merkwürdig vorkam, vor allem meinen linken Genossen in der Regierung, passte sie sehr gut in ein größeres Muster. In den trostlosen Jahren von 2010 bis heute war ich immer wieder verblüfft, dass ich, der stolze Linke, Unterstützung von allen möglichen Rechten erhielt: von Bankern der Wall Street und der City of London, von rechten deutschen Ökonomen, sogar von amerikanischen Libertären. Um nur ein Beispiel zu geben, wie seltsam die Dinge laufen können: An einem einzigen Tag Ende 2011 sprach ich vor drei ziemlich unterschiedlichen Versammlungen in New York City – einmal vor Occupy Wall Street, einmal bei der New Yorker Federal Reserve und dann noch vor Hedgefonds-Managern und Bankenvertretern. Allen erzählte ich das Gleiche über die Krise Europas, und aus allen drei Lagern eingeschworener Feinde erhielt ich die gleiche Zustimmung.
Was den echten Libertären, den sich langsam erholenden Bankern der Wall Street und den angelsächsischen Rechten an meinen ansonsten linken Positionen gefiel, war genau das, was das griechische und das europäische Establishment verabscheuten: meine klare Ablehnung immer neuer, nicht nachhaltiger Kredite, die einen Bankrott als Liquiditätsproblem verschleierten. In der Wolle gefärbte Marktwirtschaftler sind allergisch gegen Wohltaten, die die Steuerzahler finanzieren. Sie lehnen aus ganzem Herzen meine Ansichten ab, wie wichtig in Phasen einer Rezession substanzielle öffentliche Investitionen sind und zu jeder Zeit Besteuerungsgrundlagen, die für mehr Einkommensgerechtigkeit sorgen. Aber wir stimmen darin überein, dass es eine entsetzliche Verschwendung von Ressourcen und der sichere Weg ins Massenelend ist, durch vom Steuerzahler finanzierte Kredite einen Bankrott immer weiter zu verschleppen. Vor allem anderen verstehen Libertäre, was Schulden bedeuten. Deshalb durchschauten wir übereinstimmend die menschenverachtende Täuschung hinter dem Griechenland-Programm, zu dem Christine Lagarde mich vier Jahre später drängte.
Der offiziellen Erklärung, wie das Programm des Establishments Griechenland im Jahr 2015 wieder auf die Beine helfen sollte, könnte man die Überschrift geben: »Operation Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit«. Die grundlegende Idee war folgende: Griechenland hat den Euro und kann deshalb nicht durch die Abwertung seiner Währung Investitionen von außen anlocken, das heißt die übliche Strategie anwenden, um international wieder wettbewerbsfähig zu werden. Aber es kann das gleiche Ergebnis durch eine innere Abwertung als Folge einer strikten Sparpolitik erreichen. Wie soll das gehen? Drastische Kürzungen bei den Staatsausgaben werden Preise und Löhne sinken lassen. Griechisches Olivenöl, Hotels auf Mykonos und die Frachtgebühren griechischer Schiffe werden für deutsche, französische und chinesische Kunden sehr viel billiger werden. Wenn Griechenlands Wettbewerbsfähigkeit auf diese Weise wiederhergestellt ist, werden die Exporte und der Tourismus anziehen. Die Investoren beobachten diese wundersame Verwandlung, strömen herbei und stabilisieren so die Wirtschaft. Bald kehrt das Wachstum zurück, und die Einkommen steigen. Mission erfüllt.
Das hätte eine überzeugende Argumentation sein können, hätte sie nicht das Offensichtliche geleugnet, wie die Libertären wohl wussten: Kein Investor, der bei Verstand ist, wird in einem Land investieren, dessen Staat, Banken, Unternehmen und Haushalte allesamt insolvent sind. Während die Preise, Löhne und Einkommen zurückgehen, werden die Schulden, die der Insolvenz zugrunde liegen, nicht sinken, sondern weiter steigen. Das Einkommen zu reduzieren und neue Schulden zu machen, beschleunigt den Prozess noch. Genau das passierte in Griechenland ab 2010.
Im Jahr 2010 schuldete der griechische Staat für je 100 Euro Pro-Kopf-Einkommen ausländischen Banken 146 Euro. Ein Jahr später, 2011, war das Pro-Kopf-Einkommen gegenüber 2010 auf 91 Euro gesunken und 2012 auf 79 Euro. Unterdessen flossen die offiziellen Kredite der europäischen Steuerzahler herein, bevor sie an die französischen und deutschen Banken weitergeleitet wurden, und dadurch stieg die Staatsverschuldung von 146 Euro pro Kopf im Jahr 2010 auf 156 Euro pro Kopf in 2011. Selbst wenn sämtliche griechischen Steuersünder sich über Nacht bekehrt und wir alle uns in eine Nation sparsamer presbyterianischer Schotten verwandelt hätten, wären unsere Einkommen zu gering und unsere Schulden zu hoch gewesen, um den Bankrott abzuwenden. Die Investoren durchschauten das und wollten griechische Investitionsprojekte nicht einmal mit der Kneifzange anfassen. Der Nebeneffekt war eine humanitäre Krise, die schließlich Menschen wie mich in die Regierung brachte.
Als ich dort war, erwiesen sich amerikanische Libertäre und britische Marktwirtschaftler angesichts der Dauerkrise der internationalen Linken als meine effizientesten Unterstützer. Interessanterweise trieb sie ihre ideologisch begründete, quasi darwinistische Verpflichtung, Verlierer am Markt untergehen zu lassen, auf meine Seite. Sie wussten um die Gefahren von zu viel Kredit und wiederholten ihr Mantra: »Jedem verantwortungslosen Kreditnehmer steht ein verantwortungsloser Kreditgeber gegenüber.« Das brachte sie zu der Schlussfolgerung, dass faule Kredite das Problem der unverantwortlichen Kreditgeber sein sollten, nicht der Steuerzahler. Die unverantwortlichen Kreditnehmer sollten auch einen Preis für ihre Verantwortungslosigkeit zahlen, und der sollte hauptsächlich darin bestehen, dass sie so lange keinen Kredit mehr bekommen würden, bis sie ihre Vertrauenswürdigkeit wieder bewiesen hätten.
Auf der schwarzen Liste
In den Jahren 2010 und 2011 hatte es den Anschein, als wäre ich jeden zweiten Tag im Radio oder Fernsehen und würde die Regierung beschwören, der Realität ins Auge zu blicken und die düstere Tatsache zu akzeptieren, dass unsere Staatsschulden restrukturiert werden mussten. Dieser Vorschlag war nicht radikal oder sonderlich links. Banken schulden jeden Tag die Schulden von Unternehmen um, die in Schwierigkeiten geraten sind, nicht aus Menschenfreundlichkeit, sondern aus wohlverstandenem Eigeninteresse. Aber das Problem war, dass wir es nicht mehr mit Banken zu tun hatten, seit wir das Rettungsprogramm von EU und IWF akzeptiert hatten. Wir hatten es mit Politikern aus ganz Europa zu tun, die ihre Parlamente angelogen hatten, um sie dazu zu bringen, dass sie den Banken die griechischen Schulden abnahmen. Bei einer Umschuldung müssten sie erneut vor ihre Parlamente treten und ihre frühere Sünde bekennen, und das würden sie aus Angst vor den Folgen niemals tun. Der einzige Ausweg bestand darin, mit der Täuschung weiterzumachen und dem griechischen Staat einen weiteren Haufen Geld zu geben, damit er so tun konnte, als würde er seinen Zahlungsverpflichtungen gegenüber der EU und dem IWF nachkommen: ein zweites Rettungspaket.
Ich war entschlossen, ihnen dieses Spiel zu verderben: Von jedem Dach, das ich erklimmen konnte, wollte ich verkünden, dass es unsere schlimmste Option war, weitere Kredite anzunehmen. Ich probierte verschiedene Metaphern aus. »Es ist, als würden Sie eine Kreditkarte nehmen«, sagte ich einmal im Fernsehen, »um Raten für eine Hypothek zu bezahlen, die Sie nicht bezahlen können, weil Ihr Lohn gesunken ist. Es ist ein Verbrechen gegen die Logik. Sagen Sie einfach Nein. Die Zwangsversteigerung des Hauses ist schrecklich, aber ewige Schuldknechtschaft ist noch viel schrecklicher.«
Eines Abends, als ich von einem weiteren Auftritt bei ERT, der öffentlich-rechtlichen Radio- und Fernsehanstalt Griechenlands, in unsere Wohnung zurückkehrte, klingelte das Telefon. Ich nahm den Hörer ab, und es meldete sich eine vertraute Stimme. Sie gehörte Antonis Samaras, damals Vorsitzender der konservativen Nea Dimokratia, der griechischen Oppositionspartei, der Mann, an dessen Niederlage bei der Wahl vier Jahre später, im Januar 2015, ich mitwirkte.
»Wir sind uns noch nicht begegnet, Herr Varoufakis«, sagte er, »aber ich habe Sie gerade auf ERT gesehen und musste Sie einfach anrufen. Ich kann mich nicht erinnern, wann mich etwas, das jemand im Fernsehen gesagt hat, so bewegt hat. Danke für Ihre Haltung.«
Antonis Samaras war nicht das einzige Mitglied des griechischen Establishments, das sich an mich wandte. In meinem Wahlkampf führte ich viele geheime Gespräche mit sozialistischen Ministern, konservativen Abgeordneten der Opposition, Gewerkschaftsvorsitzenden und anderen, die fanden, dass ich einer großen Sache auf der Spur war. Wenn ich die Grundzüge meiner Analyse dargelegt hatte, bestritt sie niemand. Die Sozialisten argumentierten wie verschüchterte Offiziere, die wissen, dass das Schiff auf die Felsen zusteuert, aber Angst haben, den Kapitän, der sich in Sicherheit wiegt, darüber aufzuklären. Die Konservativen waren zumindest bis November 2011 in einer besseren Position: Ihr Vorsitzender Antonis Samaras lehnte die Sparpolitik und die Rettungspakete ab, deshalb konnten sie meinen Gedankengängen eher etwas abgewinnen.
Wenige Tage später bereitete ich mich in einem Studio von ERT auf einen weiteren Auftritt in der Hauptnachrichtensendung vor. Der Chef der Sendeanstalt