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Christlich-soziale Signaturen


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zur Selbsthilfe findet darin seinen Ursprung: „Wie das, was von einzelnen Menschen auf eigene Faust und in eigener Tätigkeit vollbracht werden kann, diesen nicht entrissen und der Gemeinschaft übertragen werden darf, so ist es ein Unrecht und zugleich ein schwerer Schaden und eine Störung der rechten Ordnung, das auf eine größere und höhere Gemeinschaft zu übertragen, was von kleineren und niedrigeren Gemeinschaften erreicht und geleistet werden kann; denn jede gesellschaftliche Tätigkeit muss ihrem Wesen und ihrer Natur nach den Gliedern des gesellschaftlichen Leibes Unterstützung leisten, darf sie aber niemals zerstören und aufsaugen.“7

      Für die Verwaltung bedeutet dies, dass Körperschaften höherer Ordnung (zum Beispiel der Bund) gegenüber der nachgeordneten „eine Haltung der Hilfestellung – also der Unterstützung, Förderung und Entwicklung – einnehmen“.8 Der Staat muss also dem Individuum helfen, seine Potenziale optimal auszuschöpfen. Bürgerliche Mitbeteiligung am politischen Willensprozess sind die Eckpfeiler der Subsidiarität. Um dieses Prinzip glaubwürdig zu vertreten, müssen Gesellschaften etwa attraktive Aufstiegsmöglichkeiten für unterprivilegierte Menschen und Migranten schaffen; eine subsidiär organisierte Gesellschaft muss sozial durchlässig sein und innergesellschaftliche Mobilität ermöglichen.

      Im vierten Prinzip, dem Solidaritätsprinzip, kommt die wechselseitige Abhängigkeit von Individuen und Gruppen (seien es Völker, Schichten, Institutionen) zum Ausdruck; zwischen solidarischem Handeln und Gemeinwohl besteht also ein kausaler Zusammenhang. Christlich verstandene Solidarität ist aktiver als der sozialdemokratische Solidaritätsbegriff angelegt, der Solidarität passiver und abstrakt-delegatorisch als Recht des Einzelnen definiert, sich im Notfall auf die Hilfe der anderen (staatliche Hilfe, Solidargemeinschaft) verlassen zu können. Der christliche Solidaritätsbegriff ist umfassender: einerseits als soziales Prinzip, andererseits auch als moralische Tugend.

      Marktwirtschaft und Eigentum

      Als Einheit wollen die vier Prinzipien dem einzelnen Menschen und seinem konkreten Handeln allgemeine Bezugspunkte für die Strukturierung und Gestaltung des sozialen Lebens anbieten. Ein wesentlicher Teil des sozialen Lebens bildet die Wirtschaft, vielfach wird seit dem Boom der neoklassischen Volkswirtschaft und ihren Axiomen für die Wirtschaftspolitik sogar vom „Primat der Wirtschaft“ in der Gesellschaft gesprochen. Für die Soziallehre gilt hingegen, dass die Wirtschaft lediglich ein Teilsystem der menschlichen Gesellschaft ist. Die Soziallehre leitet aus dem Gemeinwohlprinzip die allgemeine Bestimmung der Erdengüter ab, wodurch die Wirtschaft an moralische Werte und Normen gekoppelt wird. Das Recht auf Privateigentum – in der christlichen Überlieferung nie als absolut verstanden – bildet einen entscheidenden Teil einer demokratischen und sozialen Wirtschaftspolitik. Die Soziallehre fordert von der Wirtschaftspolitik, dass sie den Besitz von Gütern allen Menschen gleichermaßen zugänglich macht. Jeder Mensch hat das Recht, Eigentum zu erwerben und zu erarbeiten; die Soziallehre hat damit die Eigentumsbildung in Arbeitnehmerhand vorgedacht. Lange bevor das aus den USA importierte Auszahlen von Aktien an Mitarbeiter auch im deutschen Sprachraum üblich wurde, hat die Soziale Marktwirtschaft damit bereits die Vision eines „Volks von Eigentümern“ entwickelt und umgesetzt.

      Trotz dieser integrativen Kraft und vieler sozialpolitischer Meilensteine gab und gibt es seit Beginn der Zweiten Republik immer auch das Mantra einer vermeintlichen Wirtschaftslastigkeit der Volkspartei. Diese zyklisch wiederkehrenden, aber ungerechtfertigten Vorwürfe verblassen im Lichte des reformatorischen und offenen Charakters der katholischen Soziallehre. Die Soziallehre bejaht das kapitalistische System, weiß aber um die Gefahren und die Fehlbarkeit der Marktteilnehmerinnen und Marktteilnehmer. Die Soziallehre formuliert in ihren Werken also eine konsequente innerkapitalistische Verbesserungsarbeit. Dazu gehört, dass sie die divergierenden Interessen von Kapital und Arbeitnehmern austariert und nachhaltige Wirtschaftspolitik dafür den ordnungspolitischen Rahmen bereitstellen muss. Mit strengen Kartellrechten und entschiedener Privatisierungspolitik ist aktiv gegen Marktverkrustungen, Kartellbildungen, Preisabsprachen und De-facto-Monopolbildungen vorzugehen. Soziale Marktwirtschaft heißt, durch leistbare Ausbildung jedem Menschen die Teilnahme am freien Wettbewerb zu ermöglichen. Der Bevorzugung einzelner Bevölkerungsschichten und der wirtschaftlichen Machtkonzentration einiger weniger – wie beispielsweise einst des Adels – muss der Staat mit angemessenen Kontrollmechanismen entgegenwirken. Soziales Wirtschaften ist immer notwendigerweise eine partizipative Wirtschaftsordnung, die die vielfältigen Interessenlagen der Bürger in mehr als die Summe der Einzelteile verwandelt: Jeder und jede hat das Recht, nach Glück zu streben, um seine oder ihre Persönlichkeit optimal zum Wohle der Gemeinschaft zu entfalten.

      Am Beispiel aktueller Diskussionen rund um Arbeit und soziale Sicherungssysteme will ich abschließend noch konkreter ausführen, was diese Grundsätze für ein konkretes Politikfeld bedeuten können.

      Arbeit und Menschenwürde

      Die Mehrzahl der Interpretinnen und Interpreten der katholischen Soziallehre sieht in der Arbeit ein zentrales Element für ein Leben in Würde. Theologen sehen Arbeit auch als göttlichen Auftrag, ausgehend von der Aufforderung „Macht euch die Erde untertan“ (Gen 1,27). Der Benediktinerpater Anselm Grün formuliert es, ausgehend von den Regula Benedicti, so: „Die Arbeit ist der Ort, an dem wir Haltungen wie Demut, Hingabe, Liebe, Barmherzigkeit und Mitfühlen mit den Menschen lernen.“

      Profan dokumentiert die berühmte Studie über die Arbeitslosen in Marienthal aus den 30er-Jahren des vorigen Jahrhunderts die Auswirkungen langer Arbeitslosigkeit und kommt zum eindeutigen Schluss: Ein Leben ohne Arbeit führt zu passiver Resignation. Jedenfalls ist Arbeit mehr als nur ein Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts; Arbeit ist ein sinnstiftender Teil des Lebens, eine Quelle für Bestätigung und Anerkennung und ein Beitrag zur Entwicklung von Menschheit und Gesellschaft.

      Zuwendung und Zutrauen

      In diesem Sinne müssen soziale Sicherungssysteme das Ziel haben, den (Wieder-)Einstieg ins Arbeitsleben zu fördern und zu fordern. Christlich-soziale Politik setzt auf Hilfe zur Selbsthilfe – die Verbindung von gesellschaftlicher Solidarität mit persönlicher Verantwortung. Hilfe zur Selbsthilfe braucht Zuwendung und Zutrauen. Zuwendung zum Hilfesuchenden, Zuwendung zur Person mit ihren individuellen Sorgen, Hoffnungen und Bedürfnissen. Eine Zuwendung, die zu leisten nicht nur die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Sozialorganisationen gefordert sind, sondern jede und jeder Einzelne von uns in unserer individuellen Verantwortung für die und den Nächsten und unser unmittelbares Umfeld. Zutrauen bedeutet die grundsätzliche positive Einstellung, dass jede und jeder Wille und Fähigkeiten hat, der Hilfsbedürftigkeit zu entkommen. Dies anzuerkennen ist eine notwendige Grundvoraussetzung für ein Sozialsystem, das die Menschen wirklich stärkt.

      In diesen Grundsätzen zeigt sich deutlich der Unterschied zwischen Sozialismus und christlich-sozialem Menschenbild. Wohl mit Blick auf das Gleichnis von den Talenten schreibt Papst Leo XIII. in der bereits erwähnten Enzyklika „Rerum novarum“: „Mit dem Wegfalle des Spornes zu Strebsamkeit und Fleiß würden auch die Quellen des Wohlstandes versiegen. Aus der eingebildeten Gleichheit aller würde nichts anderes als der nämliche klägliche Zustand der Entwürdigung für alle.“ Christlich-soziale Politik gestaltet also soziale Sicherungssysteme in der Form, dass sie Chancen und Anreize bieten, die Hilfsbedürftigkeit rasch wieder überwinden zu können. Damit verbunden sind allerdings auch Pflichten in dem Sinn, dass jede und jeder auch selbst etwas dazu beitragen, dafür leisten muss – sei es persönliche Weiterbildung, das Erlernen der deutschen Sprache oder die ernsthafte Bereitschaft, Chancen auch tatsächlich wahrzunehmen.

      Zutrauen – im Sinne von fordern und fördern – ist für mich überhaupt ein zentrales Element christlich-sozialer Politik; und in gewisser Weise die Zwillingsschwester der Freiheit. Nur wer den Menschen grundsätzlich Vertrauen und Zutrauen entgegenbringt, wird ihnen guten Gewissens auch ein hohes Maß an persönlicher Freiheit zugestehen. Freiheit wiederum ist ein Wert, der direkt aus dem christlich-sozialen Personalitätsprinzip folgt. Der Theologe und Philosoph Clemens Sedmak, Professor für Sozialethik an der University of Notre Dame (USA) und Leiter des Zentrums für Ethik und Armutsforschung in Salzburg formuliert es ganz klar: „Gott will freie Menschen und hat uns deswegen die Freiheit