Günter Krenn

Romy spielt sich frei


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Döblinger Villa zum Tee bittet, um ihr sein Leid zu klagen. Der Pädagoge schwärmt von der Intelligenz des Albach’schen Filius, bemängelt aber dessen ordinäre Ausdrucksweise. So hatte er eine Frage nach Goethe prägnant auf den Punkt gebracht: „Is dös der Dichter von ‚Leck mi im Oasch‘?“17 Die prägnante Pointe beeindruckt die Mutter erst in der Reflexion Jahre später, zum Zeitpunkt ihrer Prägung schärft sie dem Sohn ein, solche Formulierungen gefälligst zu unterlassen – und der reagiert, wie er es ein Leben lang tun wird, also ohne Unrechtsbewusstsein und auch ohne wirklich Konsequenzen zu ziehen: „Also weil du’s bist, Roserl, werd’ ich mich bessern!“18 Dass er es nicht tut, wird er erfolgreich mit Charme übertünchen.

      Es wird Wolf später ein Vergnügen sein, seiner Tochter Romy schon im Kleinkindalter deftige Flüche im Dialekt beizubringen, mit der diese – ein Leben lang – ihre Umwelt überrascht und schockiert. So beschimpft sie ihren geliebten Bruder bereits in Kindertagen gelegentlich unflätig, fragt ihren Freund Hermann Leitner 1981 – und das durchaus freundschaftlich: „Warum meldest du dich nicht, du Arsch?“ Ein schönes Beispiel von Selbstironie ist dagegen eine Fotografie von ihrem Aufenthalt in Quiberon, auf die sie handschriftlich notiert, dass es sich bei der darauf zu sehenden, unkenntlich in einen Bademantel gehüllten „vornehmen Arscherlhalterin“ um sie selbst handle. Ein Beweis auch dafür, dass eine humorbegabte Frau wie sie keinerlei Probleme mit dem vielbeschworenen „Mythos Romy Schneider“ hatte.

      Gegen den Rat besorgter Ärzte setzt Rosa durch, dass sie ihr Kind als Hausgeburt zur Welt bringen kann. Sie erzählt später von Wehen, die an die 17 Stunden dauern, wobei sie sich anfangs damit abzulenken versucht, die Blätter des Gummibaums in ihrem Schlafzimmer zu zählen. Ein Arzt und eine Hebamme sind regelmäßig bei ihr, ihr Mann hört im Nebenzimmer argwöhnisch dem zunehmend lautstarken Leiden seiner Gattin zu und droht, sollte etwas schiefgehen, alle Beteiligten – außer Rosa natürlich – zu erschießen. Als er seinen Sohn Wolfgang Helmuth Walter am 28. Mai 1906 erstmals zu Gesicht bekommt, reagiert er emotional: „Jessas, is der Bua schiach!“19 Diese Meinung teilt außer ihm niemand. Tatsächlich wird der nun Wolf genannte Sohn bald zu den bestaussehenden Schauspielern der deutschsprachigen Filmindustrie gehören. „Alle Frauen in unserer Familie“, erzählt seine Enkelin Patrizia Albach, „haben, wenn sie von ihm sprachen, immer betont: er war der Charmanteste von allen. Wenn er einen Raum betrat, waren alle baff. Er war wunderschön, charmant und sympathisch.“20

      Der nonchalante, im Dialekt sprechende Phlegmatiker Wolf hat jedoch eine andere Seite, die sich später auch in seiner Tochter wiederfinden wird: Wenn er etwas Bestimmtes will, setzt er es mit eisernem Willen durch, ohne sich um die Reaktionen seiner Umwelt zu scheren. Gelingt ihm dies nicht, kann sich das ebenmäßige Gesicht unfreundlich verziehen und statt mit Argumenten seinem Begehren mit einem Schreianfall Nachdruck verleihen. Das Dienstmädchen Anna resigniert bald ihm gegenüber. Körperliche Züchtigungen muss der Kleine im Gegensatz zu vielen Zeitgenossen nicht fürchten, die Mutter greift als studierte Schauspielerin allerdings zu drastischen Mitteln. Einmal bringt er sie so in Rage, dass sie ihm androht, sich, wenn er sich nicht benehmen könne, zu erschießen. Er lässt es darauf ankommen, sie entnimmt daraufhin dem Waffenschrank ihres Gatten einen Revolver, stürmt mit Verve ins Schlafzimmer und bald hört der erstaunte Sohn nach der zuknallenden Tür drei Schüsse. Geschockt zögert er zunächst, bevor er wagt, ihr ins Zimmer zu folgen. Er sieht die Mutter auf dem Bett hingestreckt, bittet unter Tränen um Verzeihung, bemerkt dann zu seiner Erleichterung, dass sich die vermeintliche Selbstmörderin unverletzt erhebt. Es wird einige Zeit vergehen, bis die beiden über diese Lektion in schwarzer Pädagogik lachen können. An Wolfs Störrigkeit ändert es wenig. Als der Vater die Geschichte am Abend serviert bekommt, zieht immerhin er eine Konsequenz daraus: Die von seiner Frau unsachgemäß angeschossene Matratze wird durch eine neue ersetzt.

      Wolf Albach (geboren 1906) im Kindesalter. Das gefällige Posieren scheint ihm schon früh leichtgefallen zu sein.

      Ins Burgtheater nimmt Rosa ihren Sohn 1907 zum ersten Mal mit, nachdem er ein Jahr alt geworden ist, um ihn der Kollegenschaft zu zeigen. Ihr Mentor Josef Kainz bietet ihr, nun da sie Mutter geworden ist, endlich das Du-Wort an. Sie lehnt ab, will ihn weiter Herr Kainz nennen und für ihn selbst die Rosel bleiben. Ihre Forderungen, nun keine jungen Mädchen, sondern „würdigere Rollen“ zu spielen, quittiert der aktuelle Burgtheaterdirektor Paul Schlenther mit dem Angebot, in einem Stück die Mutter von Kainz zu spielen.

      Als Rosa 1912 Hofschauspielerin wird, beeindruckt den sechsjährigen Wolf das dekorative handgeschriebene Dekret mit dem roten Siegel darauf, noch mehr jedoch das schwarzglänzende Kutschencoupé mit den zwei Schimmeln als Gespann, das seine Mutter nun regelmäßig abholt, um sie zu Proben oder Vorstellungen zu bringen. Seine Frage, ob die Karosse nun ihr Eigentum wäre, muss sie verneinen, erklärt ihm aber seine Funktion. Als edlen Spender nennt sie ihm den Kaiser, und Wolf vermutet, dass dieser offenbar ein vermögender Mann sein müsse, wenn er sich eine solche Equipage als Geschenk leisten kann. Auch das servile Scharwenzeln mancher Bahnbediensteter, wenn Rosa bei der Fahrt in die Sommerfrische ins Salzkammergut als die „gnädigste Frau Hofburgschauspielerin“ ein reserviertes Abteil erster Klasse beziehen kann und sich in diversen Stationen die Bahnhofsvorstände nach eventuellen Wünschen erkundigen und Erfrischungen anbieten, faszinieren den Jungen. Denn jedes Jahr im Juli werden Speiseporzellan, Silberbesteck, Sommergarderobe und Jagdwaffen für den Herrn Gemahl eingepackt und dann reist man mit Personal und Hausstand in eine gemietete Villa in St. Gilgen mit Blick auf den Wolfgangsee. Als Rosa ihm auch hier den unweit in Ischl weilenden Kaiser als Ursprung solcher Aufmerksamkeiten nennt, beschließt Wolf, sein „Roserl“ zu ehelichen, um sich künftig solche Privilegien zu sichern.

      Als Kind scheut Wolf kein Risiko, der Hausarzt erhält für das Zusammenflicken von Schrammen und Knochenbrüchen sehr bald ein fixes monatliches Pauschalhonorar. Rosa ist überzeugt davon, dass ihre Verbindungen zum Kaiserhaus ihrem Sohn im Ersten Weltkrieg das Leben gerettet haben. Friedrich von Österreich-Teschen, also Erzherzog Friedrich Maria Albrecht Wilhelm Karl von Österreich, auf dessen Gut in Teschen die in der Monarchie berühmte „Teschener Butter“ erzeugt wird, sendet ihr, als der kleine Wolf an einem Lungenspitzenkatarrh leidet, täglich durch einen Diener einen Striezel Butter und ein Kännchen Milch aus seinem Palais, in dem sich heute die Albertina befindet. Abseits des Anekdotischen finden der Erste Weltkrieg und seine Folgen in Rosas Memoiren kaum Erwähnung.

      Am 26. Dezember 1916 kann der nun zehnjährige Wolf Albach seine Mutter im Stück Alt-Heidelberg von Wilhelm Mayer-Förster erstmals auf der Bühne sehen. Neben seinem Vater sitzt er in der Direktionsloge und weint wie viele andere in der Szene, in der Rosa ihren Geliebten verliert. Als ihn seine Mutter nach der Vorstellung fragt, wie sie ihm denn gefallen habe, antwortet er mit dem größten Kompliment, zu dem seine Kinderseele fähig ist: „Du warst so schön wie ein Tramwaykondukteur!“21 Die uniformierten Herren, in deren Macht es lag, eine Straßenbahnkarte zu entwerten, schienen ihm damals das Höchste an Repräsentation, das man erreichen konnte.

      Sein Interesse für das Theater ist damit zwar geweckt, Literatur und Musik begeistern ihn jedoch weniger. In der Oper langweilt er sich, die Versuche seiner Mutter, ihm klassische Dramen in kindgerechte Erzählungen umzudichten, interessieren ihn weniger als die realen Kriminalgeschichten, die ihm das Fräulein Anna aus den Berichten der Kronen Zeitung und der Neuen Freien Presse nacherzählt.

      War seine Mutter mit dem Geräusch von Pferdekutschen groß geworden, so sind es für Wolf motorisierte Gefährte, die ihn begeistern. Während Rosa das Quietschen der Straßenbahn als äußerst unangenehm empfindet, wird es Wolf begeistern, Autos zu besitzen. Vor allem Sportwagen sind früh sein Traum – und er wird ihn sich erfüllen, sooft es ihm seine Gagen erlauben.

      Mit 14 Jahren erschreckt der halbwüchsige Wolf seine Eltern in der Sommerfrische einmal dadurch, nach der Ankündigung, fischen zu gehen, einen Tag und eine Nacht lang verschollen zu bleiben. Als er bis zum Abend nicht da ist, will seine Mutter die Polizei rufen, während ihr Mann den „Schlankel“ mit einem Donnerwetter zu empfangen bereit ist. Er findet ihn ohne amtliche Recherchen schließlich auch dort, wo er ihn vermutet: bei einem Wanderzirkus, genauer gesagt im Wohnwagen