Christian Tuschhoff

Internationale Beziehungen


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übersteigen. Zur Kriegsvermeidung ist es deshalb ratsam, die gemeinsamen Interessen groß und die Partikularinteressen klein zu halten (image Kap. 3.3).

      Verteilungsgüter

      Einen möglichst großen Anteil an einem zu verteilenden Gut zu bekommen, ist das übergeordnete Ziel, für das Akteure u. U. Krieg riskieren. Dieses Gut kann sehr verschiedene Formen annehmen, z. B.: Territorium im Sinne von Nutzfläche, rohstoffreiche Gebiete oder solche, die unter militärischen Gesichtspunkten wertvolle geographische Stellungen zur Verteidigung sind (z. B. die sogenannten Golanhöhen an der Grenze zwischen Israel und Syrien), oder Stätten mit besonderer Bedeutung für bestimmte Gruppen (z. B. Jerusalem, die heiligen Stätten des Islam in Saudi Arabien oder das Kosovo als »Wiege der serbischen Nation«).

      Neben solchen territorialen Gütern können auch bestimmte wertbasierte Politiken ein Gut darstellen, für dessen Verteilungsfolgen Krieg geführt wird. Ein Beispiel für solch eine Politik ist die Diskriminierung bestimmter Minderheiten in einem Land (image Kap. 2.4, Kap. 9). Häufig bekämpfen diese Minderheiten selbst die Diskriminierung oder werden von auswärtigen Staaten oder nichtstaatlichen Akteuren dabei unterstützt. Ebenso kann die Nicht-Einhaltung von international vereinbarten Regeln dazu führen, dass Sanktionen bis hin zur militärischen Gewaltanwendung ausgeführt werden.

      Und schließlich kann die Möglichkeit, die internationale Ordnung auch in der Zukunft selbst bestimmen zu wollen, ein wichtiges Gut sein, für das Akteure bereit sind, die Kosten von Krieg zu tragen. In diesem Fall spricht man von sogenannten hegemonialen Kriegen.

       Information kompakt

      Ein Hegemon ist eine anderen Staaten weit überlegene Macht. Sie legt die Ordnung in internationalen Beziehungen fest, setzt sie ggf. gegen Widerstand durch und trägt die Kosten ihrer Erhaltung. In unregelmäßigen Abständen können jedoch durch Machtgewinn Herausforderer von Hegemonen heranwachsen, die dem internationalen System ihre eigene Ordnung geben wollen. Eine Möglichkeit ist, dass sie versuchen, den bisherigen Hegemon im Krieg zu besiegen und dadurch vom Sockel zu stoßen und selbst Hegemon zu werden. Eine andere Möglichkeit ist, dass der Hegemon seine überlegenen Militärpotentiale nutzt, um einen möglichen Herausforderer zu besiegen, bevor dieser die eigene hegemoniale Stellung ernsthaft bedroht. In beiden Fällen spricht man von hegemonialen Kriegen (Gilpin 1981; Kennedy 1989; Levy 2013: 584).

      Gegenwärtig sind die USA nahezu unbestritten der Hegemon im internationalen System. Jedoch verweisen einige Autoren sowohl auf eine große Wahrscheinlichkeit als auch einzelne Anzeichen, dass die Volksrepublik China sich anschickt, die USA herauszufordern und in Zukunft selbst Hegemon zu werden (Mearsheimer 2010; Wolf 2012). Sie erwarten daher einen Hegemonialkrieg zwischen den beiden Kontrahenten zunächst um die regionale Vorherrschaft in Asien und möglicherweise später in der Welt. Andere Autoren bestreiten, dass die Volksrepublik China auf absehbare Zeit das Machtpotential besitzt, die hegemoniale Stellung der USA regional oder sogar global herauszufordern (Brooks 2013; Brooks/Wohlforth 2008; 2011; Wohlforth 1999; 2008). Ein hegemonialer Krieg sei deshalb unwahrscheinlich. Über diese Frage wird in Fachzeitschriften Internationaler Beziehungen eine sehr intensive Debatte ausgetragen (Bromley 2011; Glaser 2011; Kupchan 2011; Legro 2011; Schweller 2011; Simms 2011; Voeten 2011). Da hegemoniale Konflikte machtpolitischer Natur sind, befassen sich vor allem Vertreter des Neorealismus (image Kap. 2.1) mit dieser Kriegsform.19

      Unteilbarkeit von Gütern

      Es sind also zunächst Interessen sowie Kosten-Nutzen-Kalküle der Akteure, die Kriege verursachen. Es gibt aber weitere Ursachen, warum Kriege ausbrechen. Dazu gehört das Problem, ob ein zwischen den Akteuren umstrittenes Gut im Zuge einer Verhandlungslösung überhaupt aufgeteilt werden kann. Manche Güter können aus Sicht der Konfliktparteien nicht einfach geteilt werden, wie man aus den oben angeführten, abstrakten Überlegungen schließen könnte. In solchen Fällen kann es daher schwierig sein, einen für die Betroffenen annehmbaren Kompromiss zu finden (Goddard 2006; Young 1995). Solche Güter sind z. B. die Golanhöhen an der Grenze zwischen Israel und Syrien. Beide Länder stehen auf dem Standpunkt, dass das gesamte Gebiet der Golanhöhen zur Gewährleistung der nationalen Sicherheit unverzichtbar ist. Deshalb geht es in diesem Streit aus Sicht der Beteiligten um alles oder nichts – einen Mittelweg (Aufteilung) gibt es für sie nicht. Andere Beispiele für unteilbare Güter sind vor allem religiös bedeutsame Stätten wie z. B. Jerusalem, das von drei verschiedenen Religionen beansprucht wird. Anhänger dieser Religionen möchten die Herrschaft über diese Stätten nicht anderen überlassen, sondern selbst ausüben. Deshalb sind solche Konflikte nur sehr schwer durch Kompromissfindung auf dem Verhandlungsweg zu lösen. Wie sie friedlich ausgetragen werden könnten, wird in image Kap. 3.3 erläutert.

      Fehlkalkulation

      Neben der Verteilung von Gütern können bestimmte Interaktionsprobleme bei Verhandlungen Kriege auslösen. Ein erstes kann daraus resultieren, dass die Akteure bestrebt sind, in Verhandlungen das bestmögliche Ergebnis für sich herauszuschlagen. Zu diesem Zweck werden sie sowohl die Fähigkeiten der beteiligten Akteure (image Kap. 2.1) als auch deren Entschlossenheit und Risikobereitschaft im Falle eines drohenden Krieges abzuschätzen suchen. Es kann deshalb passieren, dass Akteure sich in Verhandlungen verkalkulieren. Denn sie sehen sich widersprüchlichen Anreizen ausgesetzt. Der Anreiz, das bestmögliche Verhandlungsergebnis zu erzielen widerspricht dem Anreiz, keine übermäßigen Kriegsrisiken einzugehen. Ein Beispiel für Krieg als Folge von Fehlkalkulation war die Besetzung Kuwaits durch den Irak im Jahr 1990. Der damalige irakische Herrscher Saddam Hussein rechnete nicht mit den Entschlossenheit einer breiten Koalition von Staaten, die in Verhandlungen die Forderung nach einem vollständigen Rückzug des Irak aus Kuwait stellten. Hussein war dazu nicht bereit und die Staatenkoalition wollte ihm Kuwait nicht überlassen. Es kam zum Golfkrieg, weil das Dilemma zwischen Verhandlungsergebnis und Kriegsrisiko nicht aufgelöst werden konnte (Frieden/Lake/Schultz 2012: 93–96).

      Glaubwürdigkeit von Drohung

      Ein zweites Interaktionsproblem ist, dass die Akteure nie ganz sicher sein können, wie ernst die Botschaften der anderen Seite zu nehmen sind, die in Verhandlungen ausgetauscht werden. Fehlkalkulationen können also nicht nur wie oben dargestellt eine Folge von Fehlern bei der Abschätzung der Entschlossenheit und Risikobereitschaft sein, sondern auch eine Folge mangelnder oder zweideutiger Kommunikation. Wenn eine Seite z. B. ein Ultimatum aufstellt und/oder mit Krieg droht, meint sie das dann ernst? Ist sie bereit, diese Drohung wahr zu machen, oder ist sie ein Bluff? Im Fall einer ernst gemeinten Drohung sollte die andere Seite eine Konzession machen, im Fall eines Bluffs sollte sie standhaft bleiben. Um der anderen Seite die Aufgabe der Kalkulation zu vereinfachen und dadurch Fehlkalkulation zu vermeiden, sollte ein Akteur deshalb möglichst unzweideutige Botschaften aussenden.

      Akteure müssen also die Glaubwürdigkeit von in Verhandlungen ausgesprochenen Drohungen einschätzen und nutzen dazu die genannten Maßstäbe (image Information kompakt). Aber deren Anwendung schützt nicht vollständig vor einer Fehleinschätzung.