Die beiden zentralen Verfassungsnormen sind
Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG („Elternrechte/-pflichten“)
wortgleich mit § 1 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII sowie
Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG („Staatliches Wächteramt“)
wortgleich mit § 1 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII.
Sie werden konkretisiert: insbesondere durch Buch 4. BGB (Familienrecht) (zu Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) bzw. das SGB VIII sowie §§ 1666 ff. BGB (zu Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG)
„Dazwischen“ gibt es umfassende präventive sowie Familien unterstützende, ergänzende und ggf. ersetzende Leistungsangebote der Kinder- und Jugendhilfe (§§ 11 bis 41 SGB VIII).
Zugleich bestehen Spannungsfelder zwischen Elternrechten, Kinderrechten und staatlichen Eingriffsbefugnissen – und in der Kinder- und Jugendhilfe zwischen „Leistung und Eingriff“ bzw. „Hilfe und Kontrolle“(„doppeltes Mandat“ des JA).
Unter dem „Dach“ von Art. 6 Abs. 2 GG entfalten sich Familienrecht und Kinder- und Jugendhilferecht in einer mannigfach aufeinander bezogenen Weise. In Buch 4. BGB Familienrecht wird an zahlreichen Stellen auf das SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfe) verwiesen, und umgekehrt wird an etlichen Stellen im SGB VIII das Regelwerk des Buches 4. BGB Familienrecht vorausgesetzt. Das 4. Buch Familienrecht (BGB) und das SGB VIII stellen sich also in weiten Teilen gleichsam als „siamesische Zwillinge“ dar, die getrennt voneinander nicht vollständig begriffen werden können.
Aus der Sicht des verfassungsrechtlich geschützten Elternrechts nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG kann man des Weiteren Folgendes sagen: Das Kinder- und Jugendhilferecht rankt sich gleichsam „zwiebelförmig“ um dieses herum. Das SGB VIII beinhaltet grundsätzlich freiwillige Leistungen, die in Anspruch genommen werden können, aber nicht in Anspruch genommen werden müssen.
Entsprechend den in Übersicht 5 gekennzeichneten vier Alternativen gestaltet sich das Kinder- und Jugendhilferecht – aus Sicht der grundgesetzlich verbürgten Elternrechte – jedoch schrittweise „intensiver“, bis hin schließlich zu dem Punkt, wo bei Kindeswohlgefährdung sogar Eingriffe in diese (durch das Familiengericht) erforderlich sind.
Übersicht 5
Elternrecht und Kinder- und Jugendhilfe aus der Perspektive des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG sowie der §§ 1626 ff. BGB:
1. Alternative: Die Eltern gewährleisten „normale“ Entwicklungs- bedingungen für ihre Kinder (entsprechend §§ 1626 ff. BGB): Es sind keine Maßnahmen nach dem SGB VIII erforderlich.
2. Alternative (faktisch der häufigste Fall!): Eltern suchen ergänzende/unterstützende Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe, z. B. in Form von Kindertagesbetreuung oder -pflege (§§ 22 ff.), Familienbildung, -freizeiten und -erholung (§ 16), oder von speziellen Angeboten der Förderung der Erziehung in der Familie (§§ 19 bis 21).
3. Alternative: Die Eltern suchen Unterstützung in schwierigen Situationen, z. B. durch Eheberatung oder Beratung in Fragen von Trennung, Scheidung oder bei Sorge-, Umgangs- oder Unterhaltsfragen (§§ 17, 18).
4. Alternative: Es besteht im Falle von (drohenden) Erziehungsdefiziten Bedarf hinsichtlich spezieller sozialpädagogischer Hilfe und Unterstützung und damit Anspruch auf Hilfe zur Erziehung (§§ 27 ff.):
Beantragen die Eltern eine solche Hilfe nicht, geschieht nichts! Der Grundsatz lautet: keine Zwangshilfen in die Familie!
Aber es gibt eine Grenze bei Kindeswohlgefährdung – dann Maßnahmen ggf. nach §§ 8a, 42 sowie § 1666 BGB.
1.3Freie und öffentliche (Kinder- und) Jugendhilfe (§§ 3, 4)
Gemäß § 3 Abs. 1 ist die deutsche (Kinder- und) Jugendhilfe gekennzeichnet durch eine kaum übersehbare Vielfalt von öffentlichen und insbesondere freien Trägern unterschiedlicher Wertorientierungen und durch eine große Vielfalt von Inhalten, Methoden und Arbeitsformen. Die wesentlichen allgemeinen Regelungen für die freie und öffentliche Jugendhilfe sind in den §§ 3 und 4 enthalten, die in den §§ 69 bis 81 weiter konkretisiert werden.
1.3.1 Freie (Kinder- und) Jugendhilfe
Freie (Kinder- und) Jugendhilfe nach den §§ 3 und 4 umfasst alle nichtöffentlichen Träger und Organisationen, die Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe im Sinne der §§ 1 und 2 wahrnehmen (siehe Übersicht 6).
Übersicht 6
Freie Träger der (Kinder- und) Jugendhilfe sind z. B.
Verbände, Gruppen und Initiativen der Jugend
Träger der außerschulischen Jugendbildung
Sportvereine und -verbände
Träger der Kulturarbeit
Träger der Jugendsozialarbeit
Träger und Einrichtungen der Familienförderung, -bildung, -beratung und -erholung
Träger von Tageseinrichtungen für Kinder
Elterninitiativen
Verbände der freien Wohlfahrtspflege
Kirchen und andere Religionsgemeinschaften
Gewerkschaften
Bildungseinrichtungen
Bürgerinitiativen, Trägervereine etc.
Träger von Heimen und anderen Diensten oder Einrichtungen der Erziehungshilfe
Träger im Bereich der Jugendgerichtshilfe
Vereine zur Führung von Vereinsvormundschaften
privatgewerbliche Träger
In Deutschland gibt es Tausende von Trägern der freien Kinder- und Jugendhilfe. Sie existieren zum Teil schon länger als die Bundesrepublik Deutschland, die Länder und die derzeit bestehenden kommunalen Gebietskörperschaften.