Jürgen Kromphardt

John Maynard Keynes


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1906 Aufnahmeprüfung für den Staatsdienst. Als zweitbester Absolvent kommt Keynes nicht ins Schatzamt, sondern ins „India Office“ 1908 Keynes scheidet aus dem India Office aus und wird bezahlter Dozent am King’s College 1911 Marshall bindet Keynes an die Wissenschaft, indem er ihn zum Herausgeber des „Economic Journal“ macht 1915 Im 1. Weltkrieg wird Keynes Berater des Schatzamts 1919 Keynes nimmt als Vertreter des Schatzamtes an den Friedensverhandlungen in Versailles teil

      Auch in Cambridge war Keynes Mitglied diverser studentischer Debattierclubs. Der für Keynes wichtigste von ihnen, der von manchen Biographien als Geheimgesellschaft bezeichnet wird, war die elitäre Gesellschaft der „ApostelApostel“, in die er wegen seines rhetorischen Talents aufgenommen wurde. Mehrere Mitglieder der „Apostel“ übten auf Keynes einen prägenden Einfluss aus, so der spätere Kunstkritiker und Biograph Lytton Strachey, der angehende Schriftsteller und Verleger Leonard WoolfWoolf sowie der Philosoph GeorgeGeorge Moore.

      Die „ApostelApostel“ lehnten alle Konventionen der prüden viktorianischen Zeit in GroßbritannienGroßbritannien ab. Dies galt auch für die Normen sexuellen Verhaltens. Laut Skidelsky (1983, S. 128) war für die Apostel die Liebe zu jungen Männern eine höhere Form der Liebe. Daran orientierten sich einige der Apostel, darunter auch Keynes, obwohl Homosexualität in Großbritannien unter Strafe stand.

      Die Kunstfreunde unter den Aposteln stärkten Keynes Begeisterung für die schönen Künste, deren Förderung ihm Zeit seines Lebens am Herzen lag.

      1905 schloss Keynes sein Studium mit der Prüfung in Mathematik ab, und zwar als Zwölftbester seines Jahrgangs.

      Eintritt in den Staatsdienst und Rückkehr an die Universität

      Keynes beschloss in den Staatsdienst zu gehen. Er bereitete sich an der Universität Cambridge auf die Aufnahmeprüfung vor, die auch Ökonomie und Mathematik umfasste. Am meisten reizte ihn das Finanzministerium (TreasuryTreasury), aber er bekam die einzige dort zu besetzende Stelle nicht, da er die Prüfung „nur“ als Zweitbester von 104 Teilnehmern abschloss. Er musste daher ins „Indian Office“ gehen. In dieser Behörde hatte er – da er ein sehr schneller Denker und Schreiber war – viel Zeit, die er nutzte, um eine Dissertation über WahrscheinlichkeitstheorieWahrscheinlichkeitstheorie zu schreiben, mit der er sich 1907 am King‘s CollegeKing‘s College in Cambridge um eine (durch ein mehrjähriges Stipendium finanzierte) Dozentenstelle (Fellowship) bewerben wollte. Er wurde aber am College nicht genommen, denn die Annahme seiner Dissertation wurde zurückgestellt.

      Daraufhin bot ihm MarshallMarshall, der das überragende Talent seines früheren Studenten erkannt hatte, einen von ihm und Keynes’ Vater privat finanzierten Lehrauftrag als „Lecturer“ an, den Keynes annahm. Der junge Dozent (25 Jahre alt) konzentrierte sich auf GeldtheorieGeldtheorie und GeldpolitikGeldpolitik und überarbeitete seine Dissertation, die 1909 angenommen wurde. Daraufhin kündigte er seine Stelle im Indian Office. Seine Dissertation über WahrscheinlichkeitstheorieWahrscheinlichkeitstheorie überarbeitete er weiterhin, musste sie dann wegen seiner Tätigkeit für das Schatzamt Schatzamtwährend des 1. Weltkrieges liegen lassen. Gedruckt erschien sie erst 1921 (Kasten 2).

      Kasten 2: Keynes und Wahrscheinlichkeit

      In seiner voluminösen Untersuchung zur WahrscheinlichkeitstheorieWahrscheinlichkeitstheorie „Treatise on Probability“ (1921) untersucht Keynes, wie man aus Beobachtungen über die Realität allgemeine Sätze ableiten kann; denn selbst wenn man tausendmal nur schwarze Raben gesehen hat, lässt sich daraus nicht logisch ableiten, alle Raben seien schwarz. Keynes fragt nun: Lässt sich wenigstens eine Aussage über die Wahrscheinlichkeit treffen, dass alle künftig auftauchenden Raben schwarz sein werden? Keynes argumentiert, diese Wahrscheinlichkeit sei nicht rein subjektiv, sondern sei das Ergebnis einer rational fundierten Überzeugung und daher eine logische Relation, die für alle rationalen Individuen gleich ist.

      1926 kritisiert der geniale Mathematiker und Philosoph Frank RamseyRamsey (der schon mit 26 Jahren an den Folgen einer Leberoperation starb) diese Theorie und stellt ihr eine subjektive WahrscheinlichkeitstheorieWahrscheinlichkeitstheorie gegenüber, wonach rationale Individuen unterschiedliche Wahrscheinlichkeiten vermuten.

      In einem biographischen Artikel über RamseyRamsey stimmt Keynes (1931) dieser Kritik zu, meint aber, Ramseys Theorie weise noch Schwächen auf. Donald Gillies, auf dessen Artikel „Keynes and Probability“ (2006) ich mich stütze, verweist auf die Erwartungsbildung in der „General Theory“, wo Keynes individuellen Eigenschaften und gruppendynamischen Prozessen eine gewichtige Rolle zuweist. Am deutlichsten wird dies an einer Stelle in dem wichtigen Artikel von Keynes (1937, S. 214), die Gillies zitiert und die in meiner Übersetzung lautet: „Da wir wissen, dass unsere individuelle Beurteilung wertlos ist, sind wir bestrebt, auf die Beurteilung des Restes der Welt zurückzugreifen, der vielleicht besser informiert ist. Wir bemühen uns also, mit dem Verhalten der Mehrheit oder des Durchschnitts konform zu gehen. Die Psychologie einer Gesellschaft von Individuen, von denen jeder bemüht ist, die anderen zu kopieren, führt zu etwas, das wir strenggenommen als konventionelle Beurteilung bezeichnen können.“

      Außerdem schrieb er sein erstes Buch über „Indian Currency and Finance“, in dem er seine Kenntnisse und Erfahrungen aus der Zeit im Indian Office verarbeitete (erschienen 1913). Kurz vorher war Keynes in die „Royal Commission“ berufen worden, die sich mit diesem Thema befasste.

      MarshallMarshall band Keynes noch enger an die Nationalökonomie, indem er dafür sorgte, dass Keynes 1911 – nach Ausscheiden des bekannten Ökonomen EdgeworthEdgeworth – Herausgeber der damals führenden ökonomischen Fachzeitschrift, nämlich des „Economic Journal“, wurde. Keynes las, verstand und beurteilte die eingereichten Artikel mit außergewöhnlicher Schnelligkeit und Bestimmtheit.

      1913 wurde er zusätzlich Sekretär der „Royal Economic SocietyRoyal Economic Society“ und bestimmte damit weitgehend die Aktivitäten dieser wissenschaftlichen Gesellschaft. Beide Positionen behielt Keynes bis kurz vor seinem Lebensende bei.

      Kunstliebhaber, Mäzen, Finanzmanager

      Keynes setzte die engen Kontakte zu den Freigeistern, Künstlern und Philosophen, die er in der Studienzeit geknüpft hatte, trotz der beschriebenen Aufgaben weiterhin fort. Er fand genügend selbstbestimmte Zeit, um drei Tage in der Woche in London zu verbringen, wo er viel mit seinen Freunden der „Bloomsbury Group“ (benannt nach dem Londoner Stadtteil) zusammen sein konnte. Zu dieser Gruppe gehörten außer den drei oben genannten „Aposteln“ die Schriftstellerin Virginia WoolfWoolf, der Maler Duncan GrantGrantGrant (mit dem Keynes zwei Jahre lang zusammen lebte), die Malerinnen Vanessa BellBell und Dora CarringtonCarrington, der Philosoph Bertrand RussellRussell und einige andere. Hier konnte Keynes seiner Vorliebe für Philosophie, Literatur und andere schöne Künste nachgehen.

      Keynes war zwar kein aktiver Künstler, aber seine Liebe zur Kunst bestimmte sein Leben in mehrfacher Hinsicht: Er kaufte und sammelte Bilder und alte Bücher; er lernte über die Bloomsbury Group die emigrierte Ballerina Lydia LopokovaLopokova kennen, die er 1925 heiratete, und er engagierte sich in der Förderung von Künstlern. So gründete er 1925 zusammen mit einem befreundeten Kunstsammler und Industriellen (Courtauld) die „London Artists Association“, die jüngeren Künstlern als Agentur diente, ihnen ein bescheidenes regelmäßiges Einkommen zahlte und Ausstellungen organisierte.

      Nach seiner Hochzeit mit Lydia LopokovaLopokova (1925) pachtete er ein Landhaus in Tilton, wohl auch deswegen, weil die meisten Mitglieder der Bloomsbury Group seine Heirat ablehnten (vermutlich als Verbürgerlichung) und versucht hatten, ihn davon abzuhalten.

      Um seinen aufwändigen Lebensstil zu