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Christlich-soziale Signaturen


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       Das Christlich-Soziale und die Politik

       Reflexionen über ein ambivalentes Verhältnis im Kontext der Digitalisierung

       Martina Tiwald

       Der Begriff des christlichen Politikers versus den laizistischen Rechtsstaat

       Werner Bruck

       Welches Ethos braucht es, um eine christlich-soziale Gesellschaft zu verwirklichen?

       Welchen Beitrag könnte die Bildung dazu leisten?

       Doris Dorer

       Autorenporträts

      Vorwort

      Der liberale Rechtsstaat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Mit dem Böckenförde-Diktum hat der bekannte Verfassungsrechtler klar umrissen, dass es auch in einer säkularen Gesellschaft für alle Bürgerinnen und Bürger verbindliche Regeln braucht, wenn das politische Zusammenleben langfristig funktionieren soll. Worauf diese Regeln aber aufbauen, und dass diese Regeln mehr sein müssen als Gesetze und Normen, ist vielen Bürgerinnen und Bürgern in unserer pluralistischen Gesellschaft nicht mehr auf den ersten Blick bewusst. Mit dem vorliegenden Sammelband wollen wir begriffliche Orientierung geben und unterschiedliche Zugänge zu einem wertebasierten Politikverständnis vermitteln.

      Die neue Volkspartei baut ihren Wertekosmos auf einem christlich-humanistischen Weltbild auf. Im modernen Sinne versteht man darunter, dass alle Menschen unabhängig von ihrer Herkunft oder anderen Merkmalen wie Geschlecht, Ethnie oder Alter denselben Wert haben, da sich alle durch ein dem Menschen einzig gegebenes Merkmal auszeichnen: ihre Würde. Aus diesem Menschenbild leiten wir die Kernwerte christlich inspirierten politischen Denkens und Handels ab: Freiheit, Verantwortung, Nachhaltigkeit, Leistung, Solidarität, Subsidiarität und Gerechtigkeit.

      Warum wir auch in einer säkularisierten Gesellschaft am christlich-humanistischen Menschenbild festhalten, und wie vielfältig die Herangehensweisen an den Begriff „christlich-sozial“ sein können, zeigen wir mit diesem Buch. Namhafte Theologen, Wissenschaftler und Politologen diskutieren, warum und wie die christlichen Traditionen den politischen und demokratischen Diskurs bereichern können. Zusätzlich haben wir auch junge Autorinnen und Autoren im Rahmen eines Wettbewerbs eingeladen, ihre Gedanken zum Thema einzubringen. Die besten drei Beiträge sind im Sammelband abgedruckt.

      Als Herausgeber freuen wir uns, dass so intensiv und leidenschaftlich über christlich-soziale Politik diskutiert wird – uns ist die ständige Reflexion in der öffentlichen und akademischen Diskussion wichtig. Die Kernfrage lautet, wie wir im 21. Jahrhundert das Leitbild einer Gesellschaft freier und verantwortlicher Menschen verwirklichen können. Auf diese Frage versucht der Sammelband umfassende und fachlich fundierte Antworten zu geben.

       Bettina Rausch und Simon Varga

      Grundlegungen einer christlich-sozialen Politik

       Bettina Rausch

       Seit den 1990er-Jahren gibt es länderübergreifende Veränderungen in der Sozialpolitik, die häufig mit Begriffen wie „Eigenverantwortung“, „Teilhabegerechtigkeit“ und „Generationengerechtigkeit“ begründet werden. Sozialpolitik braucht ein theoretisches Fundament, das insbesondere das Wesen des Menschen an sich klären und erklären muss. Eine solche theoretische, aber nicht teleologische Grundlegung für Sozialpolitik bietet die christliche Soziallehre.

      „Sozial ist, was stark macht“, hat Sebastian Kurz klar die Grundsätze der Sozialpolitik der neuen Volkspartei umrissen. Sozialpolitik muss dabei Grundsätze aufgreifen, die die Politik theoretisch legitimieren und auf die man in Übergangszeiten zurückgreifen kann. Eine solche theoretische Grundlegung für die Sozialpolitik der neuen Volkspartei bietet die christliche Soziallehre. „Soziallehre“ versteht sich für uns nicht als Heilslehre mit innerweltlichem Erlösungsanspruch, sondern schöpft ihre Grundlagen aus einem Menschenbild und einer Anthropologie, die das „Mängelwesen Mensch“ (Gehlen) in seiner Gesamtheit beschreibt und ernst nimmt. Gerade Sozialpolitik benötigt eine theoretische Grundlegung, da sie ansonsten Gefahr läuft, sich in unfinanzierbarem Populismus zu erschöpfen. So zeugt die gegenwärtige Hochkonjunktur der sozialen Frage nicht unbedingt vom ausgeprägten Gerechtigkeitsgefühl der Akteure, vielmehr folgen viele Vorschläge dem schlichten Motto „links, weil’s bequem ist“. Die Debatte um Mindestlöhne, so die Schlussfolgerung eines „Zeit“-Leitartikels, sei kein Indiz dafür, dass Bürgerinnen und Bürger sozialer würden, sondern dass das Elektorat lediglich mehr Geld und weniger Zumutungen wolle. Wer heute als Anwalt der sozialen Frage auftritt, vermischt dabei nur allzu oft Altruismus, Bigotterie und Eigennutz. „Sozial“ wird dabei missdeutet als eine Politik, die dem Einzelnen weniger abverlangt und mehr zukommen lässt. Nur ist langfristig populäre Politik nicht immer die sozialste, denn am Ende des Tages gilt immer noch: There is no such thing as a free lunch.

      Und eben hier liegt der wunde Punkt aktueller sozialpolitischer Debatten. Nicht zu wollen heißt hierzulande nunmehr vor allem eines: Reduktion von Politik auf Sozialhilfe. „Sozialpolitik“ wäre schon zu viel gesagt. Die Bismarck’sche Sozialpolitik, Geburtshelfer der heutigen, diente ja dem Zweck, die Arbeiter zu befrieden, um dafür umso mehr den Willen Bismarck’scher Politik durchsetzen zu können. Es war gewissermaßen die Zweiteilung zwischen denen, die fragen „Was wird uns geschehen?“ und denen, die fragen „Was können wir tun?“. Die Frage nach dem, was uns geschehen wird, ist die Frage der Dekadenz, zu der Bismarck die Arbeiterschaft überreden wollte, während er selbst den Willen zur Macht exerzierte. Gehen wir taktvollerweise nicht dem Verdacht nach, inwiefern die Sozialpolitik der 1930er- und 1940er-Jahre zum Modell für die heutige geworden ist. Die vorangegangene Amoral jedenfalls sollte die aktuellen Führer der Sozialdemokratie eigentlich abschrecken, ihren Willen zur Sozialhilfe so ganz ohne sonstige Ambitionen zu verklären.

      Aus diesem falsch verstandenen Pragmatismus – gepaart mit einem Mangel an außermaterialistischen Überzeugungen und dem Fehlen eines positiven Menschenbilds – entsteht für Alois Mock, den Vordenker eines ganzheitlichen christlich-sozialen Politikstils, inhaltliche Beliebigkeit, schlimmstenfalls sogar politische Orientierungslosigkeit. Mock hielt ein christliches Menschenbild für den wesentlichen Bestandteil von Sozialpolitik: „Ich wage zu behaupten, dass es allein die christdemokratischen Parteien sind, die nach einem gesellschaftlichen Modell Politik machen. Wer vertritt denn heute noch einen der acht bis zehn Grundsätze, die zur Gründung der sozialistischen Parteien geführt haben? Wahlen gewinnen sie nur, wenn sie den Sozialismus verstecken.“1

      Die neuen sozialen Fragen lassen sich nicht mit dem überlieferten Instrumentarium der Sozialpolitik der Nachkriegszeit befriedigend beantworten. Zu oft beschränkt sich Sozialpolitik auf die Alimentierung der aus dem Erwerbsprozess Herausgefallenen. Eine neu entstandene, im Feuilleton mit einer Mischung aus Ekel und distanziertem Entsetzen beschriebene Unterschicht hat schmerzhaft aufgezeigt, dass die Logik der passiven Transferzahlung langfristig alles andere als sozial verträglich ist. Vielmehr entlässt sie die Menschen in die Unmündigkeit und schürt eine Unzufriedenheit, die nur allzu oft zu Gewalt und anderen sozialen Problematiken führt.

      Die Selbstgenügsamkeit der traditionellen Sozialpolitik mit ihren abstrakten Solidaritätsgesten vergaß dabei, den notwendigen Beitrag jeder einzelnen