Rainer Maderthaner

Psychologie


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      (Nach Westermann, 2000)

      Merksatz

      Um den komplexen Kausalbeziehungen der psychologischen Empirie gerecht zu werden, sollten diese nach direkter, indirekter, multipler, bedingter und scheinbarer Kausalität differenziert werden.

      Neben den direkten Kausalbeziehungen treten in Phänomenen oft auch indirekte Kausalbeziehungen auf, bei denen sich Effekte über Wirkungsketten fortpflanzen. Ein Beispiel dafür sind die verschiednen Instanzen neurologischer Verarbeitung, die durchlaufen werden müssen, damit eine akustische Wahrnehmung mit einem Wort benannt werden kann.

      Schließlich sind noch scheinbare Kausalbeziehungen als Problem der Forschung zu erwähnen, bei denen eine (zumeist unbeachtete) Ursache zwei oder mehrere Ereignisse simultan so beeinflusst, dass der Eindruck entsteht, sie würden miteinander in einer wechselseitigen Kausalbeziehung stehen. Ein Beispiel aus dem Alltag: Viele Menschen glauben an den Einfluss der Sternenkonstellation auf den Charakter des Menschen, ohne zu berücksichtigen, dass beide vom Wandel der Jahreszeiten mitbestimmt sein könnten (s. zu dieser Thematik Hergovich, Willinger & Arendasy, 2005).

Indeterminismus und Wahrscheinlichkeitsschlüsse| 3.4.2

      Die meisten psychologischen Gesetze sind also nicht deterministischer, sondern indeterministischer Natur. Das bedeutet, dass Effekte nur mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit vorhergesagt werden können. Bloß in wenigen Unterdisziplinen der Psychologie – wie etwa in der Physiologischen Psychologie oder in der Wahrnehmungspsychologie – kann man manchmal, ähnlich wie in der Physik, bereits aufgrund von Einzelbeobachtungen (im Sinne eines „experimentum crucis“) auf das Vorliegen eines deterministischen Gesetzes schließen. Bei den meisten anderen psychologischen Subdisziplinen ist jedoch für die Bestätigung von Gesetzen die Heranziehung wahrscheinlichkeitstheoretischer Überlegungen bzw. der Einsatz von Statistik notwendig.

      Neben der erwähnten Multikausalität, die zu Effektüberlagerungen bei den untersuchten Phänomenen führt, ist hierfür noch ein weiterer Grund zu nennen (Steyer, 2003): die oft erhebliche Fehlerüberlagerung von Daten und Messwerten (Messfehler). Denn man ist in der Psychologie oft damit konfrontiert, dass Phänomene nur vage, verschwommen oder verzerrt registrierbar sind, und somit gezwungen, mittels statistischer Methoden die Messfehler oder Effektüberlagerungen auszufiltern (s. Abb. 3.4) und für Kennwerte oder Variablenbeziehungen Schätzwerte zu berechnen.

      Merksatz

      Da die meisten psychologischen Gesetze von Messfehlern und Fremdeffekten überlagert sind, können in der Psychologie fast nur Wahrscheinlichkeitsgesetze postuliert werden.

      Allgemein kann man sagen, dass Einzelfälle für die Verifikation- oder Falsifikation von psychologischen Gesetzen nur geringe Bedeutung haben und dass nur das überzufällig häufige Auftreten von Zusammenhängen zwischen Variablen in der Erfahrungswelt ein akzeptabler Beleg für die Gültigkeit eines Gesetzes darstellt. „Wissenschaftliche Hypothesen im Bereich der Sozialforschung sind Wahrscheinlichkeitsaussagen (probabilistische Aussagen), die sich durch konträre Einzelfälle prinzipiell nicht widerlegen (falsifizieren) lassen“ (Bortz & Döring, 1995, 11).

3.5 |Relationen und Funktionen

      In welcher Weise ist es nun möglich, Beziehungen zwischen Variablen darzustellen oder quantitativ zu beschreiben? In der Mathematik wird hierfür der Begriff Relation verwendet. Wenn eine Variable A eine endliche Menge von Ausprägungen besitzt und ebenso eine Variable B, dann ist jede Menge paarweiser Zuordnungen zwischen den Ausprägungen von A und B eine Relation. Oder genauer nach Lipschutz (1980, 58): „Eine Relation R von A nach B ist eine Teilmenge von A x B“, nämlich der Menge aller gegebenen Kombinationen zwischen den Elementen von A und B.

      Abb 3.4 |

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      Die Ableitung der Gehirnströme bei Wahrnehmung eines Reizes („Sensorisch Evoziertes Potenzial“) sieht im Einzelfall aufgrund von Störeinflüssen immer etwas anders aus, sodass man das für einen Reiz idealtypische Potenzial durch Mittelwertbildung über die einzelnen Ableitungen feststellt („Mittelungstechnik“).

      Abb 3.5 |

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      Eine Variablenrelation ist dann eine Variablenfunktion, wenn jeder einzelnen Ausprägung einer Variablen (A) nur genau eine Ausprägung einer anderen Variablen (B) zugeordnet ist.

      Als Funktion bezeichnet man eine Relation dann, wenn jeder Ausprägung einer Variablen („Definitionsmenge“) nur genau eine Ausprägung einer anderen Variablen („Funktionsmenge“) zugeordnet ist (Abb. 3.5). Viele quantitative Funktionen, d.h. Funktionen zwischen Zahlenmengen, können durch einfache Formeln beschrieben werden. Da man in der Psychologie aber neben quantitativen häufig auch nichtquantitative („qualitative“) Merkmale berücksichtigen muss (z.B. Geschlecht, Beruf, Stimmung), werden Variablenbeziehungen im Bedarfsfall auch aussagenlogisch, mengentheoretisch oder tabellarisch dargestellt (Abb. 3.6).

      Wie im vorigen Abschnitt ausgeführt, sind viele Phänomene der Psychologie multikausal oder nur bedingt verursacht, sodass für ihre Aufklärung oft mehrere Variablen einbezogen werden müssen. Relationen zwischen zwei Variablen heißen bivariate, zwischen mehreren Variablen multivariate Variablenrelationen (Box 3.3).

      Wenn Variablen quantitativ interpretierbare Ausprägungen haben, kann man sich für die Darstellung von Variablenrelationen auch der analytischen Geometrie bedienen, indem Ausprägungskombinationen als Punkte oder als Vektoren (Pfeile) in einem Raum veranschaulicht werden (Abb. 3.7).

      Da aber in der Empirie nur selten solche Relationen zwischen Variablen vorkommen, die eindeutig mit einer einfachen mathematischen Formel beschreibbar sind (z.B. Junktion, lineare Funktion, Kurve), bedient man sich – wie erwähnt – der Statistik, die auch für fehlerbehaftete, unscharfe oder einander überlagernde Variablenrelationen adäquate Beschreibungsmethoden anbietet. Als eines der größten methodischen Probleme der gegenwärtigen psychologischen Forschung kann gelten, dass die meisten Erklärungsmodelle und Hypothesen weder Multikausalität noch bedingte Kausalität einbeziehen, und daher zu geringe Prognosesicherheit erreichen (Maderthaner, in Vorbereitung).

      Box 3.3 | Beispiel für eine multivariate aussagenlogische Beschreibung von Variablenzusammenhängen (mit Multikausalität und bedingter Kausalität)

      Inhaltliche Aussage (aus der Sozialpsychologie):

      Kinder, die früher an Modellpersonen beobachten konnten, dass sich Aggression „lohnt“ (L), oder solche, die gerade von einem anderen Kind frustriert (F) wurden, tendieren diesem gegenüber zu aggressivem Verhalten (A), wenn dieses eher als wehrlos (W) empfunden wird, wenn ihm gegenüber keine moralischen Hemmungen (M) bestehen und wenn im Moment keine Strafdrohung (S) von Aufsichtspersonen für aggressive Reaktionen zu erwarten ist.

      Aussagenlogische Form: ((L ∨ F) ∧ W ∧ ¬ M ∧ ¬ S) ⟶ A

      (Zur Bedeutung der Symbole siehe Abb. 3.6; ¬: Negation)

      | Abb 3.6

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      Zweistellige Aussagenrelationen („Junktionen“), wie etwa Konjunktion (∧: „A und B“), Adjunktion (∨: „A oder B“), Implikation (⟶: „wenn A, dann B“) oder Bijunktion (⟷: „wenn A, dann B und umgekehrt“) kennzeichnen durch ihre „Wahrheitswerte“ jene Paare von Ausprägungen der Variablen A und B (1, wenn gegeben, und 0, wenn nicht gegeben), die im Sinne der Relation auftreten können.

3.6 |Beschreibende und hypothesenprüfende Statistik

      Merksatz