Fachkraft;
7.2 von Trägern von Einrichtungen und zuständigen Leistungsträgern gegenüber dem überörtlichen Träger mit Blick auf Handlungsleitlinien.
Gemäß § 8a Abs. 1 wird das JA bereits zu einer „Vorfeldarbeit“ ermächtigt und verpflichtet, auch wenn noch nicht feststeht, dass eine Kindeswohlgefährdung besteht. Das JA hat deshalb bei „gewichtigen“ Anhaltspunkten für eine solche im Zusammenwirken mit mehreren Fachkräften das Gefährdungsrisiko einzuschätzen (Satz 1), die Personensorgeberechtigten sowie das Kind/den Jugendlichen einzubeziehen und ggf. einen Hausbesuch durchzuführen (Satz 2) sowie ggf. geeignete Hilfen anzubieten (Satz 3). Dies entspricht den in der Fachpraxis entwickelten Empfehlungen bei einschlägigen Verdachtssituationen (vgl. z. B. Deutscher Städtetag et al. 2009; Deutscher Verein 2006). In diese „Vorfeldarbeit“ sind ausdrücklich auch die Träger von Einrichtungen und Diensten einzubeziehen: Gemäß § 8a Abs. 4 ist in Vereinbarungen mit diesen sicherzustellen, dass deren Fachkräfte den Schutzauftrag ebenfalls in entsprechender Weise wahrnehmen (dazu: Münder 2007).
Hält das JA des Weiteren ein Tätigwerden des Familiengerichts – mit dem Ziel des (Teil-)Entzugs von elterlichen Sorgerechten und in der Regel der Einleitung von Hilfen zur Erziehung außerhalb der Herkunftsfamilie nach §§ 27, 33 ff. – für erforderlich, so hat es das Familiengericht gemäß § 8a Abs. 2 Satz 1 anzurufen. Besteht darüber hinaus eine dringende Gefahr für das Kindeswohl und kann eine familiengerichtliche Entscheidung nicht abgewartet werden, so ist das JA gemäß § 8a Abs. 2 Satz 2 verpflichtet, das Kind oder den Jugendlichen in Obhut zu nehmen. Weitere Einzelheiten dazu sind in § 42 geregelt. Gegebenenfalls hat das JA zur Abwendung der Gefahr nach § 8a Abs. 3 auch mit anderen Leistungsträgern, Einrichtungen der Gesundheitshilfe oder der Polizei zusammenzuarbeiten bzw. diese einzuschalten. Gemäß § 8a Abs. 5 ist zwecks Wahrnehmung des Schutzauftrages bei Kindeswohlgefährdung ein Datenaustausch zwischen den örtlichen Trägern der öffentlichen Jugendhilfe vorgeschrieben, und § 8b beinhaltet explizite Ansprüche auf fachliche Beratung und Begleitung zum Schutz von Kindern und Jugendlichen.
Vertiefung: Gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung im Sinne von § 8a Abs. 1 Satz 1 können z. B. sein (vgl. Münder et al. 2019, § 8a Rz. 12 ff.; Wiesner 2015, § 8a Rdnr. 13a ff.):
massive Verletzung des Kindes
Unterernährung
Suchterkrankung
starke Verängstigung, Apathie
massive Schulverweigerung
ernst zu nehmende Äußerungen über Misshandlungen/Vernachlässigungen
unzureichende Hygiene
körperliche Gewalt
fehlende oder verweigerte Beziehungs- und Bindungsangebote
übermäßige Einschränkung der Autonomie
problematische familiäre Situation
extrem beengter Wohnraum, Vermüllung, Obdachlosigkeit
problematische persönliche Situation der Erziehungspersonen
2.3.2 Garantenstellung
Vertiefung: Fälle des Verdachts bzw. des Auftretens von Kindesmissbrauch oder -vernachlässigung stellen zugleich eine „Gefahr geneigte“ Tätigkeit insbesondere für die fallzuständigen Sozialarbeiterinnen dar, die sich in „Extremfällen“ sogar (durch Unterlassen nach § 13 StGB) strafbar machen können, wenn sie im Falle einer Garantenstellung nicht oder nicht rechtzeitig gehandelt haben (Näheres dazu bei Wabnitz 2020; Kap. 14.2).
2.3.3 Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz (KKG) und Landeskinderschutzgesetze
Vertiefung: Gemäß § 2 KKG (als Artikel 1 BKiSchG) sollen Eltern sowie werdende Mütter und Väter über Unterstützungsangebote in Fragen der Kindesentwicklung, in der Regel in Form eines persönlichen Gespräches, informiert werden. Des Weiteren sind nach § 3 KKG im Bereich der Jugendämter verbindliche Netzwerkstrukturen für die Zusammenarbeit der zuständigen Leistungserbringer und Institutionen im Kinderschutz aufzubauen und weiterzuentwickeln. Schließlich haben alle in § 4 KKG bezeichneten so genannten „Geheimnisträger“ (u. a. Ärzte, psychologisches und sozialpädagogisches Fachpersonal, Lehrer) gegenüber dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe einen Anspruch auf Beratung durch eine „insoweit erfahrene Fachkraft“. Zusätzliche Regelungen zum Kinderschutz sind in den Landeskinderschutzgesetzen enthalten (dazu Wabnitz 2010a).
2.4Historische Entwicklung des Kinder- und Jugendhilferechts
Vertiefung: Hasenclever 1978; Wabnitz 2015
Übersicht 14
Vom Reichsjugendwohlfahrtsgesetz zum SGB VIII. Zur Geschichte der (Kinder- und) Jugendhilfe- gesetzgebung
Reichsjugendwohlfahrtsgesetz (RJWG)
Verkündung am 9.7.1922
erste einheitliche deutsche Regelung
Zusammenführung von Jugendpflege und -fürsorge
Konzentration der örtlichen Jugendhilfe im JA
Regelung des Verhältnisses von öffentlicher und freier Jugendhilfe
Kritik: kein Leistungs-, sondern Organisationsgesetz
Notverordnung vom Februar 1924: Suspendierung zahlreicher Neuregelungen
Nationalsozialistische Diktatur
Bildung eigener Organisationen (z. B. Hitlerjugend)
„Gleichschaltung“ aller öffentlichen Stellen
Novelle des RJWG von 1953
Gesetz für Jugendwohlfahrt (JWG) 1961
Mehrere (gescheiterte) Reformversuche seit den 1970er Jahren
Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) und SGB VIII