Philipp Lahm

Der feine Unterschied


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und sogar ein Tor vorbereitet. Das Feedback, das ich kriege, ist ermunternd – ein paar Scherze in der Kabine, die Anerkennung durchklingen lassen, bedeuten mehr für mich als eine gute Note in den Medien. Ich habe schnell begriffen, dass das Lesen der Sportseiten mehr Energie kostet, als du zurückbekommst, deshalb kümmere ich mich nicht darum. Das Wichtigste kriegst du sowieso mit.

      Die Kollegen wissen jetzt, was ich draufhabe. Der Trainer hat gesehen, dass ich auch auf Bundesliganiveau gut mithalten kann. Ich denke, dass mein Ziel, Stammspieler in der Bundesliga zu werden, in greifbare Nähe gerückt ist.

      Es ist der Tag vor dem Spiel gegen Manchester United, und Felix Magath hat mir noch nicht persönlich gesagt, ob ich in der Mannschaft stehen werde. Aber er lässt mir ausrichten, dass ich mich für die Pressekonferenz bereit machen soll. Super. Denn zur Pressekonferenz geht nur, wer morgen auch spielt.

      Die Reporter wollen wissen, ob ich Angst vor dem Killerduo Ronaldo und van Nistelrooy habe. Ich bin zu nervös, um mit etwas anderem als einer Floskel zu antworten. »Respekt ja«, sage ich, »Angst nein.«

      Am Spieltag scheint Stuttgart zu vibrieren. Die Luft ist elektrisch. Unser Spiel gegen United ist in der ganzen Stadt das erste Gesprächsthema, das Gottlieb-Daimler-Stadion ist so was von ausverkauft, dass der schwäbische Kassenwart angesichts der vielen Karten, die er noch zusätzlich hätte verkaufen können, in Tränen ausbricht. Es ist viele Jahre her, seit ein Spiel in der höchsten, der aufregendsten Spielklasse in Stuttgart stattgefunden hat, und unser Gegner ist einer der großen Favoriten auf den Titel. United. Gleich werde ich den legendären Alex Ferguson Kaugummi kauend auf der Bank sitzen sehen. Bisher kannte ich ihn und sein Team nur aus dem Fernsehen.

      Wir wärmen uns auf, und die Nervosität, die mir in den Knochen steckt, verwandelt sich in eine warme, belebende Entschlossenheit. Ich bin 19, habe erst ein paar komplette Bundesligaspiele hinter mir, aber ich fühle mich angesichts der Aufgabe, die auf mich zukommt, nicht überfordert. Ich erinnere mich an meine Wortmeldung bei der Pressekonferenz und muss schmunzeln. Meine Floskel vom Respekt entpuppt sich gerade als die pure Wahrheit. Ich habe Respekt, aber dieser Respekt schwächt mich nicht, sondern schießt belebend in meine Adern ein, ich bin wach, ich bin konzentriert, ich freue mich auf das, was jetzt kommt. In meinem Kopf tauchen Bilder auf, Bilder von gewonnenen Zweikämpfen, von Spielsituationen, wie ich sie schon erlebt habe, aber auch Bilder von problematischen Situationen und wie ich sie löse. Ein Bild nimmt Gestalt an, ein Stürmer, der mit Tempo auf mich zukommt, und ich weiß instinktiv, wie ich ihm den Ball abnehme. Ich rufe das Bild ab: zwei Angreifer sind vor mir, und wieder gibt mir der prompte Einfall, was zu tun ist, Sicherheit.

      Als wir aufs Spielfeld laufen, dröhnt die Hymne der Champions League aus den Lautsprechern. 50.000 Zuschauer verwandeln Emotionen in Lärm und Rhythmus. Freude, dass heute dieses Fest stattfindet. Ungewissheit, was uns erwartet. Erwartung an Spieler, deren Namen Synonyme für großartigen Fußball sind, für Dynamik, Technik und Unterhaltung.

      Man sagt, dass ein Spieler auf dem Spielfeld gar nicht wahrnimmt, was um ihn herum stattfindet. Bei mir stimmt das nicht. Ich nehme alles wahr. Ich sehe, wie hell das Licht ist, das von den Flutlichtmasten über den Platz strömt. Ich höre das Rufen und Pfeifen einzelner Menschen. Mein Geist ist so klar, dass ich viel mehr wahrnehme, als wenn ich bloß als Zuschauer auf der Tribüne sitze. Jeder Chor, jeder Ruf, jeder Pfiff gehört jetzt mir.

      Es kann losgehen.

      Ich spiele links in der Verteidigung, mein direkter Gegner ist Cristiano Ronaldo. Cristiano ist noch jünger als ich, ein Wunderkind aus Portugal. Was er am Ball kann, ist erstaunlich, dazu verfügt er über einen harten, platzierten Schuss. Er tauscht immer wieder Position mit van Nistelrooy, der in der vorangehenden Saison Torschützenkönig in der Premier League gewesen ist.

      Erster Ballkontakt, der Ball tut, was er soll. Es ist, als würde die Ausnahmesituation auf den Tribünen das Spiel verdichten und beschleunigen. Der Gegner ist schneller, steht besser, ist aufmerksamer als alle Mannschaften, gegen die ich bis jetzt gespielt habe – was keine Überraschung für einen Spieler sein kann, der vor ein paar Monaten noch in der Regionalliga am Werk war. Aber wir halten mit. Wir sind beseelt von einer rauschhaften Leidenschaft. Jede gelungene Aktion findet ihr Echo im Publikum. Sobald wir uns dem Tor der Engländer nähern, nimmt die Elektrizität zu. Wenn wir uns ihren Angriffen in den Weg stellen und ihre Ideen vorausahnen und unterbinden, strömt Sicherheit in jeden Einzelnen von uns.

      Das Spiel ist nicht besonders gut, aber höllisch intensiv. Ich habe weder mit Ronaldo noch mit van Nistelrooy ein Problem, ich finde sogar Zeit, mich in Angriffe einzuschalten. Nach zwanzig Minuten schnappe ich mir an der Mittellinie nach einer Kopfballkerze den Ball, lasse einen Gegenspieler aussteigen und habe plötzlich Platz, gehe allein Richtung Tor, überspiele auch noch einen Verteidiger, aber der holt mich drei, vier Meter außerhalb des Strafraums mit einer Grätsche von den Beinen. Der Freistoß bringt nichts ein, aber mein Herz schlägt bis zum Hals. Es ist möglich, denke ich mir, wir können das packen, auch gegen die.

      0:0 zur Halbzeit. Der Trainer heizt uns zusätzlich auf. »Die wackeln«, sagt er. »Da geht heute was.«

      Und es geht was. Nach einem Eckball gleich nach der Pause muss Scholes auf der Linie retten. Drei Minuten später erwische ich einen Kopfball an der Mittellinie, der Ball springt weit in die Hälfte der Engländer, Imre Sabiczs startet am schnellsten, lässt Ferdinand stehen, nimmt den Ball mit und macht cool das 1:0.

      Ein Schrei, und dann diese unvergleichliche Erleichterung, wenn ein Ball im Tor liegt. Imre rennt jubelnd zur linken Eckfahne, und ich sprinte nach, muss unbedingt auf den Haufen der Spieler in den weißen Trikots hinaufspringen, der sich dort auf dem Rasen wälzt.

      Es ist – schon wieder eine Floskel – Gänsehautstimmung pur. Natürlich hat keiner von uns eine Gänsehaut, aber der Moment, in dem so ein Tor gelingt, hat aller Dynamik zum Trotz etwas Feierliches, Pathetisches. Es ist der Moment, in dem du weißt, warum du Fußball spielst. Warum du schon in der Jugend sechs Mal pro Woche auf dem Platz gestanden hast, während deine Freunde beim Schwimmen waren. Es sind die Momente, in denen die Stammhirnrinde Endorphine und Glückshormone ausschüttet. Wir sind high. Wir haben zehn, zwanzig Sekunden Zeit für dieses kollektive Glück, Sekunden, die mit Glückwünschen, Abklatschen, Schulterdrücken vergehen, dann trotten wir wieder zurück in unsere Hälfte, aufgeladen von noch mehr Energie, noch mehr Spannung, bereit, den Gegner zu fressen.

      Zwei Minuten später spielen wir einen Ball schnell aus der Verteidigung nach vorne, Soldo schickt Szabics, der spielt sofort weiter zu Kurányi, Kevin hebt den Ball über den Keeper von Manchester, und von der Innenseite der Querlatte tropft der Ball ins Tor.

      Es steht 2:0. Weihnachten!

      Jetzt bloß nicht nachlassen.

      Manchester kann das Tempo nicht steigern. Das Spiel findet hauptsächlich im Niemandsland des Mittelfelds statt. Erst als nach einem Eckball Cristiano Ronaldo umfällt und der Schiedsrichter auf Elfmeter entscheidet, wird es noch einmal eng. Van Nistelrooy haut den Elfer mit dem ganzen Selbstvertrauen des Stürmers, der gewohnheitsmäßig trifft, unter die Querlatte. Er holt den Ball aus dem Netz und trägt ihn zurück zum Mittelpunkt, um seinen Kameraden zu zeigen, hey, gebt Gas, wir sind wieder dran.

      Aber das war es dann schon. Wir verteidigen hinten so entschlossen wie die Schweizer das Bankgeheimnis. Ein paar Minuten später holt mich der Trainer runter. Ich bin platt, und er hat es gesehen. Zwei durchgespielte Bundesligapartien und das Spiel heute haben mich auch physisch an meine Grenzen gebracht.

      Magath gibt mir einen Klaps, sagt »Super, Philipp«, und ich wäre bestimmt happy und stolz gewesen, wenn wir das Spiel schon gewonnen gehabt hätten, aber es fehlen noch fast zwanzig Minuten.

      Verrückt: Als ich in meinen Trainingsanzug geschlüpft bin und auf der Bank sitze, spüre ich plötzlich die ganze Nervosität, die mein Gehirn auf dem Spielfeld in Energie umgewandelt hat. Ich spüre das Tempo, das ich gegangen bin, den Stress, der nicht zu vergleichen gewesen ist mit irgendeinem anderen Spiel, das ich je zuvor gemacht habe. Weit hinten im Kopf und unten in den Beinen machen sich Müdigkeit und Anstrengung bemerkbar, aber meine Aufmerksamkeit ist auf dem Platz geblieben, wo Manchester United jetzt den Ausgleich schaffen will und ich nichts mehr dagegensetzen kann.