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Qualitative Medienforschung


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sich nämlich keine verbindlichen Standards für die Erlangung von Validität mehr angeben: Denn jede Forschungsarbeit muss in dieser Perspektive mit der (weder zu leugnenden noch zu beseitigenden) Tatsache leben, selektiv und damit nur bezogen auf eine Perspektive gültig zu sein. Diese Verunsicherung findet auf Forscherseite ihren Ausdruck in der sprunghaften Zunahme von Anything-goes-Forschung und der deutlichen Bevorzugung der spritzigen Formulierung vor dem guten Argument.

      Wissenschaftsextern hat die reflexiv gewordene Wissenssoziologie mit ihrer Erkenntnis wissenschaftlicher Perspektivengebundenheit, die übrigens meistens nur in Form eines kruden Wissenspluralismus (»Jede Erkenntnis ist gleich gut, deshalb auch beliebig!«) wahrgenommen wurde, ebenfalls eine tiefe Verunsicherung ausgelöst – mit dem paradoxen Ergebnis einer verstärkten Nachfrage nach Gültigkeit und dem Verlangen nach Forschungsevaluation. In dieser Situation stellt sich die Frage, wie einerseits wissenschaftsintern mit der Unsicherheit wissenschaftlicher Erkenntnis umgegangen wird (z. B. mithilfe von Methodendebatten) und wie andererseits extern die Gültigkeit wissenschaftlicher Aussagen gerechtfertigt werden kann.

      Im Beitrag soll versucht werden – wohl wissend, dass die Frage nach der Gültigkeit wissenschaftlicher Ergebnisse eingebunden ist in einen sozialen Prozess der Wissenslegitimierung –, die Frage nach der Validität (→ Flick, S. 36 ff.) sozialwissenschaftlicher Rekonstruktionen dadurch anzugehen, den Diskurs über die Gültigkeit sozialwissenschaftlicher Erkenntnis nachzuzeichnen, um so gewisse Standards für die Bestimmung von Gütekriterien zu entwickeln. Es geht dabei jedoch nicht um eine Neuauflage der erkenntnistheoretischen Debatte, um die Möglichkeit von Erkenntnis und auch nicht um die Diskussion der gängigen Wahrheitstheorien, auch wenn im Weiteren immer wieder auf Erkenntnis- und Wahrheitstheorien Bezug genommen werden muss, um die Probleme bei der Entwicklung sozialwissenschaftlicher Gütekriterien sichtbar zu machen.

      Typische Verfahren der Wissenslegitimierung in der Sozialforschung

      Eine reflexiv gewordene Wissenssoziologie ist ein gutes Gegengift gegen gedankenlosen Empirismus, theorieloses Forschen und Messinstrumentengläubigkeit. Sie ist jedoch keinesfalls ein Vorwand oder gar eine theoretische Begründung für methodische und methodologische Beliebigkeit. Die Einsicht in den Konstruktionscharakter wissenschaftlicher Erkenntnis hat nur, wenn man zu kurz schließt, eine postmoderne Wissenschaft zur Folge, in der statt des besseren Arguments die Pointe punktet. Die Einsicht in die Perspektivität von Erkenntnis stellt nicht die Selbstaufklärung still, sondern hebt sie auf eine neue Stufe. Denn es ist keineswegs gesagt, dass mit der Unhintergehbarkeit der Perspektivität von Erkenntnis der Weg für wohl formulierte Beliebigkeit eröffnet ist. Diesseits dieser fruchtlosen Alternative von Alles-oder-Nichts erstreckt sich eine weite Region von Aussagen, die weder völlig gültig noch völlig ungültig sind, und die man durchaus als besser oder schlechter einordnen kann. Denn aus der Tatsache, dass man in Krankenhäusern keine völlig keimfreien Umgebungen herstellen kann, folgt gerade nicht, dass man Operationen genauso gut auch in Kloaken vornehmen kann (vgl. Geertz 1987, S. 42 f.).

      Die verschiedenen Verfahren qualitativer Sozialforschung (vgl. Lüders/Reichertz 1986, Reichertz 2016), gleichgültig, ob sie quantitative oder qualitative Inhaltsanalyse, Dokumentarische Methode der Interpretation oder Grounded Theory, Narrations- oder Diskursanalyse, Objektive Hermeneutik oder hermeneutische Wissenssoziologie heißen (→ Wegener, S. 256 ff., Mayring/Hurst, S. 494 ff., → Lampert, S. 596 ff., → Diaz-Bone, S. 131 ff., → Hagedorn, S. 580 ff., → Reichertz, S. 66 ff.), sind mit dem Dilemma, um die eigene Perspektivengebundenheit zu wissen und gleichzeitig dem Gültigkeitsanspruch nicht abschwören zu wollen bzw. zu können, in unterschiedlicher Weise umgegangen. Betrachtet man die bisherige Geschichte der qualitativen Sozialforschung, so lassen sich drei Großstrategien unterscheiden, mit deren Hilfe man sich eine Absicherung bzw. Heiligung der Ergebnisse versprach:

      • die Begründung durch persönliches Charisma,

      • die Begründung durch Verfahren und

      • die Begründung durch den innerwissenschaftlichen Diskurs.

      Das Vertrauen auf persönliches Charisma

      Die erste Großstrategie steht in der Tradition des Arguments, bestimmten Wissenschaftlern sei eine persönliche und außerordentliche Hellsichtigkeit zu eigen. Die Strategie besteht darin, dass (auch dann, wenn Daten analysiert werden) der entscheidende Erkenntnissprung, die Abduktion (vgl. Reichertz 2013a) beispielsweise, nicht als Ergebnis von Arbeitsprozessen betrachtet wird, sondern als genialischer Akt, der nur der jeweiligen Person möglich war. Hier liefert also ein (reklamiertes und oft auch inszeniertes) Charisma die Fundierung von Gültigkeit. Zugespitzt: Selbst-Charismatiker nenne ich solche Wissenschaftler, die zwar vorgeben, mit Daten zu arbeiten, ihre Forschungsergebnisse jedoch nicht mehr an eine intersubjektive Nachvollziehbarkeit binden, sondern an eine persönliche, meist exklusive Gabe. Vertreter dieser Strategie findet man in allen Varianten qualitativer Sozialforschung. Allerdings neigen Forscher, die an die Objektivität ihrer Rekonstruktionen glauben, eher dazu, diese Strategie zu wählen.

      Das Vertrauen in Verfahren

      Die zweite Großstrategie versucht ihre Ergebnisse mithilfe von spezifischen Verfahren zu legitimieren. Es ist nicht mehr die Person des Forschers, die aufgrund eines göttlichen Geschenks die Gültigkeit verbürgt, sondern es sind die wissenschaftlich etablierten Methoden, die Gültigkeit hervorbringen und garantieren. Gefragt nach der Basis von Validität, wird als Antwort ein spezifisches Verfahren genannt. Allerdings finden sich innerhalb dieser Großstrategie die drei folgenden Varianten:

      1) Rechtfertigung mithilfe der Methode der phänomenologischen Reduktion,

      2) Rechtfertigung mithilfe des Verfahrens der Methodentriangulation und

      3) Rechtfertigung mithilfe der Methode datengestützter Perspektivendekonstruktion.

      Die Methode der phänomenologischen Reduktion (auch Epoché genannt) möchte zu den Sachen selbst dadurch vordringen, dass man bei der Welterkenntnis die eigenen Vorstellungen von Welt von allen sozialen Einkleidungen befreit und zugleich alle Vorstellungen von Welt ihrer historischen Deutung entledigt. Ziel ist, den sozialen Schleier wegzuziehen, in der Hoffnung, auf diese Weise der Dinge selbst ansichtig zu werden. Dieses Verfahren ist insbesondere von den Vordenkern der Wissenssoziologie sehr stark favorisiert worden. Eine Auseinandersetzung mit diesem Verfahren hat in den letzten Jahren zu der Erkenntnis geführt, dass man so nicht bei den Sachen selbst, sondern vor allem und einzig in der Sprache landet, dass man also die Perspektivität keineswegs verliert.

      Die zweite Unterstrategie, die ich hier Methodentriangulation nennen möchte, versucht die Erkenntnis von der wissenschaftlichen Perspektivität produktiv zu nutzen, indem sie als Gütegarant eine als positiv deklarierte Multi-Perspektivität anstrebt (vgl. Flick 2004; → Treumann, S. 264 ff.). Qualitative Verfahren werden mit quantitativen ergänzt, die Feldstudie mit Interviews und Fragebogen, die Interaktionsanalyse mit Experiment und Beobachtung. Die Grundidee (bzw. die zugrunde gelegte Metapher) dieser Strategie ist der Geometrie entlehnt: Um einen nicht erreichbaren Punkt (Erkenntnis) zu bestimmen, peile ich diesen Punkt von zwei (oder mehr) bekannten Perspektiven (Methoden) aus an, bestimme das Verhältnis der bekannten Perspektiven zueinander und deren Winkel zum angepeilten Punkt und kann dann mithilfe trigonometrischer Berechnungen den unbekannten Punkt bestimmen. Bei der Methodentriangulation geht es also nicht darum, die Perspektivität zu leugnen, sondern sie zum Programm zu erheben. Dennoch sind auch hier die realistischen Hoffnungen nicht zu überhören: Unzweifelhaft ist nämlich diesen Forschern der Glaube zu eigen, dass auf diese Weise nicht nur andere Ergebnisse erzielt werden, sondern dass diese