Eva-Maria Bast

Tatort Bodensee


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Speiser’schen Haus geparkt hatte, mit aggressiven Gesten zu vertreiben. Der Platz vor dem Haus (auf der öffentlichen Straße!) gehöre ganz allein zu seinem Anwesen und niemand sonst hätte hier etwas zu suchen. Thomas hatte es anscheinend schon mehrfach im Guten versucht, aber vergeblich: Der Nachbar hatte sich nicht von seinem Herr-auf-der-Straße-Standpunkt abbringen lassen, ganz im Ge­gen­teil sogar. Der Kerl hatte ihn sogar vor zwei Wochen angezeigt, wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr und versuchter Körperverletzung. Thomas sei neulich beim Einparken mit seinem Wagen absichtlich schnell, mit aufheulendem Motor und schleifender Kupplung auf den Nachbarn zugerast, sodass dieser sich nur noch durch einen Sprung über den Gartenzaun habe in Sicherheit bringen können. »Völliger Blödsinn natürlich, der Kerl lügt wie gedruckt, da ist kein Fünkchen Wahrheit dran an dieser Story – aber ich habe jetzt den Salat!«, hatte Thomas gemeint und dabei sorgenvoll die Stirn in Falten gelegt. »Das hat der mit vollster Berechnung angezettelt, der Spinner! Kannst du dir vorstellen, wie das am nächsten Tag auf der Direktion war, als mich der Striebel«, dabei handelte es sich um den Chef der Polizeidirektion, »plötzlich zu sich zitiert und mir eröffnet hat, es läge eine Anzeige wegen Körperverletzung gegen mich vor? Und als ich gelacht habe, wo er mir erzählt hat, um was es sich handelt, da hat er gemeint, ich solle die Sache ja nicht auf die leichte Schulter nehmen! Im Gegensatz zu diesem Psychopathen nämlich habe ich keine Zeugen, die meine Unschuld beweisen könnten, während der seine ganze Familie gegen mich hat aussagen lassen! Du – das kann ein Disziplinarverfahren von der übelsten Sorte geben, das sag ich dir! Und das alles wegen diesem Penner! Ich hätte da schon lange etwas unternehmen sollen, der wird ganz allmählich nämlich zu einer Gefahr für die Allgemeinheit, das ist ganz langsam immer schlimmer geworden mit dem, den müsste man mal auf seinen Geisteszustand hin überprüfen, aber das hab ich verschlafen, das kann ich jetzt grade natürlich nicht mehr bringen – jetzt bin ich in der Defensive! Mist!«

      Horst hatte nur allzu gut verstanden. Das war tatsächlich eine bescheuerte Situation für einen Polizeibeamten: Thomas war eindeutig in der Defensive und seine Verteidigung stand ohne Zeugen für seine Unschuld auf ganz wackligen Füßen. Und überdies: Egal, wie die Geschichte ausgehen würde – ganz ohne Blessuren würde Thomas da auf keinen Fall herauskommen –, der Nachbar würde jetzt natürlich auf dem Fundament des über Thomas errungenen Sieges erst recht weitermachen mit seinen Schikanen! Wenn es sich bei dem tatsächlich um einen Psychopathen handelte, na dann – Prost Nachbarschaft!

      Dies alles – Nachbarschaftsstreit, Anzeige, Ehekrise – waren aber nur die privaten Probleme, mit denen Thomas Grundler momentan schwer genug zu kämpfen hatte. Dazu gesellte sich noch eine offenbar furchtbar verzwackte Er­mittlungsgeschichte in seinem eigentlichen Arbeitsfeld, dem Wirtschaftskontrolldienst. Er war da im Laufe des Frühjahrs auf die Spur einer Umweltschweinerei allererster Güte geraten, und je mehr er in dieser Richtung recherchiert hatte, desto größere Kreise hatte sie gezogen. Und das Schlimme dabei war, das hatte er recht bald erkennen müssen, dass sich das Problem als ungeheuer vielschichtig darstellte und dass die Strippenzieher im Hintergrund offenbar über glänzende Kontakte bis in die Kommunal- und Landespolitik hinein verfügten, ja sogar in der Polizeidirektion selbst schienen Leute zu sitzen, die – zumindest in diesem Fall – die Fronten gewechselt hatten!

      »Ja, komm schon, jetzt spuck’s schon aus, wo du da dran bist!«, hatte Horst seinen Kollegen aufgefordert, nachdem der ihm endlich sein Herz ausgeschüttet und die Ursache aufgezeigt hatte, weshalb er auf sein Gegenüber so merkwürdig gedrückt und verändert gewirkt hatte.

      »So ein bisschen im Nebel rumstochern und da ein Wort fallen zu lassen und dort was anzudeuten, das bringt doch nix! Du brauchst doch ganz eindeutig Hilfe und solltest die ganze Geschichte mal richtig durchsprechen, und zwar von A bis Z, sonst kommst du da nie auf einen grünen Zweig. Und nachdem du in der Direktion keinem mehr traust, ja, da ist es sowieso vielleicht ganz gut, wenn du das mit einem Außenstehenden mal durchkaust, der einen völlig unverstellten Blick in dieser ganzen Chose hat. Also komm – schieß los!«

      Doch Thomas hatte nur traurig gelächelt und andeutungsweise den Kopf geschüttelt. »Du hast doch Urlaub, Hotte! Ich will dir doch deine paar schönen Tage am See nicht versauen – und außerdem glaube ich irgendwie, dass es besser wäre, wenn ich dich nicht da mit reinreite!«

      »Blödsinn!«, hatte Horst geantwortet. »So weit kommt’s noch, dass wir den Beamten raushängen lassen und unser Hirn abends an der Pforte abgeben! Du sagst mir jetzt, was Sache ist, oder es setzt was!«

      Zögernd hatte der Hauptkommissar danach einige Fakten angedeutet. Und wenn von den Vermutungen und Anhaltspunkten, die Thomas Grundler mit seiner gewohnt sorgfältigen und vorsichtigen Arbeitsweise in den letzten Monaten gesammelt hatte, auch nur die Hälfte zutraf, dann hatte er offensichtlich einen Volltreffer gelandet. Horst hatte staunend die Luft eingesogen und sich nachdenklich zurückgelehnt: »Dann stehst du ja praktisch mit beiden Beinen mitten auf dem Wespennest! Mein lieber Mann, das gibt aber ein mittleres Erdbeben, wenn du die Geschichte erst mal wasserdicht gemacht hast!« Und mit einem sorgenvollen Blick auf Thomas fügte er leise hinzu: »Da muss man bloß gewaltig aufpassen, dass man von den Wespen vorher nicht gestochen wird!«

      Wie recht er doch mit dieser Feststellung behalten sollte …

      »Also – alles roger? Ja?« Thomas warf einen weiteren prüfend-skeptischen Blick auf Horsts Ausrüstung.

      Horst nickte. »Alles okay! Alles an Bord: Flasche, Anzug, Flossen, Maske, Handschuhe, Lampe, Blei. Und auf geht’s!«

      Thomas warf den Kopf ins Genick und verdrehte vielsagend die Augen. »Also gut. Nur sag ja nicht hinterher, es hätte dich keiner gewarnt! Also ich an deiner Stelle würde schlichtweg erfrieren, ohne Trockentauchanzug. Und selbst mit dem Trocki ist es noch lausig kalt. Und da nimmst du den 7-mm-Nasstauchanzug, also ich weiß nicht! Lass dir’s noch mal sagen: Da unten ist es stockdunkel und es hat grade mal 6 Grad – wenn’s hoch kommt!«

      Horst zuckte wegwerfend die Schultern. »Weiß ich doch! Haben wir jetzt doch schon 150 Mal durchgekaut! Du weißt doch: Ich bin ein Warmblüter – das klappt schon! Im Baggersee war ich mit meiner Ausrüstung auch schon auf 25 Metern – da kommt’s auf die paar Meter mehr oder weniger auch nicht mehr an!«

      Thomas deutete auf Horsts Flossen: »Aber was ist damit? Das ist doch wohl nicht dein Ernst, mit den Dingern da runterzutauchen?«

      »Natürlich ist es das! Jetzt zerbrich dir mal nicht meinen Kopf!« Horst fühlte sich allmählich wie im Kindergarten. »Ich bin schließlich alt genug und hundert Tauchgänge habe ich auch auf dem Buckel. Genug, um einschätzen zu können, was geht und was nicht geht!«

      Thomas unternahm einen weiteren Anlauf: »Aber der Bodensee ist anders als irgendein popeliger Baggersee. Der Bodensee ist der Bodensee!«

      Horst spielte den Überraschten. »Was du nicht sagst!«

      »Jetzt werd nicht läppisch! Ich meine es ernst! Ich hab schon Dinger erlebt, sag ich dir … Also komm – jetzt probier wenigstens, ob dir meine gebrauchten Füßlinge mit den Flossen passen. Ich geb sie dir gerne. Also – ich habe Schuhgröße 40/41, das müsste eigentlich gehen.« Prüfend musterte er Horsts Füße.

      »Na gut – dann hat die arme Seele Ruh! Ich hab zwar Größe 43, aber bitte schön, quetsch ich halt meine Zehen in deine Fußpilzbomber rein! Zu Risiken und Nebenwirkungen beklagen Sie sich bei ihrem Freund und Tauchpartner!« Insgeheim musste er zugeben: die Hartnäckigkeit von Thomas war in diesem Fall durchaus angebracht. Denn auch Horst schauderte es ehrlich gesagt bei der bloßen Vorstellung, ohne Neoprenfüßlinge mit quasi bloßen Füßen sich in eiskaltem 6-Grad-Wasser auf fast 40 Meter Tiefe hinunterzuzittern. Aber der Schwabe in ihm hatte mal wieder die Oberhand über alle taucherischen Vernunftmaßregeln gewonnen: Um nichts in der Welt hätte er sich im Vorfeld dazu bewegen lassen, sich in einem der zahlreichen Tauchshops am Bodensee mit Füßlingen und dazu passenden offenen Flossen einzudecken. Das hätte ja immerhin runde 200 Mark gekostet – nein danke! Zu viel war eben zu viel!

      Bei diesem Stand der Diskussion – und sie hatten sie im Vorfeld bereits mehr als nur einmal miteinander geführt – hatte Thomas wie immer