„Ubi spiritus Domini ibi libertas“ („Wo der Geist des Herrn wirkt, da ist Freiheit“).
Freie und verantwortliche Menschen
Dieser Freiheitsgedanke christlich-sozialer Politik hat konkrete Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen Mensch und Staat, und zwar mit dem Ergebnis, dass Entscheidungen von den möglichst kleinsten Einheiten getroffen werden sollen – von der oder dem Einzelnen, von der Familie, von der Gemeinschaft vor Ort. Das ist das christlich-soziale Subsidiaritätsprinzip. Die Freiheit, individuell Entscheidungen treffen zu können, findet konkreten Niederschlag in der Frage der Verfügungsgewalt über das eigene Einkommen. Staatsorientierte Ideologien fordern ein hohes Maß an Steuern, auf dass der Staat damit mache, was er für richtig für alle hält. Christlich-soziale Politik will den Menschen möglichst viel von ihrem Einkommen lassen und traut ihnen zu, eigenverantwortlich – aber auch in ihrer individuellen Verantwortung für die Gemeinschaft – Entscheidungen zu treffen.
Den Menschen weniger von ihrem verdienten Einkommen zu nehmen ist daher logischerweise ein ganz grundsätzlicher Zugang christlich-sozialer Politikerinnen und Politiker, ein inhärenter Bestandteil ihres politischen Selbstverständnisses. Das erklärt zum Beispiel den „Familienbonus plus“, der steuerliche Entlastung für Mütter und Väter bringt, die doppelt Verantwortung tragen und Leistung erbringen – nämlich im Job und in der Familie. Auch die weitere Entlastung durch die Senkung der Einkommensteuer und anderer lohnabhängiger Abgaben und Beiträge sowie insgesamt das Ziel der Senkung der Abgabenquote folgen diesem christlich-sozialen Politikverständnis.
Für mich ist das der Kern des christlich-sozialen Politikverständnisses: Den Menschen ökonomische Freiheit zugestehen und ihnen zutrauen, selbst die richtigen Entscheidungen treffen zu können. Und ihnen auch zutrauen, ihre Verantwortung für die Gesellschaft selbst wahrzunehmen. Daraus ergibt sich mein persönliches Ideal einer Gesellschaft freier und verantwortlicher Menschen.
Literatur
Böckenförde, Ernst-Wolfgang: Staat, Gesellschaft, Freiheit, Frankfurt am Main 1976.
Grün, Anselm: Versäume nicht dein Leben, München 2017.
Jahoda, Marie / Lazarsfeld, Paul Felix / Zeisel, Hans: Die Arbeitslosen von Marienthal: ein soziographischer Versuch über die Wirkungen langandauernder Arbeitslosigkeit, Frankfurt am Main 1975.
Meyer, Thomas: Theorie der sozialen Demokratie, Wiesbaden 2005 Päpstlicher Rat für Gerechtigkeit und Frieden: Kompendium der Soziallehre der Kirche, Freiburg im Breisgau 2006.
Pius XI: Enzyklika Quadragesimo anno: AAS 23, Rom 1931.
Sedmak, Clemens / Lackner, Franz: Kaum zu glauben. Annäherungen an Grundworte christlichen Lebens, Innsbruck 2018.
1Mock, Alois: Die EU war nie ein Paradies, in: Academia, Juni 2004, S. 8.
2Vgl. dazu Meyer, Thomas: Theorie der sozialen Demokratie, Wiesbaden 2005.
3Böckenförde, Ernst-Wolfgang: Staat, Gesellschaft, Freiheit, S. 60.
4Vgl. dazu: Kompendium der Soziallehre der Kirche, S. 82 ff.
5Vgl. ebd. S. 131.
6Vgl. ebd. S. 132.
7Pius XI., Enzyklika Quadragesimo anno: AAS 23 (1931).
8Vgl. dazu: Kompendium der Soziallehre der Kirche, S. 147.
Werte, Demokratie und christlicher Glaube: ein praktisch-theologischer Zugang aus katholischer Sicht
Regina Polak
Welche christlichen Werte können einer lebendigen Demokratie heute weiterhelfen? Dieser Frage geht der folgende Beitrag aus einer praktisch-theologischen Perspektive in drei Schritten nach. Im ersten Schritt werden Problemstellungen, Kontext und Interessen rund um die Fragestellung skizziert. Der zweite Schritt entwickelt einen theologisch legitimen Begriff christlicher Werte und beschreibt deren Beitrag zur Demokratie. Im dritten Schritt werden exemplarisch anhand dreier demokratischer Werte – Würde, Pluralität, Gerechtigkeit – bibeltheologische Beiträge identifiziert. Das Ziel des Beitrags besteht darin, fragmentarisch für die Komplexität der Fragestellung zu sensibilisieren und erhebt keinen Anspruch auf eine umfassende Klärung. Vielmehr sollen kriteriologische Weichen für weiterführende Diskurse gestellt werden.
Problemstellungen, Kontext und Interessen
Vom Problem christlicher Werte
Der Wertebegriff 1 entstammt ursprünglich nicht der Welt der Religionen, sondern der Ökonomie. Werte sind in diesem Kontext quantitativ messbare Größen, die sich im Rahmen von Tauschverhältnissen ergeben. In der Philosophie taucht der Wertebegriff erst im 19. Jahrhundert auf. Eine Schlüsselrolle spielt Friedrich Nietzsche. Im Kontext seiner Moral-, Ethik- und Kulturkritik konstatiert er einen in Europa fortschreitenden Prozess einer „Entwertung der obersten Werte“2: den Nihilismus. Dieser führt zu einem radikalen Verlust des Vertrauens in eine absolute Instanz, die für eine universale Gültigkeit ethischer Prinzipien bürgt. Im Bild vom „Tod Gottes“ wird diese Erfahrung zum Ausdruck gebracht. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde in der Philosophie dann darüber diskutiert, ob Werte vom Menschen unabhängig „an sich“ existieren („Wertobjektivismus“) oder nur subjektiv für jemanden gelten („Wertsubjektivismus“).
Theologie, Philosophie und Ethik begegnen dem Wertebegriff aufgrund dieser Herkunft bis heute eher reserviert. Denn ohne Bezug auf eine universale Transzendenz gibt es keine Möglichkeit, allgemeingültige ethische Prinzipien oder Urteile zu entwickeln. Der Verlust des ethischen Anspruchs auf Universalität kann zu einem Relativismus führen, an dessen Ende nur mehr der menschliche Wille und die Machthaber darüber entscheiden, welche Werte gültig sind. Auch ein gegenständliches Verständnis von Werten, die „objektiv“ vorliegen – gleich, ob außerhalb oder innerhalb des Subjekts –, reduziert den Akt ethischer Urteilsfindung auf positivistische Selbstbehauptung. Die Kritik am ökonomischen Ursprung des Wertebegriffs bringt wiederum Hannah Arendt auf den Punkt:3 Die Reduktion von Ethik auf Werte führt zu einer Vernützlichung, Vergesellschaftung und Austauschbarkeit von Werten, die auch vor der Verrechenbarkeit und Verwertung des Menschen nicht haltmachen werden.
Aus der Sicht von Judentum, Christentum und Islam4 ist der Wertebegriff überdies deshalb problematisch, weil sich Werte im allgemeinen Sprachgebrauch als Resultate einer radikal autonom gedachten Vernunft verstehen. Nun sind diese drei monotheistischen Religionen selbstverständlich konstitutiv mit ethischen Konzepten verbunden. Aber jene Vernunft ist nicht absolut autonom, sondern relational. Denn diese Religionen anerkennen auch eine heteronome Quelle, der sie ihre Werte verdanken und vor der sie sich zu rechtfertigen haben: die Offenbarung einer göttlichen Autorität. Deshalb spricht man in diesen drei Traditionen bevorzugt von Regeln und Vorschriften, Prinzipien und Normen, Geboten und Gesetzen. Da auch diese der freien und vernünftigen Interpretation unterliegen, sind sie konstitutiv pluralistisch. Aber von der Offenbarung Gottes her sind einer grenzenlosen Pluralität Grenzen gesetzt. So sind beispielsweise der Schutz des Lebens, die Würde und Einzigartigkeit jedes Menschen sowie die Gleichheit aller Menschen unaufhebbare ethische Normen der monotheistischen Traditionen.
Umgekehrt ist auch der Glaube an Gott in diesen drei Religionen untrennbar mit dem Ethos der Offenbarung verbunden. Wer sie ablehnt, mag an einen Gott glauben – aber er glaubt nicht an jenen Gott, der im Tenach, in der Bibel und im Koran bezeugt wird.5 Dieser ethische Monotheismus hat seinen Ursprung im Alten Testament, das – im Unterschied zu den anderen religiösen Traditionen des Alten Orients – das Ethos (z. B. der Nächsten- und Fremdenliebe) sakralisiert, das heißt der beliebigen Willkür des Einzelnen (z. B. eines Pharaos oder Gottkönigs) entzieht und zu göttlichem Recht erklärt.6 Damit steht zum Beispiel jeder Mensch unter Gottes besonderem Schutz und heiligt Gott, wer sein Ethos befolgt. Die Nächstenliebe ist damit nicht nur Folge, sondern Wesen und