gesamtwirtschaftlichen Größen wie Gesamtbeschäftigung, Sozialprodukt, Höhe der InvestitionenInvestitionen, des Konsums oder der Ersparnis. Bekannt waren nur – abgesehen von der Preisentwicklung – Indikatoren über die Produktion einiger wichtiger Erzeugnisse, über die ArbeitslosenquoteArbeitslosenquote bei den versicherten Arbeitskräften und (sehr detailliert) über den Außenhandel.
Zur Krise vertrat Keynes eine andere Position als RobertsonRobertson: Er erachtete es als besser, Abweichungen zwischen den beiden Zinssätzen zu verhindern und damit für PreisstabilitätPreisstabilität zu sorgen, statt in der Krise produktive Ressourcen brachliegen zu lassen. Dafür ist eine GeldpolitikGeldpolitik nötig, die den Marktzinssatz so beeinflusst, dass er dem natürlichen ZinssatzZinssatz entspricht und InvestitionenInvestitionen und ErsparnisseErsparnisse einander gleich werden.
Die damalige KonjunkturanalyseKonjunkturanalyse litt nicht nur unter dem Mangel an gesamtwirtschaftlichen Daten, sondern auch und noch mehr an einer fehlenden Theorie zur Erklärung des Beschäftigungsniveaus. Dies führte dazu, dass in theoretischen Diskussionen zu derartigen Fragen stillschweigend von VollbeschäftigungVollbeschäftigung aller Ressourcen, also auch der Arbeitskräfte, ausgegangen wurde. Zwar erwähnt Keynes des Öfteren, dass sich im Laufe der Konjunkturschwankungen die Beschäftigung ändert, aber diese Änderungen haben keine klaren Auswirkungen auf die gesamtwirtschaftlichen Größen Volkseinkommen, Konsum und Ersparnis.
Widersprüche und ungelöste Probleme
Keynes war schon bei Erscheinen seiner Abhandlung „Vom Gelde“ mit dem Buch unzufrieden, weil die Teile nicht alle harmonisch zusammenpassten. Die Hauptgründe für die von Keynes empfundenen Mängel liegen zum einen in der stillschweigenden (impliziten) Annahme der Vollauslastung aller Ressourcen einschließlich der VollbeschäftigungVollbeschäftigung aller erwerbswilligen Arbeitskräfte, die der herrschenden Ökonomie zugrunde lag, zum anderen in den ungelösten Fragen zum Zusammenhang von SparenSparen und Investieren und zu den Bestimmungsgründen der Ersparnis. In diesem Abschnitt soll die Problematik dargestellt und entwirrt werden.
Die stillschweigende Annahme der VollbeschäftigungVollbeschäftigung
Die Methode, bei der Analyse ökonomischer Probleme von der Vollauslastung aller Produktionsfaktoren (Arbeit und Sachkapital) auszugehen, hat in der Nationalökonomie eine sehr lange Tradition. Schon die Begründer dieser Wissenschaft (Adam SmithSmith, David RicardoRicardo) gingen von einer solchen Situation aus (kurzfristige Abweichungen waren denkbar). Dies lässt sich darauf zurückführen, dass zu ihrer Zeit (d.h. in den vier Jahrzehnten vor und nach 1800) die materiellen Güter zur Deckung elementaren Bedarfs an Nahrung, Bekleidung und Wohnen sehr knapp waren und die Produktionsmöglichkeiten den Umfang der produzierten Menge begrenzten. Die Vorstellung, es könne an Nachfrage nach Gütern zur Deckung der Grundbedürfnisse fehlen, lag in dieser Situation sehr fern.
Außerdem war ArbeitslosigkeitArbeitslosigkeit in der damaligen, von der LandwirtschaftLandwirtschaft dominierten Wirtschaft nicht so offensichtlich erkennbar, wie wir es heute gewohnt sind. Es gab weder statistische Erhebungen noch Arbeitslosenversicherungen, bei denen man die Zahl der Arbeitslosen hätte erfassen können. Erkennbar waren Armuts- und Hungersnöte. Wenn Industriearbeiter arbeitslos wurden, versuchten sie, durch Mithilfe in der Landwirtschaft ihren kargen Lebensunterhalt zu fristen. Sie kamen bei Verwandten auf dem Lande unter, sammelten Brennholz im Wald und versuchten so, über die Runden zu kommen. Oder sie wanderten aus, insbesondere in die USAUSA.
Sicherlich war in den politisch bestimmenden wohlhabenden Kreisen (1832 hatten in GroßbritannienGroßbritannien, dem fortgeschrittensten Lande Europas, nach einer hart erkämpften Wahlrechtsreform nur erst ca. 20 % der Männer das Wahlrecht) das Vorurteil weit verbreitet: Jeder, der arbeiten will, findet einen Arbeitsplatz.
Diesem Vorurteil entsprach die wissenschaftliche Argumentation; denn die Nationalökonomen betrachteten den ArbeitsmarktArbeitsmarkt prinzipiell als einen Markt wie jeden anderen. Werden z.B. auf dem Wochenmarkt mehr Tomaten angeboten als nachgefragt, so sinkt der Preis der Tomaten. Darauf reagieren die Nachfrager, indem sie mehr Tomaten kaufen, und die Anbieter, indem sie am nächsten Markttag weniger Tomaten anbieten. So ergibt sich alsbald ein Preis, bei dem Angebot und Nachfrage übereinstimmen.
Dasselbe gelte, so die herrschende Lehre, auch für den ArbeitsmarktArbeitmarkt: Es gibt immer einen Lohn, bei dem Angebot und Nachfrage zum Ausgleich kommen und jeder, der zu diesem Lohn zu arbeiten bereit ist, eine Arbeitsstelle findet. Es kann dies allerdings ein Hungerlohn sein. Längerfristig möglich ist nur strukturbedingte ArbeitslosigkeitArbeitslosigkeit, wenn die Arbeiter zu wenig mobil und flexibel einsetzbar sind.
Später im 19. Jahrhundert stiegen in der Industrie die Produktion und die Produktivität (Produktionsmenge je Arbeitnehmer) rasch an und damit auch – unterstützt durch die Zulassung von Gewerkschaften – die Realeinkommen vieler Bürger. Es wurde offensichtlich, dass nicht mehr alle Arbeitnehmerhaushalte ihre gesamten Einkommen für Konsumgüter ausgaben und schon gar nicht die Haushalte der Unternehmen und der Vermögensbesitzer.
Der Sorge, eine nicht mit der Gesamtproduktion Schritt haltende Nachfrage nach Konsumgütern könnte zu fehlender Gesamtnachfrage führen, wurde das Say‘sche GesetzSay’sche Gesetz entgegengehalten. Dieses sogenannte Gesetz (es handelt sich eher um eine kühne Hypothese) wurde von J.B. Say bereits 1803 formuliert. Es besagt: Im Zusammenspiel der wirtschaftlichen Akteure schafft sich jedes Angebotsvolumen seine Nachfrage. Das Gesetz wird daraus abgeleitet, dass jeder, der ein Gut oder eine Dienstleistung anbietet, dafür ein anderes Gut oder eine andere Dienstleistung nachfragt.
Leicht begründen lässt sich dieses Gesetz für eine TauschwirtschaftTauschwirtschaft ohne Geld, in der jeder Anbieter eines Gutes notwendigerweise gleichzeitig ein anderes Gut nachfragt. In einer solchen Wirtschaft ist mithin jedes Angebot zugleich Nachfrage. Für eine GeldwirtschaftGeldwirschaft lässt sich das Say‘sche Gesetz nicht so einfach begründen; denn einige Anbieter werden das Geld, das sie im Austausch für ihr Angebot erhalten, nicht sofort wieder zur Nachfrage verwenden. Selbst wenn die betreffenden Personen planen, irgendwann oder zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft mit der Hilfe des erworbenen Geldes Nachfrage zu entfalten, so entsteht doch in der Gegenwart auf direkten Wege keine Nachfrage in der vollen Höhe des Angebotes. Die fehlende Nachfrage kann jedoch auf indirektem Wege ausgeglichen werden, wenn die Ersparnis eine gleich hohe Investition hervorruft. Dafür sorge, so wird argumentiert, der Zinsmechanismus, der stets zum Ausgleich von Angebot an Ersparnissen und Nachfrage nach Geld für Investitionszwecke führe.
Sollten also die ErsparnisseErsparnisse steigen, würde der ZinssatzZinssatz sinken und zusätzliche InvestitionenInvestitionen auslösen, bis ein GleichgewichtGleichgewicht zwischen gesamtwirtschaftlichen Investitionen und Ersparnissen erreicht ist. Ersparnisse hängen nämlich positiv vom Zinssatz ab (bei höherem Zinssatz lohnt es sich mehr zu sparen), die Investitionen dagegen negativ: Je höher der ZinsZins für die Kredite, die der UnternehmerUnternehmer für Investitionszwecke aufnehmen muss, desto weniger Investitionen sind rentabel.
Die neoklassische Theorieneoklassische Theorie, die inzwischen die „klassische“ Theorieklassische Theorie von SmithSmith und RicardoRicardo abgelöst hatte, behauptete daher, gestützt auf Say’sches Gesetz und das oben geschilderte Funktionieren des Arbeitsmarktes, das marktwirtschaftliche System tendiere stets zur VollbeschäftigungVollbeschäftigung. Beschäftigungsschwankungen könne man daher vernachlässigen und von Vollauslastung der Ressourcen Arbeit und Kapital ausgehen. In Kasten 6 wird diese Argumentation graphisch veranschaulicht.
Kasten 6: Die Tendenz zur VollbeschäftigungVollbeschäftigung in der Neoklassik in graphischer Darstellung
Der neoklassische Arbeitsmarkt
Übersteigt das Arbeitsangebot (AA) die Nachfrage (AN), sinkt bei flexiblem Reallohnniveau der Lohnsatz bis zu seinem Gleichgewichtswert (wGG). Alle Personen, die zum gleichgewichtigen Reallohn zu arbeiten bereit sind, finden einen Arbeitsplatz. Es herrscht also VollbeschäftigungVollbeschäftigung.