Eva-Maria Bast

Tatort Bodensee


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      Wie leichtfertig man im alltäglich Sprachgebrauch so manche Formulierung in den Mund nimmt – aber an dieses Gespräch erinnerte sich Horst erst viel später wieder, erst dann, als es bereits zu spät war …

      Es war ein strahlend schöner Montagmorgen, als Horst, der erst noch die Kinder zur Schule gefahren hatte, mit seinem Wagen bei der Anschlussstelle Heilbronn-Untergruppenbach auf die A 81 einbog. Nichts, aber auch gar nichts konnte ihm jetzt noch seine Urlaubslaune verderben. Was gab es Schöneres, als einen Teil seiner respektablen Überstunden, die sich innerhalb des letzten Jahres bei der Arbeit in der Polizeidirektion Heilbronn angesammelt hatten, bei herrlichem Sommerwetter am Bodensee abzufeiern? Tauchen, grillen, einen guten Freund wiedersehen, ordentlich einen draufmachen, ganz Mensch – und nicht in tausend Zwängen steckender Polizist – sein dürfen: einfach herrlich!

      Den Kollegen, oder vielmehr: den Freund Thomas Grundler kannte er schon seit Urzeiten. Damals, als sie beide gemeinsam auf der Polizeifachhochschule in Villingen-Schwenningen die ersten Stufen zur Kommissarausbildung absolviert hatten – du meine Güte: Das war nun auch schon wieder gut und gerne 15 Jahre her! Und seitdem hatten sie sich immer wieder getroffen und den Kontakt gehalten, obwohl der eine von ihnen, Horst, von Sigmaringen über Tübingen und Ulm schließlich in Heilbronn gelandet war, und es Thomas endlich geschafft hatte, in den äußersten Süden, in seine Heimat am Bodensee nach Konstanz versetzt zu werden. Der wohnte in Meersburg, wo er auch aufgewachsen war, und fuhr jeden Tag mit der Autofähre über den See nach Konstanz in die Direktion. »So fängt jeder Tag eigentlich schon an wie ein richtiger Urlaubstag – besser kann man es gar nicht erwischen –, und bis ich wieder zu Hause bin, habe ich durch die Rückfahrt mit der Fähre schon längst alles abgestreift und komme heim: dorthin, wo andere Urlaub machen! Nein, keine zehn Pferde und keine noch so verlockende Polizeikarriere bringen mich jemals wieder vom See weg – lieber bleibe ich das, was ich bin, und ärgere mich jeden Tag über unsere Karrierehengste, als diese Mühle auf mich zu nehmen«, hatte Thomas mehr als einmal ein eindeutiges Bekenntnis zum Bodensee und seinem Wohnort Meersburg abgegeben und Horst hatte jedesmal eigentlich nur zustimmend nicken können.

      Auch er genoss seit Jahren immer wieder die Stimmung am See, wobei er die alte Reichsstadt Überlingen als Standort favorisierte, die sich gerade in den letzten Jahren mächtig nach vorne entwickelt hatte. Und so war zwischen den beiden mehr als einmal ein freundschaftlich-deftiger Disput über die Frage ausgebrochen, welche Stadt am See denn nun die schönere und liebenswertere sei: Meersburg mit der alten Burg, den romantischen engen und steilen Gassen und dem großen Hafen oder Überlingen mit der größten Promenade am See und seiner verwinkelten Altstadt mit den vielen Lokalen und wunderschönen Strandbädern. Ein solcher verbaler Schlagabtausch würde mit Sicherheit auch dieses Mal zwischen den beiden geführt werden, darin war sich Horst jetzt schon sicher. Doch wie auch immer: Auch Horst hatte – sehr zur Verwunderung seines Kollegen – mittlerweile seine ideale Heimat gefunden. Dass dies ausgerechnet Heilbronn sein sollte, die zweitgrößte Stadt von Württemberg, hatte Thomas anfangs mit schallendem Gelächter quittiert – später dann, nach einigen Besuchen und manchem Glas Lemberger auf der jährlich im September stattfindenden Präsentation der Unterländer Weingüter in der Heilbronner Innenstadt (Slogan: »Deutschlands schönstes Weindorf«) oder in einer der vielen Besenwirtschaften im Umland, war die Ironie einem anerkennenden Gesichtsausdruck gewichen – zumindest, wenn man auf das Thema Unterländer Wein zu sprechen kam.

      Logisch, dass Horst seinem Beinamen »Lemberger

      trocken«, den Thomas ihm bei einem der Heilbronner Weindorf-Besuche nach dem sechsten Viertele verpasst hatte, auch dieses Mal alle Ehre angedeihen ließ: Einen ganzen Karton Lemberger Kabinett trocken hatte er in den Kofferraum gepackt – und zwar was »Gescheites«, einen 1996er Heilbronner Staufenberg! Dazu noch eine Flasche aus seinem Geheimfach, von dessen Existenz nicht einmal Claudia den Schimmer einer Ahnung besaß: einen 97er Lem­berger Spätlese trocken aus dem Holzfass vom Grafen Neipperg aus Schwaigern! In dessen Kellerei hatte er sich vor einigen Wochen in einem Anflug von Wahnwitz (so zumindest würde es Claudia mit Sicherheit formulieren, hätte sie Kenntnis von dem »Vorfall«) einen 6er-Karton besorgt, die (einzelne!) Flasche um den stolzen Preis von 30 Mark. Für Claudias 40. Geburtstag im nächsten Sommer waren die paar Fläschchen eigentlich bestimmt, als Extra-Überraschung sozusagen, streng tabu bis dahin: andererseits … man sollte schon mal vorher eine Flasche probiert haben, ob der Inhalt den Erwartungen auch tatsächlich entsprechen würde, hatte er insgeheim für sich beschlossen und so eine Flasche mit auf die Reise an den Bodensee genommen. Hoffentlich hielt der Wein seinen Erwartungen stand, denn sonst konnte er sich den Kommentar seines Freundes jetzt schon lebhaft vorstellen, der in etwa lauten würde, dass man um diesen Preis beim Aldi gleich einen ganzen Karton bekommen könne und dass der – ehrlich gesagt – auch nicht unbedingt um 150 Mark schlechter schmecken würde … Nein – gleich bei seiner Ankunft würde er ihn an einem schönen Plätzchen lagern, frühestens nach drei Tagen öffnen und ihm dann noch einen ganzen weiteren Tag Zeit geben, sein Aroma zu entfalten. Ach ja, die Vorfreude war doch wieder mal die schönste Freude …

      Auf dem Spätzleshighway zwischen Böblingen und Herrenberg war wieder mal die Hölle los – glücklicherweise aber in Richtung Stuttgart, und nicht auf der Strecke ans Schwäbische Meer (Horst freute sich schon da­rauf – da würde der Thomas als eingefleischter Badener wieder toben, wenn man seinen Bodensee zum Schwäbischen Meer umfunktionierte!).

      In der Nähe von Bad Dürrheim klingelte Horsts Handy. Er nahm den Fuß vom Gaspedal, drückte die grüne Taste und meldete sich, wie immer mit schlechtem Gewissen, denn das telefonieren während der Fahrt war ja eigentlich gerade für ihn als Polizeibeamten tabu – außerdem ärgerte er sich immer wieder über die Idioten mit ihrem fast unkalkulierbaren Fahrstil, wenn sie mit einer Hand am Handy und mit der anderen am Steuer klebten.

      Der Gesprächsteilnehmer am anderen Ende war so gut wie überhaupt nicht zu verstehen, aus dem Hörer kam Horst eine Salve von zerhackten Wortfetzen, metallischen Sphärenklängen und verrauschten Orkanböen entgegen. Er zog sein Fahrzeug deshalb, nachdem er einen LKW überholt hatte, auf die rechte Fahrspur herüber und drosselte weiter das Tempo. »Moment noch«, rief er ins Mi­krofon. »Bei mir ist noch der Zerhacker an, wird gleich besser, einen Augenblick bitte.«

      Allmählich wurde das Kauderwelsch verständlicher, die verzerrte metallische Stimme entpuppte sich als die des Kollegen und Freundes Michael Protnik, der offensichtlich aus Leibeskräften in den Hörer hineinbrüllte: »Hallo, hallo! Hotte – verstehst du mich? Hotte, hallo, Hotte!«

      Typisch Protnik; wenn schon, dann immer gleich hoch zehn! Horst schmunzelte in sich hinein: Eigentlich brauchte der gar kein Telefon, der hätte – bei dieser Lautstärke – seine Nachricht auch mit dem Wind herüberbrüllen können!

      »Sputnik, hallo, Sputnik! Halt mal ganz kurz die Luft an! Ich versteh dich ja jetzt! Hallo – Sputnik, hier ist der Horst, was gibt’s denn?«

      »Na endlich! Diese Scheißdinger! Den ganzen Tag klingeln sie und terrorisieren einen, und wenn man sie dann selber mal braucht, dann versteht man nix! Hallo, Horst!« Die Lautstärke von Protnik hätte noch immer mühelos dafür ausgereicht, auch ohne Mikrofon einen Wettbewerb gegen die Rolling Stones überlegen zu gewinnen.

      »Hallo, Michael! Na – was gibt’s denn?« Da vorne war ein Parkplatz. Am besten er hielt dort kurz an und telefonierte von hier aus in aller Ruhe mit Protnik, bevor die Verbindung wieder schlechter wurde und der Kollege sich von Neuem genötigt fühlte, seine Phonstärke ins nicht mehr Messbare zu steigern. Schließlich saß Horst ja kein Termin im Nacken, das war ja gerade das Schöne an diesen paar freien Tagen.

      »Ich bin jetzt da, das hab ich dir bloß sagen wollen – grade angekommen«, ganz allmählich reduzierte sich Prot­niks Lautstärke nun auf einigermaßen verzerrungsfreien Normalstandard. Dennoch verstand Horst nicht die Bohne!

      »Wie angekommen, wo angekommen?« Typisch Prot­nik! Der Kerl schaffte es einfach nicht, sich klar und eindeutig auszudrücken! Jedes Mal dasselbe, wenn man mit dem telefonierte: ein einziges Versteckspiel Marke »Rate-mal-wo-ich-bin-ich-weiß-es-schon-aber-du-nicht«! Das war dem Freund und Kollegen