Jürgen Kromphardt

John Maynard Keynes


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zahlreiche Beiträge und Leserbriefe an die führenden Zeitungen, sondern kaufte 1923 zusammen mit Gleichgesinnten die Wochenzeitung „The Nation and AthenaeumNation and Athenäum“, deren Leitung er übernahm und für die er regelmäßig Beiträge schrieb. Zwei Themenkomplexe standen dabei neben der Reparationsfrage im Vordergrund: Zum einen seine Forderung, die Währungspolitik solle zu einem stabilen Preisniveau beitragen; zum anderen die pragmatische Neuausrichtung der liberalen Partei. Diese hatte sich Ende 1918 gespalten, was ihren Niedergang einleitete. Nachdem sie nach den Wahlen 1922 stark geschwächt in die Opposition gehen musste, wurde eine Erneuerung ihres Programms sehr dringlich.

      Kampf für eine preisniveaustabilisierende Währungspolitik

      Schon in seinem Buch über Indiens Währung und Finanzen hatte die Frage, wie der Außenwert der indischen Rupie im Verhältnis zum PfundPfund und zum GoldGold festgesetzt werden sollte, großen Raum eingenommen. Die entsprechende Frage stellte sich nach dem Kriegsende für das britische Pfund selbst, jetzt im Verhältnis zum Gold und damit zu allen anderen an das Gold gebundene Währungen. GroßbritannienGroßbritannien hatte im 1. Weltkrieg den GoldstandardGoldstandard suspendiert. Viele Politiker strebten dahin zurück, und zwar zur alten Vorkriegsparität, obwohl sich britische Erzeugnisse seitdem stark verteuert hatten.

      In seinem „Tract on Monetary Reform“ aus dem Jahre 1923 (in deutsch erschienen als „Ein Traktat über Währungsreform“, München 1924) verabschiedet sich Keynes von der traditionellen Orientierung der Geld- und Währungspolitik am Außenwert der Währung und fordert ihre Ausrichtung am Binnenwert und spricht sich damit für eine Stabilisierung des Preisniveaus aus. Er begründet dies mit den unerwünschten Folgen von InflationInflation und DeflationDeflation:

      „Jeder Prozeß, die InflationInflation und die DeflationDeflation in gleicher Weise, hat schwere Schäden angerichtet. Jeder hat eine Wirkung, indem er die Verteilung der Güter auf verschiedene Klassen beeinflußt; und darin ist die Inflation der schlimmere von beiden. Jeder hat auch eine Wirkung, indem er die Erzeugung von Gütern steigert oder hemmt, obschon hier die Deflation die schädlichere ist (1923/1924, S. 4).“

      Die InflationInflation schade den Sparern, begünstige die Unternehmen und sei wahrscheinlich vorteilhaft für die Lohnbezieher. Die Ungerechtigkeit gegenüber den Sparern vermindere deren Spartrieb (diesen sieht Keynes damals offenbar noch uneingeschränkt positiv). Die DeflationDeflation dagegen schade vor allem den Unternehmen, die ihre Produktion einschränken, und den Arbeitnehmern, die Arbeitsplätze verlieren.

      Im Traktat argumentiert Keynes mit der QuantitätstheorieQuantitätstheorie, derzufolge eine Erhöhung der GeldmengeGeldmenge langfristig zu einem gleich großen Anstieg des Preisniveaus führt: Die mengenmäßige Produktion ist durch die vorhandenen, stets ausgelasteten Ressourcen an Arbeit und Kapital begrenzt, kann also nicht steigen. Auch die von der Bevölkerung und den Unternehmen gewünschte KassenhaltungKassenhaltung in Relation zu ihrem Einkommen ist von der Geldmenge unabhängig. Daher führt eine Verdopplung der Geldmenge auf Dauer zu einer Verdopplung des Preisniveaus (Kasten 4).

      Kasten 4: Zur QuantitätstheorieQuantitätstheorie

      Diese altehrwürdige Theorie basiert auf einer Definitionsgleichung, die GeldmengeGeldmenge (M), PreisniveauPreisniveau (p), reales Volkseinkommen (X) und Kassenhaltungskoeffizient (k) in Beziehung zueinander setzt:

       M = k · p · X

      Der Parameter k lässt sich nicht unabhängig ermitteln; er ist als Restgröße definiert, sodass Gleichung (1) immer erfüllt ist.

      Im 2. Schritt wird angenommen, k und X seien langfristig gegeben (unabhängig von der GeldmengeGeldmenge). Dann müssen sich M und p proportional entwickeln.

      Diese Behauptung wird von dem führenden deutschen Monetaristen Manfred J.M. NeumannNeumann (2012, S. 9) deutlich abgeschwächt: „(Es) wird nicht behauptet, dass es in jedem Fall zu einer InflationInflation kommen müsse, wenn die GeldmengeGeldmenge stärker wächst, oder gar, dass die Entwicklung des Preisniveaus mit der Geldmenge hochgradig korreliert sein müsse. Nur im Verlauf von Hyperinflationen, also Inflationsprozessen mit Zuwachsraten von mehr als 50 Prozent pro Monat, ist das eindeutig beobachtet worden, …“

      Im 3. Schritt wird angenommen, die GeldmengeGeldmenge sei exogen, das heißt, sie werde von außen (insbesondere von der Zentralbank) bestimmt. Daher sind Änderungen der Geldmenge die Ursache der Änderungen des Preisniveaus.

      Keynes (1923/1924, S. 76) stimmt dieser Aussage als langfristiger Beziehung zu: „Diese Theorie ist grundlegend. Ihre Übereinstimmung mit den Tatsachen ist fraglos“. Er betont aber, dass sie nur langfristig gelte. Kurzfristig könne der Kassenhaltungskoeffizient schwanken, und das müsse bei der politischen Anwendung berücksichtigt werden. Man dürfe sich nicht auf die Langfristbeziehung beschränken. Keynes begründet dies mit seinem berühmtesten Ausspruch (S. 83): „Die lange Sicht ist ein schlechter Führer in bezug auf die laufenden Dinge. Auf lange Sicht sind wir alle tot. Die Volkswirtschaft (-slehre – JK) macht es sich zu leicht und macht ihre Aufgabe zu wertlos, wenn sie in stürmischen Zeiten uns nur sagen kann, daß, nachdem der Sturm lang vorüber ist, der Ozean wieder ruhig sein wird.“

      Keynes’ Sorge vor den negativen Folgen einer DeflationDeflation für die Verteilung und für die Beschäftigung führte zu seiner Ablehnung der Pläne, zum GoldstandardGoldstandard und zur Vorkriegsparität des Pfundes gegenüber dem GoldGold zurückzukehren. Dieser Schritt würde nämlich die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der britischen Industrie beeinträchtigen. Zwar könne man dies durch eine allgemeine Lohn- und Preissenkung vermeiden. Aber Keynes sah keinen praktischen Weg, eine solche Lohn- und Preissenkung herbeizuführen.

      Keynes präsentierte seine Kritik in zahlreichen Aufsätzen und Vorträgen (nachzulesen im Band. 19 seiner „Collected Writings“). Nachdem Winston ChurchillChurchill als britischer Schatzkanzler trotz der Einwände von Keynes Ende April 1925 die Rückkehr zum GoldstandardGoldstandard und zur Vorkriegsparität angekündigt hatte, fasste Keynes seine Position in drei Artikeln im „Evening Standard“ zusammen, die er unverzüglich auch als Streitschrift im Verlag seiner Bloomsbury-Freunde mit dem provokanten Titel „The Economic Consequences of Mr. Churchill“ veröffentlichte.

      Keynes stützte sich vor allem auf ein Argument: Soll die Wettbewerbsfähigkeit der britischen Industrie erhalten bleiben, müssen die Preise ihrer Produkte gesenkt werden und als Voraussetzung dafür die Löhne. Dafür gäbe es zwei Wege: Entweder müssen Arbeitgeber und Regierung diese gegen die einzelnen Gewerkschaften durchsetzen, ohne dass es eine Garantie für ein faires Ergebnis gibt, oder die Zentralbank verfolgt eine sehr restriktive GeldpolitikGeldpolitik, welche die InvestitionenInvestitionen abwürgt, die ArbeitslosigkeitArbeitslosigkeit erhöht und dadurch den Widerstand der Gewerkschaften schwächt.

      Dabei befasste sich Keynes auch mit dem Problem, dass bestimmte Industriezweige (vor allem die metallverarbeitende Industrie) besonders stark betroffen waren, und er beteiligte sich an Plänen zur Umstrukturierung einzelner Branchen (z.B. der Baumwollindustrie) – siehe dazu im Einzelnen den Band. 19 seiner „Collected Writings“.

      Keynes machte ChurchillChurchill nicht persönlich verantwortlich, sondern vermutete, dass seine Berater ihn in die Irre geführt hätten. Und warum? Sie unterschätzten das Ausmaß der erforderlichen Preisanpassung und die Schwierigkeit ihrer Durchsetzung. Vor allem aber glaubten sie an die automatische und schnelle Anpassung des Preisniveaus durch eine „gesunde“ Politik der englischen NotenbankNotenbank, wodurch die Kosten in Form höherer ArbeitslosigkeitArbeitslosigkeit gering blieben.

      Keynes’ Sorgen erwiesen sich als berechtigt: Zum einen brach alsbald ein langer Streik der Arbeiter im KohlenbergbauKohlenbergbau gegen Lohnkürzungen aus, und zum anderen blieb die ArbeitslosenquoteArbeitslosenquote in GroßbritannienGroßbritannien bis zur WeltwirtschaftskriseWeltwirtschaftskrise ziemlich unverändert bei rund 10 %. Die hohe ArbeitslosigkeitArbeitslosigkeit erwies sich nicht als eine vorübergehende Fehlentwicklung, wie dies von der herrschenden Theorie behauptet wurde. Keynes erkannte dies, aber es sollte noch viele Jahre dauern, bis er seine eigene Theorie zur Erklärung von Arbeitslosigkeit entwickeln konnte (siehe dazu die drei nachfolgenden Kapitel ab S. 33).