Harald Jacobsen

Tatort Ostsee


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      »Mach dir keine Sorgen!«, zischte Stefan. »Die Kollegen haben das mittlerweile bestimmt rausgefunden.«

      »Ach, wer denn? Diese Sheriffs aus Burg vielleicht?«

      »Hör mal zu, du oberschlaue Kuh. Polizeihauptkommissar Larrson macht seinen Job schon lange genug, auch ohne deine Hilfe. Und dein Mordopfer liegt in der Gerichtsmedizin, okay? Such dir ein Hobby, anstatt polizeiliche Ermittlungen zu behindern. In diesem Land entscheidet immer noch der Staatsanwalt, ob die Rechtsmediziner eine Leiche in die Hände kriegen. Überlass den Job den Profis und kümmere du dich um die Magersucht von Prinzessin X oder das Baby von Model Y! Such dir doch einen neuen Kerl, wenn du dich langweilst. Van Hagen war ja schlau genug, lieber bei seiner Frau zu bleiben!« Stefan knallte sein Glas auf den Tisch und sprang auf. Sofort war das leise Wimmern vom kleinen Finn zu hören. Tina erhob sich bleich und ging nach oben. Sophie ließ ihr Gesicht in die Hände sinken. In ihren Ohren rauschte es. Sie hörte noch, wie Stefan seinen Wagen startete, dann brach sie in Tränen aus. Eine feuchte Hundenase stupste sie an. Tina musste Pelle aus dem Kinderzimmer gelassen haben. Sie wusste nicht, wie lange sie geweint hatte. Der Labrador winselte leise. »Ich bin wieder in Ordnung«, beruhigte sie ihn. »Komm, wir gehen ein paar Schritte.« Alles lief viel schlimmer, als sie es sich in den bösesten Fantasien hätte ausmalen können. Stefan und sie würden niemals Freunde werden. Sie schafften es ja nicht einmal, eine gemeinsame Mahlzeit ohne Streit hinter sich zu bringen. Aber von ihm würde sie sich nicht einschüchtern lassen. Im Gegenteil! Sie würde ihm jetzt erst recht auf die Finger schauen und in jede kleine Ecke, die er in seiner Selbstgefälligkeit übersah! Die junge Frau lag namenlos in einem Kühlschrank. Die wahre Ursache ihres Todes schien die Polizei überhaupt nicht zu interessieren. Es ging doch nur darum, herauszufinden, wer sie war, damit jemand die Leiche auf seine Kosten beerdigen ließ. Ihre armen Eltern wussten noch nicht einmal, dass sie tot war. Sophie fröstelte. Und dabei lag die geliebte Tochter in der Gerichtsmedizin in Lübeck, mausetot und kalt. Lübeck! Rechtsmedizinisches Institut! »Lutz!« Sophie zischte den Namen durch die Mittagshitze. Ja, er musste ihr helfen, ob er nun wollte oder nicht. Lutz würde immer ein bisschen Angst vor ihr haben.

      Lutz Franck saß in seinem Büro und versuchte, sich auf seinen Bericht zu konzentrieren. Er hatte am Morgen die Babyleiche obduziert. Eigentlich liebte er seinen Beruf. Sein Job war sinnvoll und wichtig. Er war der Mensch, der sich mit den letzen Stunden, Minuten und Sekunden seiner toten Patienten auseinandersetzte. Oft erfuhren sie durch ihn posthum Gerechtigkeit. Aber einen winzigen Körper aufzuschneiden und einen Schädel aufzuklappen, der nicht größer war als eine Pampelmuse, das machte ihm zu schaffen. Das Baby hatte nicht nur ein sehr kurzes, es hatte auch ein grauenvolles Leben gehabt. All diese Frakturen! Lutz raffte sich auf. Er hatte einen Neuzugang und der Staatsanwalt wollte, dass er sich die Leiche mal anschaute. Als sein Handy klingelte und er auf das Display sah, war er wirklich erstaunt. Sophie? Nichts Gutes ahnend, nahm er das Gespräch an. »Lange nichts von dir gehört, nur gelesen!«

      »Du liest die ›Stars & Style‹? Hallo Lutz! Freut mich zu hören, dass auch Intellektuelle Klatschblätter lesen.«

      »Was gibts?«, fragte er vorsichtig.

      »Ich brauch deine Hilfe!«

      Nein, nicht das! Lutz knurrte leise. Wenn er einen Prominenten in der Kühlkammer hatte, wusste er davon nichts und er hatte auch keine Lust auf Stress. Auf der anderen Seite war ihm natürlich bewusst, dass er ihr nichts abschlagen konnte. Sophie wusste von seinem Betrug, außer dem Ghostwriter natürlich. Es war eben viel bequemer, sich seine Doktorarbeit schreiben zu lassen. Durch einen dummen Zufall hatte sie damals Wind von der Sache bekommen. Nicht, dass sie es je wieder erwähnt hätte, aber vergessen würde sie die Geschichte niemals. Sie hatte die Möglichkeit, ihn gründlich in Schwierigkeiten zu bringen.

      »Lutz? Bist du noch dran?«

      »Nein!«, knurrte er. »Was soll ich für dich tun?«

      »Mach die Kühltruhe auf!«

      »Vergiss es! Wir haben keinen Promi, keinen Royal, oder was dich sonst so interessieren könnte!«

      »Ihr habt eine Wasserleiche!«

      »Wir haben sogar drei! Welche darf es denn sein?«, fragte er ironisch.

      »Lutz, es ist wichtig! Eine junge Frau, die auf Fehmarn angeblich angeschwemmt wurde. Groß, blond …«

      »Ja?«

      »Irgendetwas stimmt da nicht!«

      Sophie schien es ernst zu sein. »Geht es um eine Story?«

      »Was? Nein! Ich habe sie gefunden, na ja, eigentlich mein Hund. Die Sache ist irgendwie merkwürdig und ich habe da so ein mulmiges Gefühl.«

      »Und was soll ich da machen?«

      Sophie seufzte. »Guck sie dir doch mal an. Bitte! Ich glaube einfach nicht, dass sie ertrunken ist. Die Polizei geht von einem Unfall aus, aber … Sie sah irgendwie hingelegt aus. Wahrscheinlich ist da wirklich nichts, aber könntest du trotzdem mal nachsehen?«

      »Nachsehen?« Lutz fragte sich, ob er sie richtig verstanden hatte.

      Sophie schwieg ein paar Sekunden. »Ja. Hinter manchem steckt doch eine Lüge, oder?«

      Lutz biss sich auf die Backenzähne. Drohte sie ihm gerade? »Deine Tote ist sowieso die Nächste. Ich soll eine Leichenschau durchführen. Danach entscheide ich, ob ich dem Staatsanwalt eine Obduktion empfehle. Und nun lass mich in Ruhe! Mein Tag verläuft schon beschissen genug!«

      »Kannst du mich zwischendurch anrufen und mir sagen, ob sie überhaupt ertrunken ist?«

      Sie ließ nicht locker. »Noch einen schönen Tag!« Lutz drückte das Gespräch einfach weg und fluchte. Das konnte ihn in Teufels Küche bringen. Er durfte keine Informationen an Dritte weitergeben und Sophie war Journalistin. Auf der anderen Seite wollte der Staatsanwalt dasselbe. Er sollte sich die Frau mal ansehen. Sophie war der Meinung, irgendetwas stimme da nicht und sie war keine hysterische Kuh. Neugierig geworden machte Lutz sich auf den Weg zur Kühlkammer. Er las die Angaben auf der Tafel durch. Da war sie. Unbekannt, weiblich, Fehmarn. Sie lag in der Fünf. »Also gut, Baby.« Lutz öffnete die Schublade. »Dann wollen wir mal einen Blick riskieren.« Der Reißverschluss des Leichensacks knarrte. Er sah in das Gesicht der blonden Frau. »Na, was war denn los?« Lutz schnalzte mit der Zunge. »Du warst richtig hübsch, was?« Sie hatte keine offensichtlichen Verletzungen, nur ein paar leichte blaue Flecke. Nichts Ungewöhnliches bei einer Wassersportlerin. Aber was hatte sie da unter den Fingernägeln?

      Tina ging zurück auf die Terrasse. Keine Spur von ihrem Mann oder Sophie. Sie ging ums Haus, um nach den Autos zu sehen. Der Audi war weg. Stefan war wohl schon nach Lübeck aufgebrochen. Ohne sich zu verabschieden! Das hatte er noch nie gemacht. Sophies BMW war noch da. Abgereist war sie nicht. Was war das vorhin nur für ein furchtbarer Streit gewesen? Tina räumte die Schälchen mit den Antipasti und das inzwischen trockene Brot auf ein Tablett und brachte es in die Küche. Als das Telefon klingelte, griff sie schnell nach dem Hörer. »Sperber.«

      »Ich bins. Schatz, tut mir leid, die Sache vorhin«, entschuldigte sich ihr Mann. »Ich weiß, ich hatte dir versprochen, mich nicht mehr mit ihr zu streiten, aber … Herrgott noch mal! Sophie tut so, als würden wir aus lauter Spaß Verbrechen vertuschen.«

      »Weißt du, wo sie ist?«

      »Ist sie denn nicht da?«

      »Bevor du Hoffnung schöpfst, ihr Wagen steht noch hier.«

      »Ich hab jedenfalls keine Ahnung! Ich bin auf dem Weg nach Lübeck, nur für den Fall, dass du dich auch um mein Verschwinden sorgst.«

      »Ach! Willst du jetzt die beleidigte Leberwurst spielen? Du hast es ja nicht mal für nötig gehalten, dich zu verabschieden!«

      »Liebling, lass uns bitte nicht streiten! Ich war stinksauer und ich wollte nicht reinplatzen, wenn du den Kleinen beruhigst. Außerdem habe ich einen Haufen Arbeit zu erledigen.«

      »Kommst du heute noch zurück?«, fragte Tina versöhnlich.

      »Ich versuche es. Ich ruf dich an