Jürgen Kromphardt

John Maynard Keynes


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6.2:

      Der neoklassische Zinsmechanismus

      Zinsabhängige ErsparnisseErsparnisse bei VollbeschäftigungVollbeschäftigung (SVB) und zinsabhängige InvestitionenInvestitionen (I) finden zum GleichgewichtGleichgewicht bei dem ZinssatzZinssatz iGG.

      ArbeitsmarktIm klassisch/neoklassischen Theoriegebäude werden die üblichen partialanalytischen, mikroökonomischen Vorstellungen über den Verlauf von Angebots- und Nachfragekurven auf den gesamtwirtschaftlichen ArbeitsmarktArbeitsmarkt übertragen.

      Die ansteigende Kurve des Arbeitsangebotes (AA) gibt die Hypothese wieder, dass die Arbeitskräfte mit steigendem Reallohn ihr ArbeitsangebotArbeitsangebot ausdehnen und bei sinkendem Reallohn verringern. Vernachlässigt wird dabei, dass manche Arbeitskräfte bei sinkendem Reallohn mehr Arbeit anbieten werden, um ihren Lebensstandard aufrechterhalten zu können.

      Die fallende Kurve der ArbeitsnachfrageArbeitsnachfrage (AN) wird aus der folgenden mikroökonomischen Überlegung abgeleitet: Wenn ein Unternehmen bei gegebener Ausstattung seiner Firma mit Maschinen und Geräten zusätzliche Arbeitskräfte einstellt, so wird deren zusätzlicher Beitrag zum Output immer kleiner, weil diese sich mit der konstanten Anzahl von Maschinen und Geräten auskommen müssen. Es gelte hier das „Gesetz vom fallenden GrenzertragGrenzertrag bei partieller Faktorvariation“.

      In mikroökonomischer Betrachtung lohnt es sich daher für den UnternehmerUnternehmer, mehr Arbeitskräfte einzustellen, wenn der Reallohn, also der NominallohnNominallohn geteilt durch das Güterpreisniveau, fällt. Die Übertragung auf die Gesamtwirtschaft ist jedoch fragwürdig, solange nicht geklärt ist, ob nicht ein sinkender Reallohn zu einer verringerten Nachfrage nach Konsumgütern und damit nach Arbeitskräften für deren Produktion führt. Ist dies der Fall, würde der Versuch, auf der Arbeitsnachfragekurve zu wandern, zu deren Verschiebung nach unten führen. Dieses Problem wird jedoch durch den Verweis auf den Zinsmechanismus gemäß Abb. 2 ausgeschlossen.

      In Abbildung 2 gibt die fallende Kurve die Nachfrage nach Geldmitteln für Investitionszwecke an. Der Verlauf resultiert aus folgender Überlegung: Je niedriger der ZinssatzZinssatz, desto mehr Investitionsprojekte werden bei gegebenen Renditeerwartungen rentabel. Die ansteigende Kurve gibt die gesamtwirtschaftliche Ersparnis an. Sie nimmt mit steigendem Zinssatz zu, weil es sich umso mehr lohnt, Teile seines Einkommens zu sparen, je höher der Zinssatz ist.

      Besteht nun in der Ausgangssituation VollbeschäftigungVollbeschäftigung, entsteht das dazugehörige Vollbeschäftigungseinkommen und daraus das – auch zinsabhängige – SparenSparen bei Vollbeschäftigung (SVB). Dank zinselastischer InvestitionenInvestitionen stellt sich dann ein ZinssatzZinssatz ein, bei dem I und S und damit das Gesamtangebot und Gesamtnachfrage übereinstimmen. Somit gilt: Das Say‘sche Gesetz setzt die Vollbeschäftigung voraus, die es zu begründen behauptet. Nur wenn die Ersparnisse Ersparnissein einer Volkswirtschaft völlig unabhängig vom Einkommen wären, wäre dies anders.

      Übereinstimmung von SparenSparen und Investieren: Definition oder GleichgewichtGleichgewicht?

      In der Tradition von WicksellWicksell geht Keynes (1930/1932) noch davon aus, dass der ZinsZins InvestitionenInvestitionen und ErsparnisseErsparnisse zum Ausgleich bringt. Dabei ist Ersparnis definiert als der Teil der Produktion, der nicht konsumiert wird. Da das Einkommen durch die Produktion von Gütern (Waren und Dienstleistungen) entsteht, ist die Ersparnis damit zugleich definiert als der Teil des Einkommens, der nicht für Konsumzwecke verwendet, sondern gespart wird. Was geschieht nun mit den Gütern, die nicht konsumiert werden? Sie werden vor allem von anderen Unternehmen für Investitionszwecke verwendet, die damit ihre Produktionskapazität vergrößern (Anlageinvestitionen IA). Es gibt außerdem selbsterstellte Anlagen, die hier aber außer Betracht bleiben können. Auch möglicherweise ungeplante Ersparnisse werden hier nicht berücksichtigt.

      Ein weiterer Teil der nicht konsumierten Güter aber kann unverbraucht beim Produzenten oder ungenutzt bei den anderen Unternehmen im Vorratslager auf Halde liegen. Änderungen dieser Bestände (LagerinvestitionenLagerinvestitionen IL) können auch negativ sein, wenn Lagerbestände abgebaut werden. Beide Arten von InvestitionenInvestitionen zusammen umfassen also alle nicht konsumierten Güter. Daher gilt immer:

      (2.1) S = IA + IL

      Diese definitorische Gleichheit überdeckt, dass es für den Produzenten einen großen Unterschied macht, ob er die von ihm produzierten Güter verkaufen kann oder ob sie unverwendet im Lager liegen bleiben. Werden hier nämlich alle von ihm produzierten Güter verkauft, hat er keinen Anlass, sein Produktionsvolumen zu verändern. Bleibt dagegen ein Teil im Lager liegen, wird er veranlasst, seine Produktionsmenge zu reduzieren. Gesamtwirtschaftliches GleichgewichtGleichgewicht (definiert als Situation, in der im gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt die Unternehmen keinen Anlass haben, ihr Produktionsvolumen zu verändern) kann also nur vorliegen, wenn insgesamt keine Lagerveränderungen erfolgen (IL = 0). Daher gilt im Gleichgewicht und nur dann:

      (2.2) S = IA

      Keynes (1930) bezeichnet die Lagerbestände als liquides Kapitalliquides Kapital und unterteilt sie zusätzlich in „normale Vorräte, die zur Führung des Geschäfts erforderlich sind“ (1930/32, S. 105) und Überschussvorräte. Verwirrend ist, dass Keynes bei der Produktion von Investitionsgütern die Überschussvorräte mitzählt, bei der Definition von Kapitalgütern dagegen nicht. Außerdem geht Keynes häufig implizit so vor wie die traditionelle Gleichgewichtsanalyse, bei der die LagerinvestitionenLagerinvestitionen gleich Null gesetzt und vernachlässigt werden, mit dem Argument, dass im GleichgewichtGleichgewicht Angebot (Produktion) und Nachfrage nach Gütern in der Gesamtwirtschaft übereinstimmen.

      Damit aber dennoch S und IA auseinander fallen können, wählt Keynes (1930/1932) für seine Analyse eine spezielle Definition von Einkommen und Ersparnissen, indem er aus beiden solche GewinneGewinne ausschließt, die über die normalen Profite hinausgehen. Auch dies deutet darauf hin, dass Keynes damals noch dem Denken in einem ständigen GleichgewichtGleichgewicht verhaftet war; denn im Gleichgewicht gibt es keine ungeplanten InvestitionenInvestitionen, sodass sie auch keine Quelle eines Auseinanderfallens von geplanten Investitionen und Ersparnis sein können.

      Im Vorwort zur deutschen Übersetzung (Keynes, 1930/1932) bemerkt Keynes: Hätte er die „windfall profitswindfall profits“, die nicht konsumiert, sondern gespart werden, in die ErsparnisseErsparnisse einbezogen, so würden InvestitionenInvestitionen und Ersparnisse definitionsgemäß übereinstimmen und könnten gar nicht voneinander abweichen. Dies bestätigt, dass für Keynes die Investitionen auch ungeplante Vorratsinvestitionen enthalten; denn nur dann umfassen die Investitionen alle Güter, die nicht konsumiert, also gespart worden sind.

      Insgesamt werden die Zusammenhänge zwischen InvestitionenInvestitionen und Ersparnissen durch Keynes’ spezielle Definition der ErsparnisseErsparnisse eher verdunkelt als erhellt.

      Wodurch werden die Ersparnisse bestimmt?

      ErsparnisseDa nach traditioneller Lehre InvestitionenInvestitionen und ErsparnisseErsparnisse durch den ZinssatzZinssatz in Übereinstimmung gebracht werden, bleibt zu klären, ob sich beide Variablen aneinander anpassen oder ob eine der beiden die andere dominiert, sodass sich entweder die Investitionen an die Ersparnisse oder letztere sich an die Investitionen anpassen. Geht man – wie damals üblich – implizit von VollbeschäftigungVollbeschäftigung aus, so sind die Ersparnisse durch den Spareifer der Bevölkerung gegeben, der je nach Höhe des Zinssatzes angeregt oder gedämpft wird. Der Zinsmechanismus sorgt dann dafür, dass Investitionen in Höhe der Ersparnisse vorgenommen werden, sodass die Vollbeschäftigung erhalten bleibt.

      In diesem Gedankengebäude bestimmen im Wesentlichen die ErsparnisseErsparnisse die InvestitionenInvestitionen; denn nur Güter, die nicht konsumiert werden, stehen für Investitionszwecke zur Verfügung. Gegen diese Vorstellung wendet sich Keynes und argumentiert, die InvestitionenInvestitionen seien nicht von der Ersparnis abhängig, sondern vom Verhalten des Bank- und Geldwesens (1930 / 1932, S. 416f):

      „Die