DREXHAGE/HEINRICH KONEN/KAI RUFFING, Die Wirtschaft des Römischen Reiches (1.–3. Jahrhundert), Berlin 2002. – ELISABETH HERRMANN-OTTO, Soziale Schichten und Gruppen, in: Kurt Erlemann u. a. (Hg.), Neues Testament und antike Kultur II, 86–99. − ULRICH FELLMETH, Pecunia non olet. Die Wirtschaft der antiken Welt, Darmstadt 2008. – ELISABETH HERMANN-OTTO, Sklaverei und Freilassung in der griechisch-römischen Welt, Hildesheim 2009. − KAI RUFFING, Wirtschaft in der griechisch-römischen Antike, Darmstadt 2012. – JOSEF FISCHER, Sklaverei, Darmstadt 2014.
Aufgrund der Größe des Römischen Reiches, der zumeist dürftigen Quellenlage und der sehr unterschiedlichen Verhältnisse in Stadt und Land sowie zwischen den einzelnen Provinzen ist es nur sehr eingeschränkt möglich, exakte Aussagen (im neuzeitlichen Sinn) über die Sozial- und Wirtschaftsstruktur des frühen Kaiserreiches zu ermitteln204. Dennoch lassen sich Grundstrukturen erkennen.
Führungsschicht
Die Gesellschaft des Imperium Romanum war durch eine relativ starre vertikale Struktur gekennzeichnet205. An der Spitze stand die imperiale Führungsschicht, deren Leitungsfunktionen das gesamte Imperium umfassten. In ihren Händen lagen alle entscheidenden Kompetenzen in Politik, Kriegführung, Administration und Rechtsprechung, lediglich in den Bereich der Wirtschaft wurde nur selten direkt eingegriffen. Zur imperialen Führungsschicht zählten nicht nur der Kaiser und seine Familie, sondern auch jene Senatoren, die mindestens einmal das Konsulat bekleidet hatten. Führende Militärs, Verwaltungsbeamte, Juristen und Freunde, die zumeist dem Adel angehörten und den Kaiser kontinuierlich berieten, sind ebenfalls der imperialen Führungsschicht zuzurechnen. Unter einzelnen Herrschern (z.B. Claudius, Nero, Domitian) konnten schließlich Sklaven bzw. Freigelassene, die das besondere Vertrauen des Kaisers besaßen, zentrale Verwaltungsämter innehaben206.
Oberschicht
Im Unterschied zur imperialen Führungsschicht verfügte die imperiale Oberschicht nicht über aktive reichsweite Leitungsfunktionen. Sie war durch Herkunft, Besitz und Vermögen207 privilegiert. Zu dieser Schicht zählten neben den Vasallenkönigen bzw. -fürsten vor allem Angehörige des Senatoren- und Ritterstandes (‚Stand‘ = ordo)208. Die Senatsmitglieder mussten seit Augustus aus alten Familien (Roms) stammen und für ihre Bewerbung um dieses Amt ein beträchtliches Vermögen vorweisen209. Nach den Senatoren (ordo senatorius) bildeten die Ritter (ordo equester) den zweiten Stand; es handelt sich dabei um – vom Kaiser geförderte – vermögende und erfolgreiche Personen aus allen Provinzen, die insbesondere in der provinzialen Reichsverwaltung, der Justiz und im Militär eine führende Rolle spielten. Auch die führenden Priesterfamilien Roms gehörten zur imperialen Oberschicht. Die regionale und lokale Oberschicht (ordo decurionum) übte als dritter Stand lediglich örtliche Leitungsfunktionen aus, zum Beispiel in den Stadträten oder in den Versammlungen der einzelnen Provinzen210. Sie war vor allem durch eine lokale Verankerung, Besitz und Vermögen privilegiert. Dazu zählten die führenden Verwaltungsbeamten größerer und mittelgroßer Städte, dort stationierte Militärs, aber auch reiche Bürger, Großgrundbesitzer und Fernhändler sowie einzelne Wissenschaftler und Intellektuelle211.
Mittelschicht
Als maßgebliches Kriterium für die Zugehörigkeit zur Mittelschicht des Imperiums212 muss die Fähigkeit gelten, sich selbst und seine Familie durch selbständige Arbeit zu ernähren und dabei gleichzeitig einen gewissen Überschuss zu erzielen. Nicht die Herkunft, sondern Fleiß, Erfolg, Vermögen und Einfluss qualifizieren die Angehörigen der Mittelschicht. Zu ihr gehörte zunächst der Großteil der freien Bürger Roms, sofern diese nicht verarmt waren; ebenso die unabhängigen freien Bürger der Städte im Reich, die über ein gewisses Vermögen verfügten. Sodann zählten erfolgreiche Grundbesitzer, Händler, Bankiers sowie selbständige qualifizierte Handwerker und Dienstleister dazu, ferner Beamte in den mittleren und größeren Städten des Reiches. Auch Angehörige des Militärs wie Centurionen und Unteroffiziere sind der Mittelschicht zuzurechnen, ebenso Angehörigen der römischen Sonderformationen und auch die privilegierten Veteranen. Schließlich jene Freigelassenen, die im Dienste des Kaisers standen, über großen Einfluss verfügten und sich ein gewisses Vermögen erwirtschaftet hatten. Sogar einzelne Sklaven der familia Caesaris gehörten zur Mittelschicht. Insgesamt war diese Schicht sehr inhomogen, was aber zugleich in der aufstrebenden Wirtschaft des 1./2. Jh. n.Chr. für viele Menschen die Chance bot, innerhalb der Gesellschaft aufzusteigen. Insbesondere durch (neu erworbenen) Reichtum war es möglich, Herkunftsschranken zu überspringen sowie Einfluss und gesellschaftliches Prestige zu gewinnen213.
Unterschicht
Wie die Mittelschicht war auch die breite Unterschicht sehr heterogen. Als entscheidendes Kriterium für die Zugehörigkeit zur Unterschicht müssen die vielfältigen Abhängigkeiten gelten, die es den Menschen verwehrten, selbständig ihren Lebensunterhalt zu erwirtschaften214. Hinzu kommen die gravierenden Unterschiede zwischen Stadt und Land sowie zwischen den einzelnen Regionen des Riesenreiches, die zu Landflucht215 und damit zu schleichender Verelendung der Städte216 führten. In den Städten217 zählten vor allem unselbständige Arbeiter und Dienstleister dazu, z.B. kleine Handwerker wie Schuhmacher, Töpfer, Schmiede, Textilverarbeiter, Hafenarbeiter, Bäcker, Maurer, Schlosser und Stellmacher. Auch kleine Kaufleute, Lehrer, Musiker, Friseure, Seeleute, die Empfänger staatlicher Sozialleistungen, von den Gaben ihrer Patrone Abhängige, Alte, Witwen sowie Tagelöhner, Bettler und chronisch Kranke müssen zur Unterschicht gerechnet werden. Große Teile der Bevölkerung Roms waren von den öffentlichen Getreidelieferungen abhängig218, ebenso gab es neben dem plebs urbana den plebs rustica. Auf dem Land dominierten die (freien oder abhängigen) Kleinbauern, die Kleinpächter und vor allem die abhängigen Lohnarbeiter bzw. Tagelöhner. Daneben gab es ebenso wie in den Städten kleine Handwerker und Dienstleister, Hirten, Alte, Bettler und Kranke.
Sklaven
Ganz überwiegend zur Unterschicht zählten die Sklaven, die einen wesentlichen Bestandteil aller antiken Gesellschaften und Wirtschaftsformen bildeten219. Die antike Sklaverei ist ein sehr komplexes Phänomen, das weder praktisch noch theoretisch infrage gestellt wurde220. Ab dem 2. Jh. v. Chr. nahm die Sklaverei stark zu. Um die Zeitenwende machten die Sklaven ca. 15–20% der Gesamtbevölkerung des Imperium Romanum aus (ca. 50 Millionen)221; in absoluten Zahlen wären dies ca. 10 Millionen Menschen222. Ursachen für Sklaverei waren vor allem Kriegsgefangenschaft, Geburt in Sklaverei, Menschenraub, Menschenhandel, Kindesaussetzungen und Verkauf aufgrund von Schuldverhältnissen. Sklaven wurden vor allem in der Landwirtschaft eingesetzt, harte körperliche Arbeit musste auch beim Militär, in Mühlen, Bädern und Bergwerken von Sklaven geleistet werden223. Sklaven konnten aber auch – je nach ihren Fähigkeiten und den Bedürfnissen ihrer Herren – für gelernte Berufe wie Lehrer, Koch, Amme, Hebamme, Arzt/Ärztin, Schreiber, Verwalter oder für den normalen Dienst im Haushalt eingesetzt werden. Schließlich waren in allen Bereichen des Handwerks und des Handels Sklaven tätig224. Die Herren besaßen die uneingeschränkte Gewalt über ihre Sklaven, die keine Besitz- und Ehefähigkeit hatten. Sie standen ihren Besitzern stets zur Verfügung, entweder zur persönlichen Verwendung oder zum Verleih an Vertragspartner, sie konnten vererbt, verpfändet oder verschenkt werden. Andererseits mussten sie untergebracht und ernährt werden, auch wenn kein Bedarf an ihrer Arbeitskraft bestand.
Es gab auch privilegierte Sklaven, so hatten vor allem die Sklaven der großstädtischen Oberschichten gute Lebensverhältnisse. Gehörten sie zum kaiserlichen Haushalt (familia Caesaris), d.h. zur kaiserlichen Verwaltung, konnten sie sogar sehr einflussreich und wohlhabend sein225. Sehr häufig blieben Sklaven nicht zeitlebens unfrei, vor allem in den gehobenen römischen Haushalten, aber auch, wenn sie als Handwerker oder Dienstleister gearbeitet hatten. Da die Freilassung von Sklaven gesetzlich geregelt war, gehörten Freigelassene dann fast ohne Einschränkungen zur römischen Gesellschaft226.
Die