manchmal die Lerngrade ähnlicher Erzeugnisse Näherungswerte für eine Prognose über den Verlauf geben. Ein schwieriges, wenn auch nicht unlösbares Problem des Erfahrungskurven-Konzeptes ist die Trennung in die Einzeleffekte „Learning by Doing“, Economies-of-Scale und Economies-of-Scope, worauf aber an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden soll.
Die praktische Relevanz von Erfahrungskurven für die Entwicklung von Exportstrategien soll an einem Beispiel verdeutlicht werden (vgl. Abbildung 44). Zunächst soll davon ausgegangen werden, dass ein Unternehmen UD in Deutschland ein Produkt innoviert hat und [66]durch die kumulierte Produktion dieses Erzeugnisses in Höhe von XD einen Erfahrungsvorsprung besitzt, der durch die Kostenhöhe PD bestimmt wird. ED gibt dabei die Erfahrungskurve wieder, die für deutsche Kostenverhältnisse typisch sein soll. Bei gleicher Kostenstruktur müsste ein deutscher Wettbewerber auch eine kumulierte Produktionsmenge XD erzielen, um mit UD gleichzuziehen. Tritt z.B. ein japanischer Wettbewerber UJ neu in den Markt ein, dann werden i.d.R. bei der Betrachtung der Erfahrungskurve mehrere Effekte relevant.
Erstens kann durch eine günstigere Ausgangskostensituation in Japan der Startpunkt KJ niedriger sein als der des deutschen Unternehmens (KD). Durch den niedrigeren Einstieg in die Erfahrungskurve würde der japanische Wettbewerber die kumulierte Produktionsmenge ΔΣX einsparen (vgl. Abbildung 44).
Zweitens kann ein japanischer Wettbewerber, der die Produktion später beginnt, die neueste Technologie am Markt kaufen und eine Neuoptimierung vornehmen, während das deutsche Unternehmen oftmals nur noch in bestehenden Systemen optimieren kann. Oft ermöglicht das einem japanischen Wettbewerber, eine steilere Erfahrungskurve zu realisieren, d.h., höhere Lerngrade sowie Economies-of-Scale- oder Economies-of-Scope-Effekte zu erreichen als der deutsche Konkurrent.
Drittens hat ein japanischer Wettbewerber den Vorteil, dass das deutsche Unternehmen bereits das Marktpotenzial „ausgetestet“ hat. Durch eine auf ein spezielles Produkt konzentrierte globale Exportstrategie kann das japanische Unternehmen schnell eine hohe kumulierte Produktion erreichen. Exporte bieten somit die Möglichkeit, Erfahrungskurveneffekte im Inland durch das Ausnutzen von Marktpotenzialen im Ausland zu erzielen.
Gelten diese drei Voraussetzungen für einen japanischen Wettbewerber, dann benötigt dieser nur noch die kumulierte Produktionsmenge XJ, um die gleiche Kostenhöhe (PJ) wie der deutsche Wettbewerber zu erreichen (PD). Hinter den kumulierten Produktionsmengen XD und XJ stehen unterschiedliche Zeithorizonte. Dem japanischen Wettbewerber gelingt es damit schneller als dem deutschen, das gleiche Kostenniveau (PJ = PD) auf der Erfahrungskurve zu erreichen.
Unterstellt man als Nächstes, dass ein südkoreanisches Unternehmen USK die Produktion des Erzeugnisses aufnimmt und geht von einem Ausgangskostenniveau KSK aus, das niedriger liegt als das des japanischen Wettbewerbers KJ, dann spart das südkoreanische Unternehmen wiederum eine kumulierte Produktionsmenge. Nimmt auch das südkoreanische Unternehmen eine „Neuoptimierung“ vor, realisiert es damit eine steilere Erfahrungskurve als der japanische Konkurrent. Geht man weiterhin davon aus, dass das südkoreanische Unternehmen ebenfalls eine globale Exportstrategie wählt, um seine kumulierte Produktion so schnell wie möglich zu erhöhen, so sieht man aus Abbildung 44, dass dann nur noch die kumulierte Produktionsmenge XSK benötigt wird, um mit dem deutschen und japanischen Unternehmen auf der Erfahrungskurve gleichzuziehen. Es ist damit wiederum [67]schneller als die japanische Konkurrenz. Die unterschiedlichen Zeitintervalle dieser „Aufholjagd“ lassen sich, wie an anderer Stelle gezeigt wurde (Perlitz, M., 1983), mathematisch mit ihren kritischen Werten in Bezug auf Kapazitäten, Marktwachstum, Ausgangskostenniveaus und unterschiedliche Lerngrade ermitteln.
Abbildung 44: Entwicklung von Exportstrategien auf der Basis von Erfahrungskurven
Die Lernkurven-Theorie des internationalen Handels liefert eine Reihe von Erklärungsvariablen für eine betriebliche Stärken- und Schwächen- sowie eine Umweltanalyse. Einerseits sind die Lerneffekte für die Erklärungsvariablen „Kosten“, „Produktion“ und „Technologie“ einer betrieblichen Stärken- und Schwächenanalyse bedeutsam. Andererseits wird es dem Unternehmen durch einen großen Inlandsmarkt möglich, die Erfahrungskurve relativ schnell zu durchlaufen und damit die Erklärungsvariable „Größe des Marktes“ für eine Umweltanalyse relevant wird. Somit liefert die Lernkurven-Theorie des internationalen Handels Erklärungsvariablen, die für das Regelkreissystem der Unternehmensführung relevant werden und die Formulierung einer Internationalisierungsstrategie beeinflussen.
Nachfragestruktur-Theorie
Die Nachfragestruktur-Theorie, die von Linder (Linder, S.B., 1961) entwickelt wurde, unterscheidet zwischen Exporten von Ur- (= natürliche Ressourcen) und Industrieprodukten. Für die Erklärung des Außenhandels mit Urprodukten stützt sich Linder auf die Theorie der komparativen Kostenvorteile nach Heckscher und Ohlin (Faktorausstattungstheorie). Die Nachfragestruktur-Theorie wird somit nur für Industrieprodukte relevant. Eine schematische Darstellung der Nachfragestruktur-Theorie ist in Abbildung 45 wiedergegeben (Kutschker, M./Schmid, S., 2011).
[68]Wie diese Abbildung zeigt, unterscheidet Linder (Linder, S.B., 1961) einen potenziellen und einen aktuellen Bereich des Außenhandels. Als Bestimmungsfaktoren für die Ermittlung potenzieller Exportgüter betrachtet er zum einen die vorhandene Inlandsnachfrage, die eine kostengünstige Produktion erlaubt, und zum anderen eine Wachstumsgrenze für das betreffende Industriegut im Inland. Ausgangspunkt der Theorie ist die Überlegung, dass das Produkt zuerst im Inland angeboten wird. Dafür gibt Linder drei Begründungen:
Es ist unwahrscheinlich, dass ein Unternehmen eine Nachfrage im Ausland befriedigen wird, die nicht im Inland existiert. Eine Begründung dafür liegt in der unvollkommenen Information, die das Unternehmen i.d.R. über das Ausland besitzt.
Erfindungen und Innovationen sind im Allgemeinen zunächst auf die Umwelt bezogen, in der das Unternehmen normalerweise tätig ist. Daher werden Innovationen zunächst im Inland angeboten.
Der Trial-and-Error-Prozess während der Einführungsphase macht eine enge Verbindung zwischen dem Produzenten und den Konsumenten erforderlich, um zu einem effizienten und billigen Informationsaustausch zu kommen. Dies ist am besten im Inland möglich.
Linder räumt selbst ein, dass es auch Ausnahmen für die Unterstellung gibt, dass der potenzielle Export zunächst durch die Inlandsnachfrage bestimmt wird. Als eine solche Ausnahmesituation betrachtet er z.B., dass Erzeugnisse ohne Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen verfügbar sind oder dass Erzeugnisse keine Trial-and-Error-Phase mehr durchlaufen.
Wenn der Inlandsmarkt ein weiteres Wachstum des Unternehmens verhindert, wird es nach Linder seinen Aktionsradius auf das Ausland erweitern. Dann beginnt das Unternehmen darüber nachzudenken, welche Länder für einen Export infrage kommen könnten. Als potenzielle Importländer kommen seiner Ansicht nach hauptsächlich solche in Betracht, die eine Ähnlichkeit in der Nachfragestruktur mit dem Exportland besitzen. Dabei misst er die Ähnlichkeit der Nachfragestruktur am Pro-Kopf-Einkommen der Bevölkerung eines Landes. Seine Theorie lautet: Je ähnlicher die Nachfragestruktur von zwei Ländern ist, umso intensiver ist der potenzielle Außenhandel mit Industrieprodukten zwischen diesen beiden Ländern.
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Abbildung 45: Nachfragestruktur-Theorie
Neben diesen potenziellen Bereich stellt Linder den aktuellen