Wirtschaftsdrama kommentieren würde. »Der Regierung wird es nicht gefallen, aber Ihre Ansichten sind wichtig und verdienen es, gesendet zu werden«, hatte er entschieden erklärt. Geschmeichelt und auch erfreut, dass der Leiter des staatlichen Fernsehens ein solches Bekenntnis zum Pluralismus ablegte, obwohl die Regierung meine Kommentare strikt ablehnte, hatte ich eingewilligt, darüber nachzudenken.
An dem Abend rief mich der Leiter zehn Minuten vor Beginn der Sendung zu einem kurzen Plausch in sein Büro. Ihm gegenüber saß die wichtigste Nachrichtenmoderatorin, eine Journalistin, die seit zwei Jahrzehnten der Liebling des PASOK-Establishments war, bekannt für ihr blondierten Haare, ihre blauen Augen, die betörende Stimme und ihre Flirts mit Gesprächspartnern. Der Leiter erinnerte mich daran, dass er mich gerne regelmäßig im Fernsehen haben wollte, die Journalistin stimmte begeistert zu. Kurz bevor wir uns auf den Weg zum Studio machten, brachte sie unter seinen wachsamen Augen noch eine Warnung an: »Ich weiß, dass Ihnen das am Herzen liegt, aber bitte erwähnen Sie heute Abend das Wort Umschuldung nicht. Dann wäre es schwer, Sie auf Sendung zu halten. Die Regierung rastet aus, wenn Sie das Wort hört.«
Ich lächelte und ging weiter. Im Studio las sie die Schlagzeilen vor und wandte sich dann in ihrer üblichen direkten Art mir zu: »Herr Varoufakis, die Regierung sagt uns, das Programm werde Erfolg haben. Aber wir hören auch andere Meinungen. Was sagen Sie dazu?«
»Ohne Umschuldung hat kein Programm Aussicht auf Erfolg, nicht nur dieses.« Unter ihrem dicken Make-up glaubte ich ein ganz leichtes Zucken wahrzunehmen.
Nach der Sendung ging ich direkt zum Parkplatz, setzte mich auf mein Motorrad und fuhr nach Hause, in der sicheren Überzeugung, dass ich nie wieder in eine Sendung der staatlichen Rundfunkanstalt eingeladen werden würde. Tatsächlich wurde ich auf Anweisung des Presseministers (allein dieser Titel erfüllt das Herz jedes Liberalen mit Unbehagen) inoffiziell auf eine schwarze Liste gesetzt.16 Vier Jahre später führte die gleiche Sünde – dass ich auf einer Umschuldung beharrte – dazu, dass die politischen Spitzen Europas meine Absetzung als griechischer Finanzminister und Mitglied der Eurogruppe verlangten. Wer sagt, dass das europäische Establishment nicht in sich konsistent ist?
Meine Verbannung von ERT im Jahr 2011 war meine erste Begegnung mit dem inkompetenten autoritären Gebaren, mit dem die Europäische Union auf die Krise der Eurozone reagierte. Denn auf die Krise reagierten sie in erster Linie moralisierend. Austerität ist eine schreckliche Wirtschaftspolitik und, wie ich weiter oben erklärt habe, in schwierigen Zeiten zum Scheitern verurteilt. Tatsächlich ist Austerität gar keine richtige Wirtschaftspolitik. Austerität ist ein Spiel mit Moral, das dazu dient, in Zeiten der Krise zynische Transfers von den Habenichtsen zu den Vermögenden zu legitimieren. In diesem Spiel sind die Schuldner Sünder, die für ihre Missetaten bezahlen müssen. Die Troika gab sich nicht damit zufrieden, dass die Griechen, die Spanier und ihre eigenen Leute sich ihrer Autorität unterwarfen, nein, sie verlangte auch noch, dass die europäischen Schwächlinge, darunter auch viele Deutsche, die gegen die Armut kämpften, die Schuld und die Verantwortung für die Krise auf sich nehmen sollten.
Der deutsche Finanzminister Dr. Wolfgang Schäuble sagte einmal zu mir, mit meiner Ablehnung der Sparpolitik gehöre ich zu einer Minderheit in Europa, und dann zitierte er Meinungsumfragen, in denen sich eine Mehrheit für Einschnitte bei den Staatsausgaben ausgesprochen hatte. Ich erwiderte, selbst wenn das stimmen sollte, könne sich eine Mehrheit in Europa über die Ursachen ihrer misslichen Lage täuschen. Als im 14. Jahrhundert die Pest wütete, hätten viele Europäer geglaubt, sie werde durch einen sündigen Lebenswandel verursacht und könne durch Aderlässe und Selbstgeißelung geheilt werden. Und als Aderlass und Selbstgeißelung nicht funktionierten, habe man das als Beweis genommen, dass die Menschen ihre Sünden nicht wirklich ehrlich bereuten, dass noch nicht genug Blut geflossen, die Selbstgeißelung nicht enthusiastisch genug ausgeführt worden sei – genau wie heute das katastrophale Scheitern der Austerität als Beweis angesehen werde, dass sie zu halbherzig praktiziert worden sei.
Falls Wolfgang Schäuble amüsiert war, ließ er es sich nicht anmerken. Aber das ist der entscheidende Punkt: Ohne die moralische Einkleidung zeigt sich die Austerität als das, was sie ist: eine gescheiterte Wirtschaftspolitik, die auf unethischem Moralisieren gründet. Das Establishment fand mich empörend, weil ich einigen Erfolg damit hatte, das Problem mit kalter Logik anzugehen und so die Moral aus der Debatte über die griechischen Schulden herauszunehmen – indem ich Argumente einsetzte, die die Kluft zwischen der Linken und der Rechten überwanden und Teile von beiden überzeugten.
Deshalb hätten sie mich am liebsten, wenn sie es gekonnt hätten, nicht nur bei ERT auf die schwarze Liste gesetzt, sondern von jedem öffentlichen Podium auf dem ganzen Kontinent verbannt.
Platz der Hoffnung
Während das griechische Staatsfernsehen mich ächtete, weil ich weiter für eine Umschuldung kämpfte, arbeitete der IWF genau darauf hin. Die deutsche Regierung wollte davon nichts wissen, aber der IWF war immer verärgerter über den Schlamassel, in den die Europäer ihn hineingezogen hatten, und drängte auf eine Umschuldung. Um den IWF bei Laune zu halten, konsultierte der damalige griechische Finanzminister halbherzig Umschuldungsexperten in Washington, obwohl er entschlossen war, sich Berlins Wünschen zu fügen.17 Unterdessen gelangten Berlin und Paris zu dem Schluss, dass Griechenland einen neuen Rettungskredit, einen Schuldenschnitt und eine neue Regierung brauchte.
Ihr Gedankengang war ganz einfach: Der erste Rettungskredit war fast vollständig dafür draufgegangen, die französischen und deutschen Banken zu stützen. Der griechische Staat würde bald mehr Geld brauchen – viel mehr Geld –, um weiter den Anschein zu wahren, solvent zu sein. Aber so wie Sie Ihre Gesamtverschuldung erhöhen, wenn Sie die Hypothekenraten mit Ihrer Kreditkarte bezahlen, hätte die bereits schäumenden Parlamentarier in Europa angesichts der Gesamtsumme, die im Rahmen des zweiten Rettungspakets 2012 an Athen fließen sollte, kollektiv der Schlag getroffen, wäre damit nicht irgendeine Form von Schuldenschnitt verbunden worden. Der französische Staatspräsident Sarkozy und Bundeskanzlerin Merkel akzeptierten einen Schuldenschnitt für Griechenland unter der Bedingung, dass er nur die Gläubiger treffen würde, die ihnen nicht wirklich schaden konnten. Im Sommer 2011 war es entschieden: Der Haircut würde hauptsächlich die griechischen Pensionsfonds treffen, halb öffentliche griechische Institutionen und die griechischen Sparer, die Staatsanleihen gekauft hatten. Die Kredite hingegen, die der IWF und die europäischen Institutionen 2010 vergeben hatten, würden selbstverständlich unangetastet bleiben.18
Dass dies das Ende der jämmerlichen Regierung Papandreou bedeuten würde, die das erste Rettungspaket durch das Parlament gebracht hatte, galt als akzeptabler Preis. Schließlich hatten Ministerpräsident Papandreou, sein Finanzminister und das ganze griechische Establishment den Segen des Parlaments für das erste Rettungspaket nur bekommen, indem sie wiederholt beteuerten, es werde den griechischen Karren aus dem Dreck ziehen, eine Umschuldung sei weder nötig noch erwünscht, und jeder, der etwas anderes behaupte, verdiene es, geteert und gefedert zu werden – oder zumindest nach der Sitte des alten Athen in einem Scherbengericht geächtet zu werden. Wie hätte dieselbe Regierung nicht einmal zwei Jahre später eine Umschuldung plus einen noch größeren Kredit als den ersten durch das erschöpfte und gedemütigte Parlament peitschen können? Ihr Ende war besiegelt.
Die Machtlosigkeit der Regierung Papandreou war nicht nur im Parlament offensichtlich, sondern noch mehr davor, auf dem Syntagma-Platz. Syntagma heißt »Verfassung«, der Name des Platzes geht zurück auf eine Erhebung gegen den in Bayern geborenen König Otto im Jahr 1843. Damals trotzten die Rebellen ihrem ausländischen Herrscher eine geschriebene Verfassung ab. Der Platz liegt zwischen dem Parlamentsgebäude auf der einen Seite, dem ehemaligen Palast von König Otto, und einem hässlichen Betonblock aus den 1970er-Jahren auf der anderen Seite, der das Finanzministerium beherbergt. Von manchen Stellen des Platzes aus kann man die Akropolis sehen, eine Erinnerung an vergangenen Glanz und an die Idee, dass es auf den demos (das Volk) ankommt. Seit 1843, als König Otto in die Knie gezwungen wurde, begannen fast alle Demonstrationszüge und Kundgebungen auf dem Syntagma-Platz, direkt vor dem Parlament. Dort schloss ich mich Anfang der 1970er-Jahre wie Millionen andere Griechen meiner Generation den ersten Demonstrationen an, lernte Tränengas kennen und machte meine