Eni Becker

Angst


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zu kämpfen. Bei Angst erhöht sich der Herzschlag, die peripheren Blutgefäße verengen sich, der Blutdruck steigt. Die Muskeln werden nun besonders gut mit Blut versorgt, um schnelles Laufen oder Kampf zu ermöglichen. Die Atmung beschleunigt sich, so dass der Organismus ausreichend mit Sauerstoff versorgt wird. Die Pupillen erweitern sich, um das Sehen zu verbessern. All diese physiologischen Veränderungen dienen der kurzzeitigen Aktivierung des Organismus in einer lebensbedrohlichen Situation.

      In unserem heutigen Alltag aber sind wir solchen Situationen meistens nicht mehr ausgesetzt. Statt mit einem Tiger kämpfen wir z. B. damit, eine Rede halten zu müssen. Hier hilft uns die körperliche Reaktion auf Kampf oder Flucht nicht, im Gegenteil, sie kann hinderlich werden. Dass wir schwitzen, unser Herz rast und uns die Hände zittern, stört unsere Konzentration und verstärkt das Gefühl der Angst noch. Für manche ist dies der Beginn des Teufelskreises der Angst. Die erlebte Angst ist nicht mehr funktional, und es kann sich eine Angststörung entwickeln.

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      Angst als Motor des Denkens?

      Was ist also in der heutigen Zeit der Nutzen der Angst? Die Meinungen gehen hier stark auseinander: Viele denken, dass Angst uns schützt, andere argumentieren, dass unsere Fähigkeit, uns anzupassen und für die Zukunft zu planen, gerade von der Angst erst ermöglicht wird. Sie meinen, dass Angst die Wurzel des Menschseins an sich ist. Die Rolle der Angst geht damit weit über einen Überlebensmechanismus hinaus. Ihr kommt eine umfassende Aufgabe verbunden mit dem Denken zu. Diese Verbindung wurde in den 1980er Jahren aufgegriffen und plötzlich sehr aktuell. Mit den Kognitiven Therapien wurden neue erfolgreiche Behandlungen für die Angststörungen gefunden. Gleichzeitig brachte die kognitive Psychologie unser Verständnis für den Zusammenhang zwischen Emotionen und Kognitionen vorwärts. Nie war diese Verbindung so fruchtbar wie im Bereich der Angstforschung. Angst beinhaltet das Zusammenspiel von Aufmerksamkeit, Wahrnehmung, Schlussfolgern und Gedächtnis auf einzigartige Weise. Viele dieser Prozesse finden statt, ohne dass sie uns bewusst werden, aber beeinflussen unser Verhalten dennoch stark.

      Bezüglich der Behandlung der Angststörungen werden interessante und neue Ansätze entwickelt, welche teilweise direkt aus der kognitiven Forschung entstanden sind. Diese neuen Ideen führen dazu, dass sich unsere Sicht auf die Psychopathologie und die Therapie verändert. Angst ist somit aus wissenschaftlicher Sicht eines der zentralen Forschungsgebiete und aus gesellschaftlicher Sicht immer noch eines unserer größten Probleme.

      Angst, Furcht und Ängstlichkeit

      Die Definition der Angst fällt nicht leicht. Hinzu kommt, dass es eine verwirrende Vielzahl von Begriffen gibt, die oft synonym verwendet werden, aber streng genommen unterschieden werden müssen. Hierzu soll vor allem auf „Angst“ (→ anxiety), „Furcht“ (→ fear) und „Ängstlichkeit“ (→ trait anxiety) eingegangen werden.

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      Definition

      Unter Angst wird ein Zustand verstanden, der mit einem negativen Gefühl der Anspannung einhergeht und sich auf eine Bedrohung in der Zukunft richtet. Die Art der Bedrohung bleibt aber im Allgemeinen eher vage. Der Begriff → Furcht dagegen ist reserviert für eine starke emotionale Reaktion auf eine wahrgenommene, tatsächliche Bedrohung. Diese Bedrohung ist definierbar, wie z. B. eine giftige Schlange.

      Furchtreaktionen sind meistens sehr intensiv, die physiologische Erregung sehr stark. Furcht hat somit einen Fokus. Normalerweise bedeutet das auch, dass die Furchtreaktion schnell auftritt, dann aber auch relativ schnell wieder abklingt, sobald die Bedrohung vorbei ist. Bei Angst dagegen ist der Fokus sehr verschwommen. Dadurch dauert die Angst auch viel länger an, ist aber weniger stark ausgeprägt in ihrer physiologischen Reaktion. Angst wird eher im Zusammenhang mit einem Zustand der → Vigilanz gesehen, einer ständigen Wachsamkeit, während Furcht mit einer Alarmreaktion einhergeht.

      Neben der Unterscheidung zwischen Angst und Furcht besteht parallel auch noch die Unterscheidung zwischen Angst und → Ängstlichkeit. Spätestens seit Spielberger (1966) wird unterschieden zwischen Angst als Zustand („→ state anxiety“, Zustandsangst), und Ängstlichkeit als relativ stabiler Bewertungs- und Verhaltensdisposition bzw. als Persönlichkeitskonstrukt („→ trait anxiety“).

      Definition

      Aufgrund seiner Fragebogenstudien beschreibt Spielberger (1966) Zustandsangst als die von einer Erregung des autonomen Nervensystems begleitete subjektive Wahrnehmung von Gefühlen der Besorgnis und Spannung. → Ängstlichkeit wird dagegen als Prädisposition verstanden, die die Person veranlasst, eine Vielzahl von Situationen als bedrohlich zu erleben, und dabei mit Zustandsangst zu reagieren.

      Die Abgrenzbarkeit der beiden Angstkonzepte ist durch eine große Anzahl von Untersuchungen belegt. Theorien zu Zustandsangst und Ängstlichkeit (z. B. Freud, 1895, Eysenck, 1992, Gray, 1971) sind ein wichtiger Bestandteil der Erforschung von Angst und Angststörungen.

Ähnlichkeiten zwischen Angst und Furcht:
Erwartung von Gefahr oder etwas Unangenehmen
Anspannung
Unbehagen, Unruhe
erhöhte Erregung
negativer Affekt
zukunftsorientiert
Unterschiede zwischen Angst und Furcht
AngstFurcht
erwartete Gefahrakute Gefahr
Quelle der Bedrohung ist unklarfokussiert auf die Bedrohung
undeutliche Beziehung zwischen Bedrohung und Furchtdeutliche Beziehung zwischen Bedrohung und Furcht
normalerweise andauerndnormalerweise episodisch
anhaltendwenn die Bedrohung vorbei ist, geht auch die Furcht vorbei
VigilanzAlarmreaktion

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      Hier zwei Fallbeschreibungen, um den Unterschied zu verdeutlichen:

      Frau D. wacht morgens oft schon gegen 5.00 Uhr auf. Sofort hat sie das Gefühl, dass etwas nicht stimmt, ihr ist unwohl, sie fühlt sich bedrückt. Sie überlegt, was der Tag wohl bringen mag und ob es eine Ursache für ihre gedrückte Stimmung gibt. Eigentlich ist es ein Tag wie jeder andere, und doch fühlt sich Frau D. ihm nicht wirklich gewachsen. Sie beginnt, sich Sorgen zu machen: „Habe ich an alles gedacht? Was müssen die Kinder heute tun? Hoffentlich geht bei denen in der Schule alles gut.“ Ein beunruhigender Gedanke jagt den anderen, und Frau D. wird immer wacher, obwohl sie eigentlich noch schlafen möchte. Sie beginnt nun, sich darüber zu sorgen, dass ihr Schlaf so schlecht geworden ist, und versucht verzweifelt, mit dem Sorgen aufzuhören. Aber das will ihr nicht gelingen, müde und voller Unruhe steht sie um 6.00 Uhr auf, um den Tag zu beginnen.

      Frau H. sitzt im Flugzeug, als der Pilot durchgibt, dass sie auf eine Gewitterfront zufliegen. Die Passagiere werden gebeten, sich anzuschnallen. Frau H. fliegt häufig