aktuelle, durch den Menschen verursachte Klimaveränderung und die Ausbreitung von nicht-einheimischen Arten sind zwei hochdynamisch ablaufende Prozesse, die verschiedene Ursachen haben. Dennoch sind ihr Verhalten und ihre Auswirkungen nicht völlig unabhängig voneinander, denn es mehren sich Anzeichen, dass viele Aspekte der Klimaveränderung nicht-einheimische und invasive Arten fördern.
Die natürlichen Verbreitungsgrenzen mancher Arten haben sich als Folge der Klimaveränderung verschoben. Zwar sind Arten hiervon positiv wie negativ betroffen, da viele invasive Arten jedoch eher tolerant gegenüber ihrer Umwelt sind, ergeben sich für diese mehr Vorteile. In Europa ist mit höheren Durchschnittstemperaturen zu rechnen, und dies bedeutet für viele nicht-einheimische Arten, dass sie leichter in Europa Fuß fassen können und dort auf größere Gebiete treffen werden, die ihnen klimatisch zusagen. Auch all die nicht-europäischen Arten, die sich bereits im Mittelmeergebiet etabliert haben, können sich nun leichter nach Mitteleuropa ausbreiten. Natürlich ist es auch mediterranen Arten leichter möglich, ihr Areal weiter nach Norden auszubreiten.
Mildere Winter ermöglichen eine erfolgreiche Überwinterung an Orten außerhalb des bisherigen Verbreitungebietes, z. B. bei Pflanzen oder Wirbellosen, aber auch ein Überleben außerhalb der bisherigen wärmebegünstigten Vorkommen in Gewächshäusern oder anderen Gebäuden. Daher haben nun invasive Arten, die bisher die wärmeren Innenstädte als Inselpopulation nutzten, mehr Möglichkeiten, ihr Areal an die Peripherie der Städte auszudehnen. Wärmere Sommertage verlängern die Reproduktionsphase und erlauben ausgedehntere Verbreitungsflüge etwa bei Insekten (Walther et al. 2009).
In den letzten beiden Jahrzehnten haben Meldungen über das Auftreten neuer Pflanzenschädlinge wie Fransenflügler (Thysanoptera), Blattläuse (Aphidoidea) oder Schildläuse (Coccoidea) stark zugenommen. In ähnlicher Weise werden auch Dipteren, vor allem Sandmücken (Phlebotominae) und Stechmücken (Culicidae) oder Spinnentiere (z. B. Zecken, Ixodidae) nachgewiesen, die eine Reihe von Krankheiten auf den Menschen und seine Nutztiere übertragen. Die meisten dieser Arten sind wärmeliebend oder werden durch die klimatischen Veränderungen begünstigt.
Daneben gibt es aber auch einige von Neobioten leicht zu besiedelnde Lebensräume. In erster Linie werden hier «gestörte» Lebensräume genannt, also Standorte mit hohem menschlichem Einfluss wie die Agrarlandschaft, Randstrukturen an Straßen, Kanälen und Eisenbahnlinien sowie der gesamte urbane Siedlungsraum. Natürlich gestörte Lebensräume wie Flussufer gehören allerdings auch in diese Aufzählung. Solche Bereiche zeichnen sich durch geringere Konkurrenz, hohe Ressourcendynamik, Nährstoffreichtum und wenig natürliche Gegenspieler aus.
Rein theoretisch bietet die Feindfreiheit im Invasionsgebiet einen guten Ansatz, um das invasive Verhalten einer nicht-einheimischen Art zu erklären. Im eigenen Ursprungsgebiet ist jede Art Teil eines langen, koevolutiven Geschehens. Sie hat spezielle Krankheitserreger und Parasiten, Feinde und Konkurrenten. Ein beträchtlicher Anteil der verfügbaren Ressourcen geht in die Verteidigung gegen diese zahlreichen Gegenspieler, sodass weniger Energie in eigenes Körperwachstum und vor allem in die Vermehrung investiert werden kann. Der neue Lebensraum, das zukünftige Invasionsgebiet, zeichnet sich durch das Fehlen all dieser speziellen Gegenspieler aus, ist also feindfrei. Die verfügbaren Ressourcen können vollumfänglich für Wachstum und Reproduktion eingesetzt werden, sodass viele invasive Arten im neuen Gebiet größer sind und mehr Nachkommen haben als in ihrem Ursprungsgebiet. Diese erhöhte Fitness ist dann die Grundlage für ihre invasiven Eigenschaften.
Invasive Arten wurden gelegentlich als prinzipiell überlegen gegenüber den einheimischen Arten bezeichnet. In dieser extremen Form trifft das sicherlich nicht zu, viele invasive Arten sind jedoch bemerkenswert unspezialisiert, sodass sie in vielen verschiedenen Lebensräumen existieren können. Auch der Besitz von «neuen Waffen» kann für invasive Arten förderlich sein, wenn die Konkurrenz im neu eroberten Areal diese noch nicht kennt. Hierunter verstehen wir beispielsweise chemische Inhaltsstoffe, die, über die Wurzel abgesondert, das Wurzelwachstum benachbarter einheimischer Pflanzen hemmen (Allelopathie), oder die, in die Blätter eingelagert, Fraßfeinde abhalten (sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe). Mit solchen Waffen kann in der Tat der Erfolg einiger nicht-einheimischer Pflanzen erklärt werden.
Andere Erklärungsmuster setzen bei der Struktur des Lebensraumes an. In naturnahen Gesellschaften, so wird angenommen, sind alle ökologischen Nischen besetzt, die Artengesellschaft ist gesättigt und neue, nicht-einheimische Arten können sich nicht etablieren. Dieser Ansatz erklärt beispielsweise, warum Waldökosysteme weniger invasive Arten aufweisen als die oben erwähnten gestörten Lebensräume oder warum manche artenreiche Ökosysteme geschützter gegen biologische Invasionen sind als artenarme. In diesem Zusammenhang spricht man auch gerne vom biotischen Widerstand, der dem Invasionsdruck nicht-einheimischer Arten entgegenwirkt. Insgesamt geben die zahlreichen theoretischen Ansätze wichtige Hinweise auf die Frage, warum einige nicht-einheimische Arten invasiv werden, beziehen sich aber immer nur auf bestimmte Lebensräume und Arten. Als Prognoseinstrument helfen solche Ansätze jedoch nur begrenzt. Eine gute Übersicht zu den theoretischen Ansätzen findet sich in Hufbauer & Torchin (2007).
Artenzahlen einheimischer und nicht-einheimischer Arten
In Deutschland leben mindestens 70 000 einheimische Arten, hierunter etwa 14 000 Pilzarten, 8000 Pflanzenarten und 48 000 Tierarten (Tabelle 2). Die tatsächliche Zahl kann durchaus um etwa 10 000 Arten höher sein, da einige Gruppen (u. a. Pilze, Einzeller, Nematoden) nach wie vor nur ungenügend erforscht sind. Für Österreich liegt die Gesamtzahl bei rund 67 500, und für die Schweiz gibt es keine vergleichbare Auflistung der dort vorkommenden Arten.
Die Zahl der nicht-einheimischen Arten in Deutschland beträgt 1935, in Österreich 1381, in der Schweiz 824 (DAISIE-Datenbank von Oktober 2009, www.europe-aliens.org). Auch hier ist die Dunkelziffer groß, da in vielen Gruppen der Erforschungsgrad immer noch gering ist. So gibt die NOBANIS-Datenbank beispielsweise für Deutschland 2269 und für Österreich 2038 nicht-einheimische Arten an (www.nobanis.org). Auf die Artenzahlen in Deutschland bezogen, machen die nicht-einheimischen Arten rund 3 % aus, je nach Organismengruppe ergeben sich jedoch höhere Anteile. So sind 7 % der Ringelwurmarten nicht einheimisch, bei den Mollusken 14 %, bei den Gefäßpflanzen 21 % und bei den Wirbeltieren 24 %. Bei der größten Tiergruppe, den Insekten, die 48 % aller Arten ausmachen, beträgt der bekannte Anteil an nicht-einheimischen Arten lediglich 1,7 %, ein deutlicher Hinweis auf Erfassungslücken. Ähnlich ist die Situation bei den Pilzen: Sie umfassen 21 % aller bekannten Arten Deutschlands, unter den nicht-einheimischen Arten stellen sie aber nur 0,3 % dar.
Tab. 2: Anzahl nicht-einheimischer Arten im Vergleich zu einheimischen Arten, kombiniert nach Wittenberg (2005) und DAISIE (2009). Die NOBANIS-Datenbank gibt für Deutschland 2269 und für Österreich 2038 nicht-einheimische Arten an (www.nobanis.org), die Daten sind wegen unterschiedlicher taxonomischer Untergliederung jedoch nicht einfach miteinander verrechenbar.
DAISIE
Im EU-Projekt DAISIE (Delivering Alien Invasive Species Inventories for Europe) arbeiteten 182 Wissenschaftler von 2005 bis 2008 zusammen, um europaweit Daten über das Vorkommen und die Verbreitung von Neobioten zusammenzutragen. Bis heute umfasst diese Datenbank rund 11 000 Arten von Mikroorganismen, Pilzen, Pflanzen und Tieren, die in den terrestrischen, limnischen und marinen Lebensräumen Europas vorkommen. Die artenreichste Gruppe stellen mit 53 % Pflanzen, mit 23 % folgen Wirbellose. DAISIE listet das Vorkommen dieser Arten länderweise für Europa und die angrenzenden Meeresgebiete auf und enthält Angaben über den Status, also ob eine Art als etabliert oder unbeständig gilt oder ob sie inzwischen wieder erloschen ist. Zudem werden, sofern vorliegend, Berichte über Schäden zitiert, und dann gilt die Art als invasiv. Dies trifft für etwa 12 % der erfassten Arten zu.
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