Johann Nestroy

Der Talisman. Posse mit Gesang in drei Akten


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(hinsehend). Das Pirutsch? – ’s Ross lauft dem Wasser zu – Million, alles is hin! (Rennt im Hintergrund links ab.)

      Neunte Szene

       Salome allein.

      SALOME. Er wird doch nicht gar? – Er rennt hin – wenn ihm nur nichts g’schicht – er packt ’s Pferd – ’s reißt ihn nieder! – (Aufschreiend.) Ah! ’s Pferd steht still – er hat’s [21]aufg’halten – das is a Teuxelsmensch! Ein Herr steigt ausm Wagen – er kommt daher mit ihm. Ah, das muss ich gleich dem Bäcken erzählen! Wenn er das hört, nimmt er den Menschen g’wiss! (Läuft rechts ab.)

      Zehnte Szene

       Monsieur Marquis. Titus.

      MARQUIS. Ah! Der Schreck steckt mir noch in allen Gliedern.

      TITUS. Belieben sich da ein wenig niederzusetzen!

      MARQUIS (sich auf eine Steinbank setzend). Verdammter Gaul, ist in seinem Leben noch nicht durchgegangen!

      TITUS. Belieben vielleicht eine Verrenkung zu empfinden?

      MARQUIS. Nein, mein Freund.

      TITUS. Oder belieben vielleicht sich einen Arm gebrochen zu haben?

      MARQUIS. Gott sei Dank, nein!

      TITUS. Oder belieben vielleicht eine kleine Zerschmetterung der Hirnschale?

      MARQUIS. Nicht im Geringsten – auch hab ich mich bereits erholt, und nichts bleibt mir übrig, als Ihnen Beweise meines Dankes –

      TITUS. Oh, ich bitte –!

      MARQUIS. Drei junge Leute standen da, die mich kennen, die schrien aus vollem Halse: »Monsieur Marquis! Monsieur Marquis! Der Wagen stürzt ins Wasser!«

      TITUS. Was? – Ein’ Marquis hab ich gerettet? – Das is was Großes!

      [22]MARQUIS (in seiner Rede fortfahrend). Aber hilfreiche Hand leistete keiner! Da kamen Sie als Retter herbeigeflogen –

      TITUS. Allgemeine Menschenpflicht!

      MARQUIS. Und gerade im entscheidenden Moment –

      TITUS. Besonderer Zufall!

      MARQUIS (aufstehend). Ihr Edelmut setzt mich in Verlegenheit. Ich weiß nicht, wie ich meinen Dank – mit Geld lässt sich so eine Tat nicht lohnen –

      TITUS. Oh, ich bitt, Geld ist eine Sache, die –

      MARQUIS. Die einen Mann von solcher Denkungsart nur beleidigen würde!

      TITUS. Na, jetzt, sehen Sie – das heißt –

      MARQUIS. Das heißt den Wert Ihrer Tat verkennen, wenn man sie durch eine Summe aufwiegen wollte.

      TITUS. Es kommt halt drauf an –

      MARQUIS. Wer eine solche Tat vollführt! Es hat einmal einer – ich weiß nicht, wie er geheißen hat – einem Prinzen – ich weiß nicht, wie er geheißen hat – das Leben gerettet; der wollte ihn mit Diamanten lohnen, da entgegnete der Retter: »Ich finde in meinem Bewusstsein den schönsten Lohn!« Ich bin überzeugt, dass Sie nicht weniger edel denken als der, wo ich nicht weiß, wie er geheißen hat.

      TITUS. Es gibt Umstände, wo der Edelmut –

      MARQUIS. Auch durch zu viele Worte unangenehm affiziert wird, wollten Sie sagen? Ganz recht; der wahre Dank ist ohnedies stumm. Drum gänzliches Stillschweigen über die Geschichte!

      TITUS (für sich). Der Marquis hat ein Zartgefühl – wenn er ein schundiger Kerl wär, hätt ich grad ’s Nämliche davon.

      [23]MARQUIS (Titus’ Haare scharf betrachtend). Aber, Freund, ich mache da eine Bemerkung – hm, hm – das kann Ihnen in vielem hinderlich sein.

      TITUS. Mir scheint, Euer Gnaden is mein Kopf nicht recht – ich hab kein’ andern und kann mir kein’ andern kaufen.

      MARQUIS. Vielleicht doch – ich werde – ein kleines Andenken müssen Sie doch von mir – warten Sie einen Augenblick! (Läuft im Hintergrunde links ab.)

      Elfte Szene

       Titus allein.

      TITUS. Es hat nix g’fehlt, als dass er aus Dankbarkeit: »Rote Rub’n!« g’sagt hätt. Das ist ein lieber Marquis! – Was tut er denn? (In die Szene sehend.) Er rennt zum Pirutsch – er sucht drin herum – »Andenken« hat er g’sagt? Auf d’ Letzt macht er mir doch ein wertvolles Präsent! – Was is denn das? A Hutschachtel hat er herausg’nommen – er läuft her damit – er wird mir doch nicht für das, dass ich sein junges Leben gerettet hab, einen alten Hut schenken?

      Zwölfte Szene

       Titus. Marquis.

      MARQUIS (mit einer Schachtel). So, Freund, nehmen Sie das, Sie werden’s brauchen! Die gefällige äußere Form macht viel – beinahe alles – es wird Ihnen nicht fehlen. [24]Hier ist ein Talisman (gibt ihm die Schachtel), und mich wird’s freuen, wenn ich der Gründer Ihres Glücks war. Adieu, Freund! Adieu! (Eilt in den Hintergrund links ab.)

      Dreizehnte Szene

       Titus allein, etwas verblüfft die Schachtel in der Hand haltend.

      TITUS. Glück gründen? – Talisman? – Da bin ich doch neugierig, was da drin steckt. (Öffnet die Schachtel und zieht eine schwarze Perücke heraus.) A Perücken –! Nix als eine kohlrabenschwarze Perücken! Ich glaub gar, der will sich lustig machen über mich –! (Ihm nachrufend.) Wart, du lebendiger Perückenstock, ich verbitte mir alle Witzboldungen und Zielscheibereien! – Aber halt? War denn das nit schon längst mein Wunsch? Haben mich nicht immer nur die unerschwinglichen fünfzig Gulden, die eine täuschende Tour kost’t, abgehalten? – Talisman, hat er g’sagt – er hat recht! Wenn ich diese Tour aufsetz, so sinkt der Adonis zum Rastelbinderbub’n herab, und der Narziss wird ausg’strichen aus der Mythologie. Meine Karriere geht an, die Glückspforte öffnet sich –! (Auf die offene Gartentüre blickend.) Schau, die Tür steht grad offen da, wer weiß –? Ich reskier’s; ein’ schönen Kerl schlagt’s nirgends fehl. (Geht in die Gartentüre ab.)

      [25]Vierzehnte Szene

       Titus. Salome aus rechts vorne.

      SALOME (kommend). Ach, mein liebster Mussi Titus, das is ein Unglück!

      TITUS (sich umsehend). Die Salome –! Was is denn g’schehn?

      SALOME. Der Bäck nimmt Ihnen nicht. Ich kann Ihnen nicht helfen, ’s druckt mich völlig zum Weinen.

      TITUS. Und mich kitzelt’s zum Lachen. Also is das gar so schwer, bei euch da ein Knecht zu wer’n?

      SALOME. Der Bäck hat g’sagt: er hat erstens Ihre Zeugnisse nicht g’sehn, und dann sind ihm so viele anempfohlen, er ist bei Vergebung dieser Stelle an Rücksichten gebunden –

      TITUS. Schad, dass er keinen Konkurs ausschreiben lasst! Meine liebe Salome, mir sind andere Aussichten eröffnet: Ich bin aufs Schloss berufen.

      SALOME. Aufs Schloss? Das kann ja nit sein. Oh, wann Ihnen die gnädige Frau sieht, jagt sie Ihnen augenblicklich davon! (Mit Beziehung auf ihre Haare.) Darf ja ich mich auch gar nicht blicken lassen vor ihr!

      TITUS. Die Antipathien der Gnädigen sind Nebensache, seitdem sich bei mir die Hauptsachen verändert haben. Ich geh mit kecker Zuversicht meinem Glück entgegen.

      SALOME. Na, ich wünsch Ihnen viel Glück zu Ihrem Glück! ’s is völlig nit recht, aber ’s schmerzt mich halt doch, dass mir wieder a Hoffnung in’ Brunn’ g’fallen is.

      TITUS. Was denn für a Hoffnung?

      SALOME.