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Sozialraumorientierung 4.0


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Ressourcen einher. Wenn ich diesen Zusammenhang in Trainings zum Fachkonzept Sozialraumorientierung betone, dann finden die Teilnehmenden in der Regel viele gute Worte, die den Prozess und das Ziel dieser Arbeit umschreiben: Es geht um Befähigung, um ein Gefühl von Selbstwirksamkeit, um Empowerment oder um Selbstermächtigung. Im weiterführenden Dialog wird mit Fachkräften immer wieder deutlich, dass das diesen Umschreibungen zugrunde liegende Prinzip der konsequenten Ressourcenorientierung allen Fachkräften und allen Organisationen zu eigen zu sein scheint. Alle arbeiten ressourcenorientiert.3 Frage ich weiter nach, wie das in der Praxis konkret passiert (nicht nur auf dem Papier oder im Aktenschrank, sondern als tatsächlich gelebte Praxis), wird es oft still. Darauf wissen nicht viele eine Antwort. Die Aufgabe der Unterstützung von Selbsthilfekräften scheint präsent zu sein (und auch die Verbindung zur Ressourcenorientierung wirkt klar), dennoch gibt es in der Berufsfeldpraxis Engpässe in der konsequenten Umsetzung.

      C. Drei Hinweise

      Reflexion

      Die Orientierung am Willen erfordert in vielen Fällen ein kontinuierliches Schärfen von Haltung und ein Überprüfen eigener Menschenbilder und ethischer Fragestellungen. Wenn es heikel und herausfordernd wird, weil Menschen aufgrund individueller Lebensentwürfe und Lösungswege unbequem werden, zu scheitern drohen oder gesellschaftliche Normen verletzen, braucht es reflexive Einheiten (z. B. in Form von kollegialer Beratung) zur Klärung von Haltungsfragen.

      Disruptives Denken

      Menschen wollen nicht immer das, was anderen Menschen (und Institutionen) gut in den Kram passt. Und so kommt es bei der konsequent am Willen orientierten Arbeit zwangsläufig zu Spannungsfeldern zwischen den Klienten/innen und Mitarbeitenden bzw. Verantwortungsträgern/innen öffentlicher und freier Träger, beispielsweise, wenn der Wille eines einzelnen Menschen nicht mehr mit dem Leistungskatalog oder der Struktur der Einrichtung kompatibel ist. Beispiel: Frau Y. will nicht mehr in die Werkstatt gehen, muss aber gehen, weil das Wohnheim tagsüber personell nicht besetzt ist. Die pragmatische Lösung ist: Frau Y. geht in die Werkstatt. Ethisch vertretbar? Am Willen orientiert? Eine zweite pragmatische Lösung könnte sein: Man stellt sich die Frage, ob Frau Y. noch in die Einrichtung passt oder ob es nicht besser ist, für sie einen neuen Platz in einer anderen Einrichtung zu suchen. Am Willen orientiert? Zu einfach? Zu pragmatisch? Man könnte aber auch einen kreativen Impuls aus dem Spannungsfeld ableiten, der dazu einlädt, das Bestehende radikal in Frage zu stellen: „Wie müssen wir uns als Organisation verändern/weiterentwickeln, sodass wir (agilere) Arrangements gestalten können, die dazu beitragen, dass Menschen auf ihre (eigensinnige) Art und Weise ‚klar kommen‘?“ Wenn man dann (neben dem Prinzip der Orientierung am Willen) weitere Leitgedanken des Fachkonzepts Sozialraumorientierung bei der Gestaltung ebendieser Arrangements berücksichtigt (Unterstützung von Selbsthilfekräften und Eigeninitiative, Ressourcenorientierung, zielgruppen- und bereichsübergreifende Aktivitäten, Vernetzung und Integration der verschiedenen sozialen Dienste), dann geht es beim disruptiven Denken nicht darum, den Leistungskatalog auszuweiten (und sich als Organisation möglicherweise weiter aufzublähen), sondern vielmehr darum, auf Basis sozialräumlicher Ressourcen einfache, elegante und effektive Wege zu finden, Menschen bei der Realisierung ihres Willens zu begleiten. Möglicherweise auch mit dem Nebeneffekt, die eigene Institution zurückzubauen.

      Handwerkszeug

      Weil es eben nicht leicht ist, gehört zur Willenserkundung ein breiter Fundus an Werkzeugen und Instrumenten. In unseren Fortbildungen zur Arbeit mit dem Willen trainieren oder empfehlen wir v. a. folgende:

      Aktives Zuhören, Fragen stellen (offen – geschlossen, lösungsfokussiert – ressourcenfokussiert – zielorientiert, zirkulär), Meta-Modell-Fragen, Pacing/ Leading/Rapport, SMART+3-Ziel-Arbeit, Motto-Ziel-Arbeit, Überprüfung der Willens- und Zielökologie, Ressourcenfischen (unter Einsatz diverser Instrumente, wie z. B. Ressourcenkarte, Eco-Map etc.), Embodiment, Framing, Pre-Framing, Reframing, Genogrammarbeit, Kollegiale Beratung, Familienrat, Motivational Interviewing.

      4.Schluss

      Aktuell gibt es v. a. drei Kritikpunkte an der am Willen ausgerichteten Sozialen Arbeit:

      1.Es gibt den einen Willen nicht.

      2.Klient/innen Sozialer Arbeit haben keinen Willen.

      3.Der Wille eignet sich nicht, um die Leistungsberechtigung zu überprüfen.

      Da der erste Punkt im Grunde kaum Gewicht hat, die Antwort mit einem „Na und?“ reichlich kurz ausfällt und der zweite Punkt bereits diskutiert wurde (s. auch Raspel 2019, S. 67-84), möchte ich mich auf das dritte Argument konzentrieren.

      Bei der Orientierung am Willen geht es nicht um die regelgeleitete Feststellung der formalen Leistungsberechtigung. Ausgangslage von Hilfen sind meist subjektiv empfundene und zum Teil objektiv nachvollziehbare Problemlagen der Betroffenen. Dadurch ist ein erster Zugang zum Unterstützungssystem möglich. Häufig werden nach dem Überprüfen der formalen Leistungsberechtigung Ziele formuliert – manchmal mit der Person, oft auch für die Person – und daran anschließend werden Maßnahmen zur Unterstützung angeboten. Das helfende System folgt mit diesem Vorgehen allerdings eher einer Logik der zu platzierenden Angebote als einer Logik der Begleitung von Entwicklung und Veränderung. Und genau hier setzt die Orientierung am Willen an, die auf der Haltung beruht, dass sich ohne den Willen der Person weder Entwicklung noch Veränderung ethisch vertretbar realisieren lassen (s. Gromann 2019, S. 326-328). Es geht dann nicht mehr (nur) darum, unter vorgefertigten Hilfeangeboten das passendste auszuwählen, es geht darum, einzuschätzen, ob Veränderung und Entwicklung gewollt sind und somit potentiell gelingen können.

      Die in der Sozialraumorientierung postulierte Orientierung am Willen stellt die Frage des Bedarfs nicht als eine von Fachkräften zu beantwortende Frage in den Raum, sondern schafft ein professionelles Setting, in dem Fachkräfte die vom Klientensystem dargestellten Problemkonstrukte zu verstehen versuchen. Der Bedarf wird lebensweltorientiert erfasst.

      Haben Helfersystem und Klientensystem den Eindruck, verstanden zu haben, worum es geht, wird daraus nicht automatisch die Installation einer Hilfe abgeleitet. Es geht dann vielmehr um einen co-kreativen Prozess der Entscheidungsfindung bei dem Klienten/der Klientin: Möchte ich wirklich in die Veränderung/Entwicklung gehen, was v. a. bedeutet, dass ich selbst aktiv werde und mich wahrscheinlich ganz schön fordern wird? Damit ist die Feststellung des institutionellen Leistungsanspruchs nicht ersetzt, sie wird aber ergänzend qualifiziert.

      Literatur

      Bandler, Richard/Grinder, John (2011): Metasprache und Psychotherapie. Die Struktur der Magie I, 12., neu übersetzte Auflage. Paderborn

      Biene, Michael (2017): Systemische Interaktionstherapie und -beratung. Unveröffentlichte Seminarunterlagen

      Bieri, Peter (2001): Der Wille: Was ist das? In: Bieri, Peter (2001): Das Handwerk der Freiheit. München/Wien

      Burns, David (2011): Feeling Good. Depressionen überwinden. Selbstachtung gewinnen. Wie Sie lernen, sich wieder wohlzufühlen, 3. Auflage. Paderborn

      De Shazer, Steve/Dolan, Yvonne (2008): Mehr als ein Wunder. Lösungsfokussierte Kurztherapie heute. Heidelberg

      Fehren, Oliver/Hinte, Wolfgang (2013): Sozialraumorientierung – Fachkonzept oder Sparprogramm? Berlin

      Früchtel, Frank/Budde, Wolfgang/Cyprian, Gudrun (2013): Sozialer Raum und Soziale Arbeit. Fieldbook: Methoden und Techniken, 3., überarbeitete Auflage. Wiesbaden

      Gehring, Ulrich/Straub, Christoph (2019): Motivierende Gesprächsführung in der suchtmedizinischen Grundversorgung. In: Bastigkeit, Matthias/ Weber, Bernd (Hg.) (2019): Suchtmedizinische Grundversorgung. Kursbuch zum Curriculum der Landesärztekammern. Stuttgart

      Gromann, Petra (2019): Zur Bedeutung selbstbestimmter Ziele bei der Gesamt- und Teilhabeplanung und für die sogenannte „Wirkungsorientierung“ im Bundesteilhabegesetz. In: Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e.V. (NDV), 7/2019, S. 326-329

      Hinte, Wolfgang (2019): Das Fachkonzept