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Sozialraumorientierung 4.0


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Marc/Hammer, Elisabeth (Hg.): Aktuelle Leitbegriffe der Sozialen Arbeit. Ein kritisches Handbuch, S. 233-249. Wien

      Fürst, Roland/Hinte, Wolfgang (2017): Sozialraumorientierung. Ein Studienbuch zu fachlichen, institutionellen und finanziellen Aspekten, 2., aktualisierte Auflage. Wien

      Fehren, Oliver/Kalter, Birgit (2012): Zur Debatte um Sozialraumorientierung in Wissenschaft und Forschung. In: Sozialarbeit in Österreich (SiO), Sondernummer 1/2012: Sozialraumorientierung. Zwischen fachlicher Innovation und institutionellen Bedingungen, S. 28-32

      Hollmüller, Hubert (2014): Modell Graz. Organisationstheoretische und entscheidungstheoretische Aspekte einer top-down Reform des Jugendamtes Graz. In: soziales_kapital, Nr.11/2014, S.1-16

      Kessl, Fabian/Reutlinger, Christian (Hg.) (2010): Sozialraum. Eine Einführung, 2. Auflage. Wiesbaden

      Marcuse, Ludwig (1994): Amerikanisches Philosophieren. Pragmatisten, Polytheisten, Tragiker. Zürich

      Otto, Hans-Uwe/Ziegler, Holger (2008): Sozialraum und sozialer Ausschluss. Die analytische Ordnung neo-sozialer Integrationsrationalitäten in der Sozialen Arbeit. In: Anhorn, Roland/Bettinger, Frank/Stehr, Johannes (Hg.) (2008): Sozialer Ausschluss und Soziale Arbeit. Positionsbestimmungen einer kritischen Theorie und Praxis sozialer Arbeit, 3. Auflage. Wiesbaden

      Richardt, Vincent (2013): Sozialraumorientierung in der Stadt Graz im Bereich Jugendwohlfahrt, Einführung eines Sozialraumbudgets. Evaluation des Pilotprojekts des Amtes für Jugend und Familie. Abschlussbericht. Graz

      Schreier, Maren/Reutlinger, Christian (2013): Sozialraumorientierung Sozialer Arbeit; Folge Österreich. Wer drückt die Stopp-Taste? In: soziales_kapital, Nr. 10/2013. Graz

      Schopenhauer, Arthur (1986): Parerga und Paralipomena, Sämtliche Werke in fünf Bänden Band IV. Berlin

      Schopenhauer, Arthur (1986): Die Welt als Wille und Vorstellung I u. II, Sämtliche Werke in fünf Bänden. Berlin

      Zach, Barbara (2014): Sozialraumorientierung in Graz. Eine Gegenüberstellung von Programmatik und Praxis. In: soziales_kapital, Nr. 12/2014

      Fußnoten

      1 Im Jahr 2014 wurde an der Fachhochschule das Department Soziales gegründet, wo das Fachkonzept Sozialraumorientierung als Lehr- und Forschungsschwerpunkt dient.

       Die Orientierung am Willen in der Praxis – einfach, aber nicht leicht

      Das Prinzip der Orientierung am Willen gilt gemeinhin als das Kernstück des Fachkonzepts Sozialraumorientierung (SRO). Für mich ist es das fachliche Herzstück. Mein persönliches Herzstück ist jedoch ein anderes: Meine Tochter. Sie ist zwei Jahre jung und das schönste Mädchen der Welt. Von ihr lerne ich die wirklich wichtigen Dinge im Leben und interessanterweise auch viel über meinen beruflichen Schwerpunkt, die Sozialraumorientierung. So habe ich durch sie erfahren, wie sich eine Veränderung der Lebenssituation auf den eigenen Sozialraum auswirkt (plötzlich weiß ich, wie viele Spielplätze es bei mir um die Ecke gibt), und auch, wie Lebenswelt und Sozialraum in ständiger Rückkoppelung sind (wir zaubern jeden Tag der Verkäuferin beim Bäcker ein Lächeln aufs Gesicht). Aber das wäre Stoff für andere Beiträge. Hier geht es um die Orientierung am Willen in der Sozialen Arbeit. Und auch da durfte ich von meiner Tochter lernen. Genau genommen sind es drei Dinge, die ich für besonders erwähnenswert halte:

      A.Unterscheidung zwischen Bedarf und Wille: Wenn wir nach Bedarfen fragen, suchen wir nach Antworten auf die Frage, was ein Mensch braucht. Meine Tochter braucht z. B. regelmäßig eine frische Windel. Ihr Wille ist ein ganz anderer. Sie will z. B. zum blauen Ball, unbedingt und unaufhaltsam. Oder sie möchte unbedingt auf der kleinen Bank sitzen. In diesem Zusammenhang ist es interessant, wie unterschiedlich Bedarfe interpretiert werden können: Wenn meine Tochter eine frische Windel braucht, also einen Bedarf hat, dann scheiden sich die Geister darüber, ob sie sofort oder jetzt dann eine frische Windel benötigt. Willensäußerungen lassen diesen Interpretationsrahmen deutlich weniger zu. „Wer sich […] darüber Gedanken macht, was Kinder brauchen, offenbart schon in der Art der Fragestellung seine (patriarchale) Haltung.“ (Hinte/Treeß 2014, S. 38/39). Wenn ich stattdessen versuche, herauszufinden, was meine Tochter will, nehme ich sie als aktives Subjekt wahr, das eine eigene Sicht auf die Welt hat. Ihr Wille ist ihr dabei bestimmt nicht reflexiv bewusst, aber wenn ich ihr mit einer offenen Haltung begegne, kann sie ihren Willen entdecken und ausdrücken – und sei es, dass es ihr nur darum geht, den blauen Ball in ihren kleinen Kinderhänden zu halten.

      B.Jeder Mensch hat einen Willen: Ich weiß nicht genau, wann es begonnen hat, dass meine Tochter wollte. Ich habe den Eindruck, dass es schon immer da war. Manchmal hat sie einen sehr starken Willen, der mir gar nicht gefällt, manchmal hat sie einen Willen, der mir gut passt. Berechnen lässt er sich nicht und manchmal fordert er mich heraus. An anderer Stelle erfreut er mein Herz und macht mich richtig stolz.

      C.Wille und Wunsch sind miteinander verwoben: Meine Tochter hat viele Willen. Und sie hat viele Wünsche. Abhängig von ihren Möglichkeiten gerät so mancher Wunsch in Bewegung und wird zum Willen. Manchmal mache ich mich aber auch zum verlängerten Arm ihres Selbst und sorge dafür, dass ein Wunsch realisiert wird (sie will unbedingt vom Erdgeschoss in den ersten Stock, und das Treppengitter versperrt ihr den Weg – sie will unbedingt, sie tut alles dafür, kann es aber nicht alleine schaffen). Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich dadurch zum Wunscherfüller mache, oder ob ich ihr dabei helfe, dass ihr Wille realisiert wird. Bei meiner zweijährigen Tochter erkenne ich deutlich, dass auch der Wille Grenzen hat. Begrenzt wird er zum einen von dem, „was die Wirklichkeit zulässt und was nicht“, und zum anderen von der „Begrenztheit unserer Fähigkeiten“ (Bieri 2001, S. 38). Es gibt also Wünsche, die nicht zum Willen werden können. Entweder, weil der Möglichkeitsraum der Welt oder die Fähigkeiten und individuellen Möglichkeiten der Person das (noch) nicht zulassen. Übertragen auf die Soziale Arbeit etwa im Kontext der Behindertenhilfe ergibt sich daraus wiederkehrend eine spannende Diskussion in Trainings zu der am Willen orientierten Arbeit. Ich frage die Seminarteilnehmer/innen gerne, ob ein Mensch mit eingeschränkten Ressourcen tatsächlich einen Willen hat oder ob es da nicht vielmehr um die Orientierung am Wunsch gehen muss, weil der Wille eben genau diese Begrenztheit erfährt. Die Antwort der Teilnehmenden fällt immer eindeutig aus: Jeder Mensch hat einen Willen. Niemand würde einem Menschen, selbst wenn er komplexe Beeinträchtigungen hat und sich kaum regen und äußern kann, den Willen absprechen. Auch bei eingeschränkten Möglichkeiten und Fähigkeiten äußern Menschen ihren Willen. Unsere große Kunst ist es dann, den Ausdruck des Willens zu verstehen, und nicht, ihn zu interpretieren.

      1.Willensorientierung zwischen Theorie und Praxis

      In der Theorie hat das Prinzip der Willensorientierung einen philosophischen Charakter (Raspel 2019, S. 67 ff.), es wirkt für Praktiker/innen faszinierend und es macht vielen Lust, mit dem Willen als „Ausdruck eigensinniger Individualität“ (Fehren/Hinte 2013, S. 14) zu arbeiten, denn „er führt oft zu den psychischen Kraftquellen des Menschen, aus denen er Energie und Würde schöpft“ (ebd). In der Praxis zeigt sich die Orientierung am Willen allerdings als äußerst anspruchsvoller Grundsatz. Die damit verbundene Haltung beschreibt Wolfgang Hinte wie folgt:

      „Letztendlich geht es darum, wegzukommen von der auf die Klientin bzw. den Klienten bezogenen Haltung des ,Ich weiß, was gut ist und das tun wir jetzt‘ über das Eigentlich weiß ich schon, was für Dich gut ist, aber ich höre Dir erstmal zu‘ hin zum konsequenten ,Dein Wille wird ernst genommen – er ist mir nicht Befehl, aber ich will mich ihm mit meinen fachlichen und den leistungsgesetzlichen Möglichkeiten stellen‘.“ (Hinte 2019, S. 13/14).

      Daran orientiert zu arbeiten, setzt in der Sozialen Arbeit zunächst eine Klärung darüber voraus, ob der Kontext der Zusammenarbeit zwischen Klient/innensystem und Helfer/innensystem im Bereich der Freiwilligkeit verortet ist oder ob es sich um eine Zusammenarbeit im Zwangskontext