Hynek Burda

Humanbiologie


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Merkmale der Menschenaffen: runde, frontal orientierte Augenhöhlen, große Hirnkapsel, verkürztes Gesicht.

      Bemerkenswert ist, dass gerade die Linie der afrikanischen Menschenaffen (Homininae) auffallend wenige Fossilien hinterlassen hat (Samburupithecus, Nakalipithecus, Chororapithecus, vielleicht Ouranopithecus), und dies sowohl an ihrer Basis, wie auch auf dem Weg zu Gorillas und Schimpansen – das uns vorliegende umfangreiche Fossilienmaterial betrifft fast ausschließlich unmittelbare Verwandte des Menschen.

      Dagegen sind Fossilien von Gorillas und Schimpansen sehr selten und auch erst unlängst gefunden worden. Die Funde sind erdgeschichtlich eher jung und liegen auch nur fragmentär vor. Offensichtlich begünstigen die feuchtwarmen Umweltbedingungen der afrikanischen Regenwälder, wo sowohl die Vorfahren von Menschenaffen und Menschen als auch die der heutigen Schimpansen und Gorillas lebten, den Fossilisationsvorgang nicht gerade. Eine Rolle spielt möglicherweise aber auch die Tatsache, dass die Suche nach diesen Fossilien, so wichtig sie auch sind, weniger wissenschaftliches Prestige verspricht und daher auch weniger rentabel ist, als die Suche nach den Überresten der menschlichen Ahnen.

      1.2.3 Systematik der rezenten Formen

      Im Gegensatz zum bisher Gesagten, liegen die phylogenetischen Beziehungen der rezenten Menschenaffen klar vor uns. Sie stützen sich auf eine große Menge molekularer Daten (Abb. 1.4, 1.6 und 1.7). Die basale Verzweigung verläuft zwischen den Gibbons (Hylobatidae: vier Gattungen – Nomascus, Symphalangus, Hoolock, Hylobates – mit 19 Arten in Südostasien) und den „Großen Menschenaffen“. Zu Letzteren gehören die asiatische Linie der Ponginae, die heute noch durch zwei Arten von Orang-Utans (Pongo) vertreten ist, und die afrikanische Linie (Homininae) mit zwei Gorilla-Arten (Gorilla), zwei Schimpansen-Arten (Pan) und dem Menschen (Homo), wobei Schimpansen und Menschen eine sehr einheitliche Gruppe bilden.

      Die Datierung evolutionärer Ereignisse aufgrund der „Molekularen Uhr“ erscheinen heute als sehr problematisch (siehe Kapitel 3.2) und es ist möglich, dass viele kanonische Daten (z.B. Trennung der Menschen und Schimpansen „vor 6 Millionen Jahren“) auf Fehleinschätzungen beruhen und in Wahrheit älter sind. Die Abtrennung der Orang-Utans von den afrikanischen Menschenaffen hat sich nach alter Lesart etwa 14–17 mya ereignet, neuerdings geht man von 20–30 mya aus. Die Abspaltung der Gorillas von der Schimpansen-Menschen-Linie fand etwa 8–10 (oder doch mehr als 10) mya statt, die Trennung von Schimpansen und Menschen geschah ca. 5–7 (oder mehr als 7,5) mya. Die Aufspaltung der afrikanischen Menschenaffen in Gorillas, Schimpansen und Menschen verlief innerhalb einer kurzen Zeit fast synchron, während die Orang-Utans evolutionär viel isolierter stehen.

      Die taxonomische Nomenklatur ist in der Abb. 1.4 zusammengefasst:

       Überfamilie Hominoidea = Hylobatidae + Hominidae

       Familie Hominidae = Ponginae + Homininae

       Unterfamilie Homininae = Gorillini + Hominini

       Tribus Hominini = Panina + Hominina

       Subtribus Hominina = z.B. Australopithecus, Homo

      Der Mensch gehört also in den Subtribus Hominina und zusammen mit den Schimpansen zum Tribus Hominini. Mensch, Schimpansen und Gorillas bilden die Unterfamilie Homininae. Zusammen mit Schimpansen, Gorillas und Orang-Utans gehört der Mensch in die Familie Hominidae, welche mit den Gibbons die Überfamilie Hominoidea begründet. An dieser Stelle sollte man daran erinnern, dass für die Monophylie der Taxa die phylogenetischen Beziehungen wichtig sind, nicht der formale taxonomische Rang: Es gibt keine wissenschaftliche Methode, wie man entscheidet, ob eine Gruppe eine „Familie“ oder eine „Unterfamilie“ bildet. Auf jeden Fall handelt es sich um eine klare taxonomische „Erniedrigung“ des Menschen, der noch unlängst für den einzigen Vertreter der eigenständigen Familie „Hominidae“ gehalten und neben die Familie „Pongidae“ gestellt wurde, die alle großen Menschenaffen einschloss.

      Aus der Übersicht der Phylogenese erfolgt jedoch eindeutig, dass Schimpansen und Gorillas viel näher mit dem Menschen verwandt sind als mit dem Orang-Utan. Einige Autoren gehen noch weiter und schlagen vor, Schimpansen und Menschen sowie ihre fossilen Vorfahren in einer einzigen Gattung Homo zu vereinen (der Schimpanse wäre dann Homo troglodytes, der Bonobo Homo paniscus) (Box 1.3). Solch ein Vorhaben ist jedoch eher politisch als wissenschaftlich motiviert und aus dem Kampf für eine humane Behandlung der Menschenaffen entstanden: Aus dem bekanntermaßen geringen 1%igen genetischen Abstand zwischen Mensch und Schimpansen (wenn man dabei nur auf die Punktmutationen abhebt) folgt noch keine „obligatorische“ taxonomische Konsequenz.

      Box 1.3

      Der nackte Affe

      Carl von Linné schuf im 18. Jahrhundert die im Prinzip bis heute noch gültige Systematik der Tiere und reihte den Menschen in die Ordnung Primaten ein. In seiner Systema naturae (1758) hat er den Menschen als Homo diurnus (Tagmensch) beschrieben und nannte dabei vier geografische Rassen: europaeus, afer, asiaticus und americanus. Der Gattung Homo hat er (neben den Satyren etc.) auch den Orang-Utan (als Homo nocturnus, Nachtmensch) zugeordnet.

      Andere Autoritäten des 18. Jahrhunderts (wie z.B. Georges-Louis Buffon) haben die linnésche Betonung der sichtbaren morphologischen Merkmale zum Teil abgelehnt und stattdessen Intellekt und Sprache als Hauptkriterien menschlicher Superiorität über andere Menschenaffen (und Tiere im Allgemeinen) hervorgehoben.

      Ein Jahrhundert darauf hat Charles Darwin den Menschen nicht nur taxonomisch und nomenklatorisch, sondern auch vom evolutionären Gesichtspunkt her in die nächste Verwandtschaft der anderen Menschenaffen gestellt (The Descent of Man, and Selection in Relation to Sex, 1871). Doch auch weiterhin wurde der Mensch als Krone der Schöpfung (oder besser nun als Krone der Evolution) betrachtet – so auch in dem äußerst populären Buch Natürliche Schöpfungsgeschichte (1868) von Ernst Haeckel.

      Weitere einhundert Jahre später (1967) sorgte das Buch Der nackte Affe (The Naked Ape) von Desmond Morris für große Aufregung. In diesem Buch, das zum Bestseller wurde und mit vielen Tabus brach, beschreibt Morris den Menschen aus der Perspektive des Zoologen als einen Primaten, der kein Fell besitzt, zweibeinig läuft und unter anderem ein merkwürdiges Sexualverhalten zeigt.

      Sehr erfolgreich und einflussreich war auch das 1991 erschienene Sachbuch Der dritte Schimpanse: Evolution und Zukunft des Menschen (The Rise and Fall of the Third Chimpanzee: How Our Animal Heritage Affects the Way We Live) des US-amerikanischen Evolutionsbiologen Jared Diamond. Der Titel des Buches soll verdeutlichen, dass der Mensch als dritte Art neben dem Gemeinen Schimpansen und dem Bonobo in die Gattung der Schimpansen eingeordnet werden müsste, wenn der geringe genetische Abstand als entscheidendes Kriterium betrachtet würde. (Gemäß den Regeln der zoologischen Nomenklatur müssten in so einem Fall allerdings die beiden Schimpansenarten der Gattung Homo zugeordnet werden – also Schimpansenmensch und Bonobomensch.) Diamond betont folgende Besonderheiten des Menschen gegenüber den Schimpansen: der Lebenszyklus, das Sexualverhalten, die Sprache, die Kunst, die Landwirtschaft, der Drogenkonsum, der Völkermord und die Umweltzerstörung.

      1.2.4 Orang-Utans (Pongo)

      Die heutige Verbreitung der Orang-Utans auf den Inseln Sumatra und Borneo ist offensichtlich relikthaft, denn relativ junge Fossilien belegen ihre Verbreitung noch unlängst auch auf dem asiatischen Kontinent und auf Java. Eine Kombination von Populationsgenetik und Ökologie zeigt, dass die Borneo-Orang-Utans (Pongo pygmaeus) eine sehr homogene und erst unlängst diversifizierte (vor ca. 200.000 Jahren, 200 tya = thousand years ago) Gruppe darstellen, während die Sumatra-Orang-Utans (Pongo abelii) unvergleichlich heterogener sind: Insbesondere die südlichen, durch den Vulkansee Toba getrennten Populationen sind genetisch sehr divers und offensichtlich älter als andere Populationen. Nach Analyse ihrer mtDNA stehen sie den Borneo-Orang-Utans näher. Aktuelle, auf dem kompletten Genom der Orang-Utans beruhende Studien zeigen darüber hinaus überraschenderweise, dass die Trennung der Sumatra- und Borneo-Linien nicht so früh stattfand, wie früher angenommen wurde (ca. 400 tya vs. 2–3 mya).

      1.2.5 Gorillas (Gorilla)

      Gorillas werden heute üblicherweise als zwei Arten klassifiziert: als Westlicher Gorilla, Gorilla gorilla (Ost-Nigeria, Kamerun, Gabun, Äquatorialguinea, West-Kongo) und als Östlicher Gorilla,