identifiziert und lediglich zwei Nichtinfizierte von 100 Getesteten fehlerhaft als infiziert einstuft. Es handelt sich dabei um einen aus medizinischer Sicht wirklich guten Test.
Ihr Arzt präsentiert Ihnen nun Ihr Testergebnis: Sie wurden positiv getestet. Unabhängigig von Ihrer nervlichen Belastung: Was können Sie mit dieser Aussage anfangen? Zunächst einmal überhaupt nichts! Nicht bekannt ist nämlich bisher, wieviele Menschen in der betreffenden Gegend tatsächlich infiziert waren. Diese Prävalenz, also die Rate der Erkrankten, betrage nun annahmegemäß 1:1.000.3 Nun können Sie sich die Lösung Ihres Problems, sich einer Antwort auf die Frage „Gibt es Grund zur Panik?“ über bedingte Wahrscheinlichkeiten nähern. Intuitiv einleuchtend funktioniert dies ebenso bei ausschließlicher Verwendung der Grundrechenartenarten unter der sich rasch erhellenden Annahme, dass wir es mit 100.100 Personen zu tun haben, wie folgt:
Alle Teilnehmer | Positiv getestet | Negativ getestet | ||||
In % | Absolut | In % | Absolut | In % | Absolut | |
Infiziert | Ca. 0,1 | 100 | 99 | 99 | 1 | 1 |
Nicht infiziert | Ca. 99,9 | 100.000 | 2 | 2.000 | 98 | 98.000 |
Summe | 100% | 100.100 | 2.099 | 98.001 |
Die Schätzung der Wahrscheinlichkeit, dass Sie bei einem positiven Testergebnis tatsächlich infiziert sind, ermittelt sich nun als Ergebnis von 99/2.099 und korrespondiert damit zu weniger als 5%. Jenseits des kleinen Rundungstricks bei der Aufteilung der fiktiven 100.100 Personen in 100 Infizierte und 100.000 Nichtinfizierte ist das Ergebnis für Sie erfreulich, gesamtwirtschaftlich aber schlicht sehr teuer.
Ob wir einen solchen Tests schlussendlich einsetzen, hängt davon ab, welchen Wert wir einem einzelnen Leben, das wir retten können, und den Opportunitätskosten beimessen. Dies ist aber keine statistische, sondern eine Wertefrage.
So ist die Aussage des Robert Koch-Instituts, dass Ende April 2020 in Deutschland 6.288 Menschen an Covid-19 gestorben sind, von denen 2.269 jünger waren als 80 Jahre, deskriptiver Natur. Welcher „Aufwand“ bezüglich der Eindämmung von Corona betrieben werden sollte, um einzelne Leben zu retten bzw. zu verlängern, ist hingegen eine Wertefrage.
So wie Bill Gates am 3. April 2015 die Gefahr und die Konsequenzen einer kommenden weltweiten Pandemie in einem öffentlichen Vortrag skizzierte[32], erörterte Yaval Noah Harari, ebenfalls 2015, in seinem Buch “Homo Deus. Eine Geschichte von Morgen“ prinzipielle Fragen von Leben und Tod, deren frühzeitige Beschäftigung uns bei Ausbruch der Corona-Krise hätte helfen können.
„Für moderne Menschen ist der Tod ein technisches Problem, das wir lösen können und lösen sollten.“ (S. 26). Und weiter: „Selbst wenn Menschen bei einem Hurrikan, bei einem Autounfall oder im Krieg sterben, betrachten wir dies gern als technisches Versagen, das man hätte verhindern können und müssen. Hätte die Regierung nur eine bessere Politik verfolgt, hätte die Kommune ihre Aufgaben angemessen erfüllt, hätte der Militärbefehlshaber eine klügere Entscheidung getroffen – dann wäre der Tod zu verhindern gewesen. […] Weil aber Alter und Tod die Folge von nichts anderem als spezifischen Problemen sind, gibt es keinen Punkt, an dem Ärzte und Forscher aufhören. […] Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte spricht nicht davon, die Menschen hätten ein ‚Recht auf Leben bis 90 Jahre‘. […] Dieses Recht kennt kein Verfallsdatum.“ (S. 36) Explizit weiter geht der australische Biologe David A. Sinclair, Professor an der Harvard University: Für ihn ist Altern eine Krankheit.[33]
Gero von Randow: Das Ziegenproblem: Denken in Wahrscheinlichkeiten, Rororo, 2004.
Walter Krämer: So lügt man mit Statistik, Campus, 2015.
Walter Krämer: Statistik verstehen, Piper, 2001.
Hans-Peter Beck-Bornholdt und Hans-Hermann Dubben: Der Schein der Weisen. Irrtümer und Fehlurteile im täglichen Denken, Rororo, 2003.
Hans-Peter Beck-Bornholdt und Hans-Hermann Dubben: Der Hund der Eier legt. Erkennen von Fehlinformationen durch Querdenken, Rororo, 2006.
Übung 2.1: Nehmen Sie an, dass Sie sich nach dem im Exkurs besprochenen Test einem unabhängigen zweiten Test gleicher Qualität unterziehen und dass das Testresultat wiederum positiv lautet. Wie hoch ist nun die Wahrscheinlichkeit, dass Sie infiziert sind?
Übung 2.2: Machen Sie sich die Zu- und Abgänge im demografischen Sinne in Ihrer kreisfreien Stadt bzw. in dem Landkreis, in dem Sie leben, vom Jahre 1989 bis heute klar. Analysieren Sie den Einfluss von Binnenmigration, Außenmigration sowie den Saldo von Geburten und Todesfällen der einheimischen Bevölkerung auf die Gesamtentwicklung.
Versuchen Sie, die Sozialstruktur Ihrer Stadt bzw. Ihres Landkreises in den Stichjahren 2000, 2010 und 2020 zu vergleichen.
Machen Sie sich die methodischen Probleme klar, wenn Sie an die Erfüllung dieser Aufgaben gehen, und beschreiben Sie diese präzise. Beschreiben Sie, wie Sie mit diesen Abgrenzungsproblemen umgehen.
Übung 2.3: Aggregiert nach Kontinenten vermeldet Statista für das Jahr 2019 Fertilitätsraten für Europa von 1,5 Kindern, für Nordamerika von 1,7 Kindern, für Asien 2,1 Kinder, für Australien und Ozeanien 2,3 Kinder und für Afrika von 4,5 Kinder pro Frau. (Quelle: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1724/umfrage/weltweite-fertilitaetsrate-nach-kontinenten/)
Überlegen Sie sich, wie Statista diese Durchschnittswerte ermittelt haben könnte.
Übung 2.4: Es gibt Schätzungen, dass um das Jahr 10000 v.u.Z. etwa 10 Millionen Menschen auf der Erde lebten. Wie hoch war die durchschnittliche Zuwachsrate pro Jahr, wenn Sie annehmen, dass im Jahr 2020 8 Mrd. Menschen auf der Erde lebten?
3 Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung
Im Verlauf der Corona-Epidemie im Jahr 2020 hat sich das deutsche Gesundheitssystem im Vergleich zu fast allen seinen Pendants in Europa und Nordamerika als leistungsfähig erwiesen. Ob und inwieweit diese Aussage verallgemeinert werden kann, d.h. wie der Vergleich zur Seuchenbekämpfung in den ostasiatischen Staaten Thailand, Vietnam, Japan, Taiwan und China aber auch zu Australien und Neuseeland langfristig ausgefallen sein wird, dürfte aber nicht vor 2022 beantwortet werden können.
Die relative Stärke des deutschen Gesundheitssystems war vor allem der Tatsache zuzuschreiben, dass es über Reserven – und damit sind nicht nur Notfallbetten gemeint – verfügte. Selbst für eine vorsichtige und temporäre Gesamtbewertung ist dies allerdings deutlich zu wenig.
Die Grundprinzipien unseres Sozialstaats wurden