Trotz der vielfältigen positiven Aspekte stoßen Live-Online-Veranstaltungen in der Praxis jedoch oft noch auf eher negative Resonanz. Sie werden als langweilig oder zweitklassig erlebt und anfängliche technische Probleme schrecken ab. Um das Potenzial dieser Lehrform zu heben, sollten Sie deshalb ein besonderes Augenmerk auf die sorgfältige Vorbereitung und kompetente Durchführung dieser Online-Vorlesungen und Seminare legen.
Dies beginnt damit, sich zunächst klar zu überlegen, welche Inhalte Sie in diesen synchronen Veranstaltungen, bei denen Ihre Lernenden zur gleichen Zeit zusammenkommen, diskutieren wollen und welche diese selbständig in asynchroner Form (E-Learning Videos, Dokumente, Aufgaben, Diskussionsforen etc.) bearbeiten sollen.3 Diese konzeptionellen Überlegungen und Entscheidungen werden je nach Zielgruppe unterschiedlich ausfallen.
Im Rahmen von Blended-Lösungen können virtuelle Klassenräume zusätzlich zu Präsenzveranstaltungen zur Vorbereitung, Vertiefung oder Nachbereitung eingesetzt werden. Und die „Online-Semester“ in der Corona-Krise haben gezeigt, dass man auch ausschließlich auf dieses Format setzen kann, wenn auch idealerweise nur für kurze Zeit.
3.1. Anwendungsmöglichkeiten
Die Einsatzszenarien für den virtuellen Klassenraum sind vielfältig, z.B.:
• Vorbereitung einer Präsenzeinheit: Die Gruppe lernt sich kennen, klärt Erwartungen und erhält Vorbereitungsaufgaben.
• Rein virtueller Unterricht: Durchführung kurzer, zeitlich verteilter Fort- und Weiterbildungsschulungen, entweder in großen Gruppen als „Vorlesungen“ oder in kleineren Gruppen als „Online-Seminare“
• Durchführung von Kurssequenzen, bei denen verschiedene Experten aus der Praxis jeweils für kurze Zeit im virtuellen Klassenraum zur Gruppe stoßen und intensiv eingebunden werden. Da für die Experten nur ein geringer Zeitaufwand entsteht, weil keine Anreise erforderlich ist, kann man sie einfacher für die Teilnahme gewinnen.
• Studien- oder Prüfungsvorbereitung in Kleingruppen
• Regelmäßiger Austausch in Fach- oder Lerngruppen
• Weiterbildung für die Lehrbeauftragten
• „Onboarding“ von neuen Dozenten oder Mitarbeitenden
• Nachbereitung einer Präsenzeinheit: Die Teilnehmenden berichten, wie es ihnen mit der Umsetzung des Gelernten in der Praxis ergangen ist, klären offene Fragen und erhalten vertiefendes Wissen.
3.2. Geeignete Themen
Das Live-Online-Format eignet sich für ein sehr breites Themenspektrum und daher besonders für die Fort- und Weiterbildung: Schulungen zu Fachthemen, technische Themen, neue Geräte und Produkte, Inhalte rund um Sozialkompetenz, Kommunikation und Führung, IT-Training, Sprachtraining, Projektbegleitung, Coaching und Supervision, usw. Nur wenn physisches Anfassen, Riechen oder die tatsächliche Bedienung von Fahrzeugen oder Maschinen erforderlich sind, bietet der virtuelle Klassenraum keine Lösung.
Sobald Sie dann für sich festgelegt haben, welche Inhalte Sie in virtueller synchroner Präsenz abdecken wollen, kommt es darauf an, diese auch anregend, interaktiv und kurzweilig zu gestalten. Die wichtigsten Erfolgsfaktoren dafür sind die Didaktik, die Ausnutzung der Funktionalitäten Ihres virtuellen Klassenraums und die Durchführungskompetenz der Lehrenden. Diese Faktoren werden im Folgenden näher beleuchtet:
4. Erfolgsfaktor Tool
Die Gestaltungsmöglichkeiten für Ihren Online-Unterricht werden natürlich stark durch die Software bestimmt, die Sie als virtuellen Klassenraum benutzen, wie z.B. Adobe Connect, Edudip, Yulinc etc.
Bei der Auswahl des passenden Tools sind vielfältige Aspekte zu beachten: Didaktische Möglichkeiten, Datensicherheit, Teilnehmerverwaltung, Integration in die bestehende Systemlandschaft und in Lern-Management-Systeme, Kosten, Verfügbarkeit usw.
Es folgt die Konzentration auf die didaktische Funktionalität, die ein guter virtueller Klassenraum bieten sollte:
• Audio: Die Teilnehmenden können miteinander sprechen, aber sich auch selbst stummschalten. Manche Tools erlauben das Abspielen von Musik, ein belebendes Stilmittel, um zu Beginn Schwung in die Gruppe zu bringen. Ferner kann bei Sequenzen, bei denen die Teilnehmenden kurz individuell über einzelne Aspekte reflektieren, durch Musik die Konzentration unterstützt werden.
• Video: Die Teilnehmenden können sich gegenseitig über Webcam sehen. Dabei variiert die Anzahl der gleichzeitig sichtbaren Kamerabilder von Tool zu Tool. Die soziale Nähe wird immens gestärkt, wenn man sich „von Angesicht zu Angesicht“ begegnet und so auch Mimik und Gestik Teil der Kommunikation werden können. Manche Tools ermöglichen das Abspielen von Videoclips, was den Unterricht natürlich enorm bereichern kann.
• Screensharing: Der Lehrende kann Präsentationen, Bilder, Tabellen etc. für alle Teilnehmenden sichtbar machen. Manche Tools erlauben sogar, dass auf dem geteilten Bildschirm gemeinsam gearbeitet wird.
• Chat: Parallel zu Video und Screensharing können die Teilnehmenden über die Chat-Funktion direkt Fragen stellen, Kommentare abgeben oder auf gezielte Fragen antworten. Dabei ist der große Vorteil, dass sich alle gleichzeitig am Unterrichtsgeschehen beteiligen können.
• Umfragen: Mit einfachen Abstimmungen während der Live-Online-Veranstaltungen kann auch von sehr großen Teilnehmergruppen schnell Feedback zu einzelnen Fragen eingeholt werden.
• Gesten: Einige Tools bieten auch die Möglichkeit, mit Hilfe von Icons z.B. die Hand zu heben, zu applaudieren, Zustimmung oder Ablehnung zu signalisieren und vieles mehr.
• Whiteboard: Mit Hilfe dieser Funktion können alle Teilnehmenden gleichzeitig auf einer weißen Fläche schreiben oder zeichnen. Damit können gerade in kleineren Gruppen Diskussionen sehr strukturiert geführt werden.
• Arbeitsgruppen: Einige virtuelle Klassenräume bieten auch die Möglichkeit, die Teilnehmenden in Arbeitsgruppen aufzuteilen, dort diskutieren zu lassen und dann die Ergebnisse wieder im Plenum zusammenzuführen.
Die verschiedenen virtuellen Klassenräume variieren hinsichtlich dieser Funktionalitäten. Aber selbst die allereinfachsten Tools bieten zumindest Audio, Video, Sceensharing und Chat und auch damit kann man didaktisch bereits einiges anfangen, um abwechslungsreiche virtuellen Austausch zu gestalten.
5. Erfolgsfaktor Didaktik
Mit den Funktionalitäten des virtuellen Klassenraums lassen sich dann spannende didaktische Sequenzen gestalten. Natürlich kann man damit auch die traditionellen Frontalvorlesungen mit anschließendem Fragenteil durchführen, wie man es oft bei den klassischen „Web-Seminaren“ erlebt. Es wäre jedoch schade, in den Web-Seminaren die interaktiven Möglichkeiten der Räume nicht besser zu nutzen! Denn anders als im Präsenzunterricht können hier alle Teilnehmenden gleichzeitig „sprechen“ (im Chat) oder diskutieren (auf dem elektronischen Whiteboard schreiben). Auch mit einer größeren Anzahl von Teilnehmenden ist hier ein intensiver und persönlicher Austausch in relativ kurzer Zeit gut machbar.
Grundsätzlich sollte die Dauer der einzelnen Unterrichtseinheiten jeweils auf maximal zwei Stunden begrenzt sein, länger kann man die Aufmerksamkeit der Teilnehmenden erfahrungsgemäß nicht halten. Das bedeutet, umfassende Themen, die sonst in ein- oder mehrtätigen Veranstaltungen geschult werden, in kleinere Blöcke zu zerlegen, die über mehrere Termine hinweg vermittelt werden.
Erfolgreiche Live-Online-Didaktik beginnt mit der inneren Einstellung der Lehrenden. Die Grundhaltung sollte sein: „Wenn ich schon Leute gleichzeitig zusammenhole, dann sollte es uns auch um den gegenseitigen Austausch gehen und nicht um monologartige Wissensvermittlung.“ Simple Präsentationen oder Vorträge zeichnet man am besten per Video auf und versendet sie an die Lernenden, sodass sich diese