte
Unter Krieg oder bewaffnetem Konflikt versteht man die Anwendung organisierter Gewalt zwischen zwei oder mehr Akteuren. Das Ausmaß der Gewaltanwendung muss eine bestimmte Minimalschwelle überschreiten. Dabei gehen Forscher von sehr verschiedenen Schwellen aus. Skandinavische Politikwissenschaftler legen den Schwellenwert bei 25 Toten pro Jahr, amerikanische bei 1000 Toten pro Jahr fest. Akteure sind entweder Staaten oder organisierte bewaffnete Gruppen unter einem Kommando. Diese Gruppen können gegen eine Regierung, andere Gruppen oder grenzüberschreitend kämpfen (Rudolf 2010).18
Es müssen allerdings noch zwei weitere Bedingungen erfüllt sein: Erstens muss der Nutzen des Krieges größer sein als die zu erbringenden Opfer und die Kosten, die er verursacht; und zweitens müssen Opfer und Kosten geringer sein als der Nutzen aus der Differenz zwischen Kriegserfolg und Verhandlungserfolg (dazu etwas weiter unten mehr). Nur wenn alle beteiligten Parteien diese beiden Bedingungen erfüllt sehen, werden sie sich dafür entscheiden, einen Konflikt durch Krieg und nicht durch Verhandlung lösen zu wollen (Frieden/Lake/Schultz 2012: 84–86).
Räumliche Modelle
Politikwissenschaftler bedienen sich sogenannter räumlicher Modelle (Laver 2014), um herauszufinden, wann sich Krieg für die Akteure »lohnt«, weil Verhandlungen zu einem nachteiligeren Ergebnis führen würden (Frieden/Lake/Schultz 2012: 88–92; Levy 2013: 585–587). Diese vermitteln daher eine Vorstellung davon, unter welchen Bedingungen Akteure Kriege führen oder nicht. Abbildung 3.1 ist ein solches räumliches Modell. In ihm stehen sich zwei Staaten A und B in einem Konflikt über Territorium gegenüber. Dieses räumliche Spektrum zeigt alle möglichen Verteilungen des umstrittenen Gebietes auf die beiden Staaten. In dem mit der Ziffer 1 bezeichneten Szenarium steht ganz links Idealpunkt B und ganz rechts Idealpunkt A. Diese beiden Punkte zeigen an, dass beide Staaten idealerweise das umstrittene Gebiet jeweils selbst erhalten. Es ist jedoch sehr unwahrscheinlich, dass sich in Verhandlungen nur eine der beiden Seiten mit seiner Idealvorstellung durchsetzen kann und das gesamte Gebiet bekommt. Wahrscheinlicher ist ein Kompromiss z. B. an der Trennlinie V (Verhandlungsergebnis). Danach erhält A den weißen Gebietsanteil und B den blauen Anteil.
Abb. 3.1 | Krieg vs. Verhandlung
Quelle: eigene Darstellung nach Frieden/Lake/Schultz (2012: 90).
Kosten-Nutzen-Kalkulation
Das mit der Ziffer 2 gekennzeichnete Szenarium zeigt, welchen Gebietsanteil A erwarten kann, wenn der Konflikt durch Krieg ausgetragen wird (Trennlinie K). Der Vergleich mit Szenarium 1 verdeutlicht, dass im Falle eines Krieges A einen größeren und B einen kleineren Anteil am umstrittenen Gebiet erwarten kann als im Falle von Verhandlungen. Für diesen größeren Gebietsgewinn gegenüber dem Verhandlungsergebnis (V) muss A jedoch erhebliche Kriegskosten und Risiken übernehmen. Und auch auf Staat B kommen diese zu. Wenn man die Kosten vom Gebietsgewinn für A abzieht, ergibt sich ein Netto-Kriegsergebnis (schwarzer Doppelpfeil) für A, das schlechter ist als das Verhandlungsergebnis (V) aus Szenarium 1. Das Netto-Kriegsergebnis von B ist noch weitaus schlechter als das Verhandlungsergebnis.
Aus dieser Kalkulation ergibt sich, dass Krieg sich weder für A noch für B »lohnt« und dass Verhandlungsergebnisse für beide günstiger sind als Krieg. Der hellblaue Pfeil zeigt an, in welchem Raum Verhandlungen für B lohnender sind als Krieg. Darin sind alle Verhandlungslösungen für B eingeschlossen, die besser sind als das Netto-Kriegsergebnis. Der weiße Pfeil zeigt an, in welchem Raum Verhandlungen für A lohnender sind als Krieg. Darin sind alle Verhandlungslösungen für A eingeschlossen, die besser sind als das Netto-Kriegsergebnis. Der dunkelblaue Doppelpfeil umfasst den Raum, indem für beide – Staat A und B – Verhandlungskompromisse besser sind als Krieg. Zum Krieg käme es nur dann, wenn das Verhandlungsergebnis V links oder rechts des dunkelblauen Doppelpfeils läge. Nur unter dieser Bedingung führt Krieg für zumindest einen Staat zu einem besseren Ergebnis als eine Verhandlungslösung.
3.1.1 | Verteilungskonflikte als Kriegsursache
Gesamt- vs. Partikularinteresse
Von diesen Überlegungen ausgehend kommt zumindest die Schule des Institutionalismus (