der laufenden „Wahlperiode“ des Reichstages durch Gesetze bis zum 30. Januar 1943 und dann bis zum 30. Januar 1947 hatte keine Bedeutung mehr.
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Die Landesparlamente wurden gleich zu Beginn des NS-Regimes durch das „Vorläufige Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich“ vom 31. März 1933[95] und das „Zweite Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich“ vom 7. April 1933[96] politisch ausgeschaltet. Durch das „Gesetz über den Neuaufbau des Reichs“ vom 30. Januar 1934[97] wurde die Eigenstaatlichkeit der Länder mitsamt den Landesparlamenten abgeschafft. Der Reichsrat als Vertretung der Länder wurde durch Gesetz vom 14. Februar 1934[98] aufgelöst.
2. Volkskammer der DDR
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In der DDR gab es nur einen „‚Minimal‘- oder ‚Scheinparlamentarismus‘ [in Gestalt der Volkskammer], der unter der Dominanz der Sozialistischen Einheitspartei (SED) stand“.[99] Die Volkskammer war ein Akklamationsorgan.[100] Sie besaß politisch nur eine geringe Bedeutung, wofür die marginale Zahl ihrer Plenarsitzungen ein Indiz ist.[101] Die Volkskammer tagte gerade in den 1970er und 1980er Jahren nur wenige Tage im Jahr. Die Vorgabe in Art. 54 der DDR-Verfassung vom 6. April 1968 (in der Fassung vom 7. Oktober 1974), wonach die Abgeordneten der Volkskammer in freier, allgemeiner, gleicher und geheimer Wahl zu wählen seien, stand nur auf dem Papier. In Wirklichkeit waren die Wahlen eine „erzwungene Akklamation“.[102] Zur Wahl stand lediglich eine von der SED dominierte Einheitsliste. Wahlverweigerung und Nein-Stimmen waren möglich, ließen aber staatliche Sanktionen befürchten. Auch wurden die Wahlen manipuliert, um die gewünschten Ergebnisse von in der Regel mehr als 99 % für die Einheitsliste zu erreichen. Der Demokratiebegriff der SED und der DDR-Verfassung stand mit dem empirisch fassbaren Volkswillen der DDR-Bürger offenkundig im Widerspruch.[103]
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Die 10. Volkskammer wurde nach der Wende im Herbst 1989 am 18. März 1990 gewählt. Sie war das erste und einzige demokratische Parlament der DDR. Sie bestand vom 5. April bis zum 2. Oktober 1990. Ihr wichtigster Beschluss war die Zustimmung zum Einigungsvertrag, der das Ende der deutschen Teilung besiegelte.
§ 2 Geschichte der Parlamente und des Parlamentsrechts › V. Parlamentarische Selbstdarstellung und Antiparlamentarismus
V. Parlamentarische Selbstdarstellung und Antiparlamentarismus
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Während die äußere Gestaltung der Parlamentsgebäude Spiegel ihrer Zeit sind,[104] korrespondiert die innere Architektur, insb. die Sitzordnung der Kammern dem jeweiligen Parlaments- und Regierungssystem.[105] Für den deutschen Parlamentarismus könnte dies an der Architektur des ursprünglichen Reichstagsgebäudes, der Bonner Unterkünfte des Deutschen Bundestages und das nach der Wiedervereinigung umgebauten Reichstagsgebäudes verdeutlicht werden. Die Anordnung der Regierungsbank ist im parlamentarischen regelmäßig anders als in einem präsidentiellen System. Der Unterschied zwischen Rede- und Arbeitsparlament wird auf den ersten Blick in das Regierungs- und Oppositionsfraktion einander gegenüberstellenden House of Commons bzw. in den kreisförmig angeordneten Plenarsaal des Deutschen Bundestages augenfällig. Ein derartiger kulturwissenschaftlicher Zugriff, der die symbolische Dimension des Parlaments betont,[106] verspricht, ohne daraus rechtsdogmatische Schlussfolgerungen zu ziehen, Erkenntnisse für ein besseres politisches wie rechtliches Verständnis.
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Parlamentarische Selbstdarstellung zeigt sich auch in der Öffentlichkeitsarbeit des Deutschen Bundestages, die – sobald sie redaktionelle Komponenten erhält – in eine rechtliche Grauzone gerät.[107] Ein Parlamentsfernsehen, das die Berichterstattung redaktionell formt, müsste sich nicht nur an den rundfunkrechtlichen Vorgaben ausrichten,[108] sondern würde auch schnell in einen Konflikt mit der prinzipiellen Trennung von Volks- und Staatswillensbildung geraten. Es kann daher Defizite in der medialen parlamentarischen Berichterstattung kaum kompensieren.
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Ähnlich wie die Parteienverdrossenheit kann eine deutsche Tradition von Parlamentspessimismus und Parlamentsverdrossenheit, übersteigerter Parlamentskritik ausgemacht werden. Diese sollte nicht herbeigeredet werden,[109] kann jedoch auch nicht ignoriert werden. Sie beruht auf dem Zusammentreffen teilweise spezifisch deutscher Prädispositionen, wie Resten obrigkeitsstaatlicher Denkschemata, der tendenziellen Überschätzung von Sachzwängen und Expertokratie sowie allgemein einem Unbehagen an Politik und dem damit verbundenen Streit. Bewusst konstruierte Idealbilder eines historischen Parlamentarismus, vor dem die Gegenwart als Verfallsgeschichte erscheint, verstärken diese Tendenz.[110]
Literatur zu § 2:
von Beyme, Die parlamentarische Demokratie. Entstehung und Funktionsweise 1789-1999, 3. Aufl. 1999; Kluxen (Hrsg.), Parlamentarismus, 5. Aufl. 1980; Ritter (Hrsg.), Gesellschaft, Parlament und Regierung. Zur Geschichte des Parlamentarismus in Deutschland, 1974; C. Schönberger, Das Parlament: Geschichte einer europäischen Erfindung, in: MSW, § 1; Wittreck, Genese und Entwicklung des deutschen Parlamentsrechts, in: MSW, § 2; zu I. und II.: Kühne, Volksvertretungen im monarchischen Konstitutionalismus (1814-1918), in: SZ, § 2; C. Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat; zu III.: Austermann, Der Weimarer Reichstag. Die schleichende Ausschaltung, Entmachtung und Zerstörung eines Parlaments, 2020; Bickenbach, Vor 75 Jahren: Die Entmächtigung der Weimarer Reichsverfassung durch das Ermächtigungsgesetz, JuS 2008, 199; Cancik, Parlamentarismus vor dem Bundesverfassungsgericht. Das Redezeiturteil und die Erfassung der Verfassungswirklichkeit, in: Meinel (Hrsg.), Verfassungsgerichtsbarkeit in der Bonner Republik, 2019, S. 199; Domarus, Der Reichstag und die Macht, 1968; Gusy, Die Weimarer Verfassung zwischen Überforderung und Herausforderung, Der Staat 55 (2016), 291; Hahn, Die Reichstagsbibliothek zu Berlin – ein Spiegel deutscher Geschichte, 1997; Hoffmann, Die Änderung parlamentarischer Geschäftsordnungen im Vorgriff auf politische Konflikte, 2018; Lübbe-Wolff, Das Demokratiekonzept der Weimarer Reichsverfassung, in: Dreier/Waldhoff (Hrsg.), Das Wagnis der Demokratie, 2. Aufl. 2018, S. 111; Mergel, Parlamentarische Kultur in der Weimarer Republik, 3. Aufl. 2012; Morsey, Das Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933, 2010; Wadle, Das Ermächtigungsgesetz, JuS 1983, 170; zu IV.: Hubert, Uniformierter Reichstag. Die Geschichte der Pseudo-Volksvertretung 1933-1945, 1992; Jesse, Die Volkskammer der DDR, in: SZ, § 68; Mampel, Die sozialistische Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik, 2. Aufl. 1982; zu V.: Manow, Im Schatten des Königs. Die politische Anatomie demokratischer Repräsentation, 2008.
Anmerkungen
Vgl. Zeh, Parlamentarismus, 6. Aufl. 1997, S. 29.
Vgl. Schönberger, in: MSW, § 1 Rn. 9: „eher Archetyp als Prototyp“.
Ähnlich Schönberger, in: MSW, § 1 Rn. 8; zu den „Parlamentarisierungswellen“ die Tabelle bei von Beyme, Die parlamentarische Demokratie, 4. Aufl. 2014, S. 45.
Vgl. Schönberger, in: MSW, § 1 Rn. 12.