Eva-Maria Bast

Tatort Bodensee


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      Und Horsts Replik war programmgemäß so gekommen, wie sie in jenen Gesprächen pflichtschuldigst immer kam: »Wir sind halt Schwaben und keine solchen Verschwender wie ihr Badenser! Der Schwabe als solcher …«

      »… lebt, um zu arbeiten, während der Badener arbeitet, um zu leben!«, wurde er an dieser Stelle – wie immer – von Thomas unterbrochen.

      »Eben – sag ich doch! Was würdet ihr auch anstellen, ohne unser Geld aus Stuttgart! Typisch Badenser: Immer über uns schimpfen, aber unser Geld, das nehmt ihr, ohne Danke zu sagen!«

      »Ist ja auch immer noch zu wenig«, hieb Thomas weiter in seine Anti-Schwaben-Kerbe. »Aber dafür bekommt ihr ja schließlich unser Bodensee-Wasser. Ganz Stuttgart würde ja auf dem Trockenen sitzen, wenn wir euch nicht das gute Bodensee-Trinkwasser liefern würden, in das wir vorher noch mal schnell reinpinkeln! Aber für die Schwaben langt’s auch so: Hauptsache, viel, und Hauptsache, billig!«

      In der Zwischenzeit hatte sich Horst in die ausrangierten Füßlinge von Thomas gezwängt und ihm zu verstehen gegeben, dass sie zwar mehr schlecht als recht, aber ihm dennoch irgendwie passten. Das war das Zeichen zum Aufbruch. Thomas, der sich parallel zu ihrem üblichen Baden-kontra-Württemberg-Disput seinen fast noch nagelneuen Trockentauchanzug übergestreift hatte (ein Teil, das sich Horst, davon war er felsenfest überzeugt, niemals anschaffen würde – gut und gerne 2.000 Mark hatte das Ding mit allem Drum und Dran gekostet!), zog die Starterleine am Außenborder ihres Leihbootes und schon nach dem zweiten Versuch gab der Motor nach ein, zwei holprig spuckenden Stottergeräuschen ein tiefes gleichmäßiges Brummen von sich.

      Ein zufriedenes Lächeln zeigte sich auf Thomas’ Gesicht. Horst atmete innerlich durch: Wenigstens am heutigen Nachmittag schien sein Kollege deutlich ruhiger und ausgeglichener als am Abend zuvor. So ein Gespräch, bei dem man einem Freund endlich mal das Herz ausschütten konnte, war offenbar doch immer noch Gold wert. Also dann – Horst blickte über die im diffusen Licht der letzten sich gerade verziehenden Regenwolken ­schwarzgraublau schimmernde Fläche des Bodensees hinüber in Richtung Meersburg. Immer wieder eine schöne Kulisse, dieses Meersburg mit der alten Burg, dem riesigen Schloss, dem Fährhafen und der Schifflände – selbst vom relativ weit entfernten Schweizer Ufer bei Bottighofen aus.

      Sanft schaukelte das Boot mit den beiden Tauchern, als sie ablegten. Rund einen Kilometer in Richtung Nordosten würden sie zurücklegen müssen, bis sie an der Stelle Anker werfen konnten, an der im Februar des Jahres 1864 der Raddampfer »Jura« im dichten Nebel von der »Stadt Zürich« gerammt und in den eisigen Fluten des Bodensees versenkt worden war. In wenigen Minuten würden sie ankommen und sich dann so schnell wie möglich auf die gut 36 Meter Tiefe »fallen lassen«, in der die »Jura« seit fast 140 Jahren im Schlick des Bodensee-Untergrunds ihr dunkles Grab gefunden hatte. Das Abenteuer konnte beginnen!

      Thomas drosselte den Außenborder und spähte angestrengt auf eine fiktive Landmarke hinter sich. »Da ungefähr müsste es sein. Ich denke, ich habe die Stelle ziemlich genau getroffen. Also dann, gib mir bitte mal den Anker rüber.« Im selben Moment stellte er den Motor ab, griff nach dem winzigen Anker, den Horst vorsorglich bereits aufgeklappt hatte, und warf ihn über Bord. Schon beeindruckend, in welcher Windeseile sich das Nylonseil, an dem der Anker befestigt war, in die Tiefe abrollte. Meter um Meter verschwanden unter dem Boot in der vom Auge undurchdringbaren Tiefe des Sees. Horst begann zu frösteln. Warum nur hatte er sich auf dieses Abenteuer eingelassen? Hätte er doch damals dankend abgelehnt, als ihm Thomas beim Lehrgang in Wertheim den Vorschlag zum gemeinsamen Bodensee-Wracktauchen im Juli gemacht hatte!

      Wieder zog sich ein leichter bohrender Schmerz durch seinen Kopf und schien ihn wie mit einer Schraubzwinge zusammenzupressen. Immer noch die Nachwirkungen der vergangenen, allzu kurzen Nacht mit ihren allzu vielen Gläsern Weißherbst! Aber ein Zurück gab es jetzt nicht mehr. Augen zu und durch! Tatsächlich kniff er einen Moment lang die Augen zu, was Thomas, dem die gequälte Miene seines Gegenübers nicht verborgen geblieben war, zu der sorgenvollen Frage veranlasste: »Alles in Ordnung mit dir, Hotte? Du siehst irgendwie nicht gut aus!«

      »Danke für die Blumen«, knurrte der sich ertappt fühlende Horst zurück. »Too much wine and too much song – aber ansonsten bin ich fit wie ein Turnschuh!«

      »Na, hoffentlich! Du weißt, 40 Meter bei der Temperatur sind kein Pappenstiel – und außerdem ist es stockdunkel da unten. Da solltest du schon deine fünf Sinne beisammen haben! Wenn nicht, dann drehen wir lieber um und kommen in zwei oder drei Tagen noch mal. Bevor jetzt aus falsch verstandenem Heldenmut irgendein Blödsinn passiert … Also ich habe nämlich keine Lust, dich nachher in die Druckkammer nach Überlingen verfrachten zu müssen!«

      »Blödsinn«, brummelte Horst und wies mit einer raschen Kinnbewegung auf den linken Unterarm von Thomas. »Wenn einer wie du tauchen kann, obwohl er die Krätze hat, dann wird’s bei mir mindestens genauso gut gehen!«

      Augenblicklich zog Thomas seine Rechte vom Unterarm, an dem er sich, durch den Tauchanzug hindurch, heftig gekratzt hatte. »Ist schon nicht so tragisch! Ich weiß auch nicht, was da los ist, wahrscheinlich hab ich tatsächlich was Falsches gegessen: irgendwelche ungewaschenen gespritzten Erdbeeren oder so!«

      »Und das als WKDler«, grinste Horst. »Das passt ja wie die Faust aufs Auge!«

      »Mach dich nur lustig über mich. Also: Hast du deine Flasche schon aufgedreht? Okay, wie viel Luft ist drin?«

      Horst warf einen prüfenden Blick auf seinen Druckanzeiger, dann nickte er zufrieden. »220 bar, kann man nicht meckern. Das müsste eigentlich reichen für einmal runter und einmal rauf. Also – alles klar. Und bei dir?«

      Thomas runzelte die Stirn, drehte noch einmal am Ventil seiner Pressluftflasche und drückte anschließend auf die Luftdusche seines Mundstücks. Wieder starrte er auf seinen Druckanzeiger. »Komisch, irgendwie haben es die Jungs von der Tauchbasis mit mir diesesmal nicht so gut gemeint. 170 bar nur! Da müssen wir uns sputen! Ich sag’s ja: so eine Doppelflasche, die wär hier schon viel eher das Richtige. Aber gut, jetzt ist es halt, wie’s ist, und das heißt wirklich: Rein ins Wasser und ruckzuck runter an der Ankerleine. Aber mehr als zehn Minuten Grundzeit sollten wir nicht riskieren, was meinst du?«

      Horst warf zur Sicherheit nochmals einen Blick auf die Deko-Tabelle, die er, Tauchcomputer hin oder her, grundsätzlich bei jedem Tauchgang mit sich führte. Dann nickte er zustimmend. »Seh ich genauso! Rein-runter-rauf-raus! Aber auf sechs Meter und auf drei Meter machen wir jeweils fünf Minuten Sicherheitsstopp – und wenn’s uns auch noch so friert. Einverstanden?«

      Auch Thomas nickte. »Ist in Ordnung! Also dann: Haube auf, Handschuhe an, Flasche drauf und runter! Ich bin ja wirklich gespannt, was du sagst, wenn wir wieder oben sind! Jede Wette, dass du das mindestens genauso klasse finden wirst wie das Tauchen in irgendeinem Korallenmeer. Diesen Kick, den kriegst du nämlich nur hier, und nicht in irgendeiner lauwarmen Badewanne!«

      Das mit dem Kick sollte sich wenig später als absolut zutreffend erweisen, das mit der Wette war eine ganz andere Sache …

      Schon kurz nach dem Hineinspringen fühlte Horst die eisige Kälte, die sich um ihn herum ausbreitete und die ihn regelrecht zu erdrücken schien. Dazu kam bereits nach fünf oder sechs Metern absolute Dunkelheit, das grünlich-braune Dämmerlicht kurz unter der Wasseroberfläche war schnell einem merkwürdig gräulichen Blau gewichen, bevor er von völliger Dunkelheit umgeben war. In Anbetracht der Tatsache, dass sie mit ihrem begrenzten Luftvorrat beschlossen hatten, zügig abzutauchen, hatte sich Horst zwei Kilogramm Blei mehr als üblich in die Seitentaschen seines Jackets gesteckt.

      Verdammt! Wo war denn eigentlich die Ankerleine, an der sie abgetaucht waren, und vor allem: Wo war Thomas? Horst schaltete die Lampe an, doch das Licht des Scheinwerfers reichte schätzungsweise gerade einmal drei Meter weit. Die zahllosen Schwebteilchen schienen das Licht geradezu aufzufressen, und so fühlte er sich wie gefangen in einem undurchdringbaren schwarzen Käfig, in dessen enger Mitte ein trübes grüngelbes Irrlicht tanzte!

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