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Sozialraumorientierung 4.0


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man ein Auto in die Autowerkstatt, erwartet man Expert/innen, die Probleme durch fachkundiges Geschick lösen (Lüttringhaus/Streich 2006, S. 304). Geht man zum Jugendamt, begegnen einem komische Fragen danach, wie man es selbst angehen könnte, was man schon alles versucht habe oder wie einen der Rest der Familie noch mehr unterstützen könne. Was Fachkräfte Sozialer Arbeit als hochgradig professionell bewerten, wirkt auf Menschen, die Unterstützung suchen, möglicherweise fremd bis hin zu inkompetent. Neben dem zweiten Prinzip des Fachkonzepts Sozialraumorientierung (Unterstützung von Selbsthilfekräften und Eigeninitiative), das darauf verweist, Menschen dabei zu begleiten, Soziale Arbeit möglichst schnell und effektiv wieder loszuwerden, ist in diesem Kontext die Unterscheidung von Wunsch und Wille von Bedeutung.

      „Wenn Menschen mit der Formulierung eines Bedarfs die Verantwortung für die dafür notwendigen Handlungsschritte an die fragende Instanz delegieren, haben sie – nach unserem Verständnis – keinen Willen artikuliert, sondern mehr oder weniger offen einen Wunsch zu Gehör gebracht, für dessen Erfüllung andere zuständig sind.“ (Hinte/Treeß 2014, S. 46).

      Diese Irritation gilt es in jedem Fall aufzuklären. Manchmal mit der Konsequenz, dass Menschen dann doch nicht mehr wollen. Auf die Klärung folgt also ein Prozess der Entscheidungsfindung.

      „Will ich das wirklich?“ „Bin ich wirklich bereit, in die Veränderung zu gehen und an mir zu arbeiten (und möglicherweise ist das richtig harte Arbeit!)?“

      •Klient/in will tatsächlich nicht, sondern meint, zu müssen: Im Gefährdungsbereich muss ein/e Klient/in. Im Bereich der Freiwilligkeit muss er/sie nicht. Er/sie hat einen Anspruch darauf, Unterstützung zu erfahren, aber auch das Recht, auszusteigen oder gar nicht erst mitzumachen. Hierüber gilt es aufzuklären und mit denjenigen Institutionen zu arbeiten (rechtliche Grundlagen erklären, Haltung kommunizieren, Kooperationen gestalten…), die solche Klient/innen schicken und meinen, dass die geschickten Menschen durch soziale Arbeit belehrt, bekehrt oder geheilt werden müssten.

      •Klient/in hat unterschiedliche und zum Teil gegensätzliche Willen: Eine Königsdisziplin der Willenserkundung und Auftragsklärung ist hier angesagt – der Aushandlungsprozess.

      3.Anforderungen an die Fachkräfte

      Die Umsetzung des Prinzips der Willensorientierung fordert die Fachkräfte auf drei Ebenen: Haltung, Aufgaben und Handwerkszeug.

      A. Haltung

      „Lasst die Menschen ihre Lernerfahrungen machen, in ihrer Umgebung, mit ihren Sinngehalten, mit ihren Werten und mit ihren Zielen.“ (Hinte 2005, S. 94). So ein Plädoyer der non-direktiven Pädagogik, auf der das Fachkonzept Sozialraumorientierung mit dem Prinzip der Orientierung am Willen u. a. fußt. Das der non-direktiven Pädagogik zugrunde liegende Menschenbild basiert auf der Humanistischen Psychologie, die die Einzigartigkeit des einzelnen Menschen betont: „Der Wille und die Identität des Individuums sind für die Humanistischen Psychologen unantastbare Werte. Sie wollen Menschen nicht klassifizieren, sondern sie in ihrem Verhalten, Denken und Fühlen verstehen, um auf dieser Grundlage psychisches Wachstum zu fördern. Voreilige Interpretationen wie ‚Sie sind schizophren‘, ‚Sie sind anal gestört‘ oder ‚Sie sind psychotisch‘ erschweren dieses Wachstum.“ (Hinte 2005, S. 59).

      Mit dieser Haltung lässt sich gut und leicht arbeiten, vorausgesetzt, der leistungsberechtigte Mensch hat einen Willen, der uns Fachkräften gut gefällt, den wir nachvollziehen können und der uns keine Sorgen bereitet. Was aber, wenn der Wille aus unserer Perspektive problematisch oder gar „gefährlich“ ist? An dieser Stelle wird es für manche Fachkräfte heikel. Sie sprechen dann von der Fürsorgepflicht, die sie sich für bestimmte Menschen/Menschengruppen zuschreiben. Bei einem Menschen in der teilbetreuten Wohngruppe, der endlich alleine in seinen eigenen vier Wänden leben möchte und dem das auch von allen zugetraut wird, ist es leicht, am Willen orientiert zu arbeiten. Bei einem Menschen in der teilbetreuten Wohngruppe, der für sich entscheidet, nicht mehr mit seiner Assistentin einkaufen gehen zu wollen (weil die ihm immer nur gesundes Zeug einreden will), sondern mit der freundlichen Nachbarin (die genauso gerne Chips und Tiefkühlpizza kauft wie er), wird es ein wenig schwieriger. Bei einem Menschen im Wohnheim, der abends liebend gerne seine vier bis fünf Wurstbrote isst, obwohl der Arzt mahnt, dass er immer dicker wird und das Risiko von lebensbedrohlichen Krankheiten steigt, ebenfalls.

      Und bei einem Menschen im Wohnheim für Senioren, der viel trinkt, schnupft, raucht und sich aus Sicht der Fachkräfte nicht mehr selbst regulieren kann, kommt man möglicherweise an ethische oder auch rechtliche Grenzen der Willensorientierung – bis hin zur Grenze in den Kontext der Abwendung von Selbst- oder Fremdgefährdung. Hier nicht aus der Haltung zu fallen erfordert eine ständige Reflexion der eigenen fachlichen Einstellung. Am Beispiel der vier bis fünf Wurstbrote: „Wie gehen wir damit um, dass wir am Willen orientiert arbeiten und Herr X. immer dicker wird, der Arzt von drohender Fettleber spricht, er selbst aber mit seiner Ernährung vollauf zufrieden ist?“. So – oder so ähnlich – könnte eine Leitfrage der kollegialen Beratung zur Klärung eben solcher Haltungsfragen lauten. Es wäre natürlich ganz pragmatisch, Herrn X. im Wohnheim von vier bis fünf Wurstbroten auf drei bis vier Wurstbrote runterzubringen und ihm dafür noch etwas Rohkost anzubieten. Wäre das auch ethisch vertretbar und würde man dann auch noch am Willen orientiert arbeiten?

      B. Aufgaben

      Kontextklärung

      Wie im Beitrag bereits erläutert, braucht die Arbeit mit dem Willen eine konsequente Abgrenzung zu Zwangskontexten in der Sozialen Arbeit. Es macht einen Unterschied, ob ich selbst interessiert daran bin, mein Leben auf eine bestimmte Art zu gestalten oder zu verändern, oder ob die Aufforderung dazu von außen an mich herangetragen wird und ich dem nachkommen muss und andernfalls mit Konsequenzen konfrontiert werde. Daraus resultiert die Aufgabe, Kontextklärung auf Basis geltenden Rechts vorzunehmen, sofern Selbst- oder Fremdgefährdung vermutet wird, droht oder akut im Raum steht.

      Informieren

      Nicht jeder Wille hat etwas mit Sozialer Arbeit zu tun und nicht jeder Kontakt zum helfenden System bedeutet, dass Menschen, die Kontakt suchen oder für die Kontakt hergestellt wurde, einen Willen haben, der etwas mit Sozialer Arbeit zu tun hat. Das bedeutet in vielen Fällen, dass Fachkräfte darüber aufklären, wie Soziale Arbeit (im Unterschied zu so gut wie allen anderen Dienstleistungssektoren unserer Gesellschaft) vorgeht und welche Konsequenz das für die Leistungsempfänger bedeutet. Gerne auch, indem Soziale Arbeit Verantwortung für die potentiellen Missverständnisse übernimmt:

      „Es tut mir leid, wenn ich Ihnen den Eindruck vermittelt habe, ich könnte Ihr Problem mit Ihrem Sohn lösen. Das kann ich tatsächlich nicht. Das Einzige, was ich Ihnen anbieten kann, ist, dass ich Sie dabei unterstütze, herauszufinden, wie Sie Ihre Situation verbessern können. Wären Sie daran interessiert? Auch wenn das für Sie als Mutter richtig harte Arbeit bedeuten könnte?“ Kommen Menschen auf Sozialarbeitende zu, weil andere Instanzen das von ihnen einfordern oder erwarten, gilt es darüber zu informieren, was Hilfe im Kontext von Freiwilligkeit bedeutet. Auch hier wieder gerne, indem die Fachkräfte Verantwortung für das vorliegende Missverständnis übernehmen: „Es tut mir leid, dass wir Ihnen offensichtlich den Eindruck vermittelt haben, dass Sie mit uns zusammenarbeiten müssen. Das müssen Sie tatsächlich nicht. Niemand kann Sie in Ihrer Situation verpflichten, mit uns zu arbeiten. Wenn Sie wollen, können wir uns jetzt schon voneinander verabschieden. Für Sie führt das zu keinerlei Konsequenzen.“

      Problemkonstruktionen als subjektive Sichtweise erfassen

      Auch wenn Sprachfiguren wie „Was ist das Problem?“ suggestiv eine Opfer- und Inkompetenzwahrnehmung unterstützen und ungünstige Realitätskonstruktionen stärken (s. dazu Schmidt 2004, S. 90), ist der Versuch, die Problemkonstruktion des hilfesuchenden Menschen zu verstehen und zu würden, in vielen Fällen der Einstieg in die Willenserkundung.

      Unterstützung von Selbsthilfekräften

      Weil der Wille Ressourcen voraussetzt und sich Menschen in der Zusammenarbeit mit Sozialarbeitenden nicht immer in einem ressourcenvollen Zustand befinden, geht mit der am Willen orientierten