nur Reproduktion oder Rekonstruktion gefragt, sondern aktives Gestalten gefordert.
Jede Lernart setzt andere Hirnareale und neuronale Netze in Gang. Manche Aktivitäten laufen parallel oder überschneiden sich. Im Einzelfall ist dies nur schwer abzugrenzen und mit bildgebenden Verfahren (PET, fMRT usw.) präzise festzuhalten. Der Beitrag der bildgebenden Verfahren ist zwar eindrücklich und oft auch verführerisch oder scheinklar. Manche Lernaktivitäten lassen sich zwar neuronalen Korrelaten, das heißt bestimmten Gehirnarealen, zuordnen. Viele längere Lernprozesse wie Erfahrungslernen, Problemlösen und Lerntransfer (Übertragen und Anwendung des Gelernten) sind neuropsychologisch unbearbeitet, also »terra incognita«, das heißt unbekanntes Neuland.
Abb. 6: Bilder von Netzaktivitäten
Während einer Autofahrt zeigt das Gehirn des Beifahrers im Vergleich mit dem Autolenker unter Umständen erhöhte Aktivität. Dies beruht vermutlich (!) auf dem Kontrollverlust des Beifahrers und den damit erhöhten Orientierungs- und Verarbeitungsleistungen im Frontal- und Parietallappen.
Welche neuropsychologischen Einsichten helfen das Lernen verbessern?
Es gibt Bereiche, die außerhalb der neuropsychologischen Zuständigkeit liegen: kulturelle Themen, Lernziele, schulische Organisationsformen, Unterrichtskonzepte usw. Auch der einzelne Kopf mit seinen konkreten Interessen, Lernvoraussetzungen, Lernwiderständen oder Lernfortschritten usw. ist nicht neuropsychologisch erfassbar oder gar berechenbar. Und man kann nicht jede Schülerin, die am Freitag eine schlechte Mathematikprüfung geschrieben hat, am Montag in den Computertomografen stecken, um ihr Hirn mit funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT) zu »scannen« – und die Defizite in den neuronalen Netzen zu erkunden. Manche versuchen zwar, mit Ritalin oder Prozac nachzubessern, aber das ist ein anderes Thema.
Im Folgenden geht es um jene neuropsychologischen Einsichten, die das Lernen im Alltag und in der Schule teilweise neu begründen, anregen und vielleichtverbessern helfen:
Informationsverarbeitung ist nicht gelehrte Vermittlung von Bedeutungen bzw. Codierung und Decodierung durch die Lernenden, sondern unbewusste und bewusste Konstruktion unter limbischen und neocorticalen Bedingungen: Wissen lässt sich nicht übertragen, sondern auf der Basis von Vorwissen konstruieren.
Lernen ist ein individueller und aktiv-konstruktiver Prozess der Bedeutungsund Wissenserzeugung, die schulisch unterstützt oder behindert werden kann – und im besten Fall zur Erweiterung und Differenzierung der Wissensbasis führt.
Es gibt eine neue Sicht des Gedächtnisses und seiner Speicherfunktionen. Wir lernen gedächtnisvariabel, das heißt mit verschiedenen Formen der Langzeitspeicherung. Und wir erinnern uns rekonstruktiv und nicht nur reproduktivabbildhaft. Das Gedächtnis ist weder ein Behälter noch ein bestimmter Ort im Gehirn, sondern eine komplexe und leicht störbare, aber auch positiv beeinflussbare Netzaktivität.
Die Bedeutung der Gefühle beim Lernen erscheint in neuem Licht: Emotion und Motivation werden vom limbischen System weitgehend unbewusst und vorbewusst modelliert. Das System der Neuromodulatoren reguliert nicht nur Aufmerksamkeit und Antrieb, sondern auch Neugier und Belohnungserwartung.
Wir bevorzugen Lernprozesse, die emotional positiv besetzt sind. Angstbelastetes Lernen kann blockieren und neuronale Netze abbauen. Belastungen kann man allerdings aushalten lernen – und erfolgreich bewältigen. Auch dies sind notwendige Lernerfahrungen.
Das im herkömmlichen Unterricht betonte lineare und reproduktive Denken ist mit neuropsychologisch begründbaren Erlebnis- und Denkformen zu ergänzen. Das Gehirn arbeitet größtenteils unbewusst, bereichsweise implizit und intuitiv, auf jeden Fall assoziativ.
Das ganzheitliche Lernen lässt sich im Sinne der Vernetzung qualitativ neu interpretieren. Lernen ist meistens mehrkanalig: Was man liest, laut wiederholt oder mit eigenen Worten zusammenfasst, jemandem erklärt oder skizziert usw., vernetzt sich. Die bevorzugten Lernweisen verdichten sich zu Lerngewohnheiten und Präferenzen, die oft als Lerntypen bezeichnet werden. Leider gibt es dazu fast keine wissenschaftlichen oder neuropsychologischen Belege.
Das Gehirn ist ein Beziehungsorgan – und die Neuropsychologie begründet das Lernen am Modell, das Lernen von Vertrauen und Empathie usw. vertieft und in neuer Sicht.
Störungen des Sozialverhaltens gründen auch in Gehirnprozessen, die wir heute besser zu verstehen beginnen.
Lernen beruht auf neuronaler Vernetzung und baut diese aus und um.
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