Yanis Varoufakis

Die ganze Geschichte


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zustimmend. Dragasakis, der sehr müde aussah, lächelte schwach und bat mich, ihn auf dem Laufenden zu halten. Ich versprach es.

      Chronik eines angekündigten Hinterhalts

      Nach jenem Tag spät im November 2014 legte die Zeit den Schnellgang ein. Danae und ich begannen sofort mit der Planung unseres Umzugs zurück nach Athen Ende Januar, rechtzeitig für einen möglichen Wahltermin im März. Doch Ministerpräsident Samaras hatte einen anderen Plan.

      Am 8. Dezember kündigte er an, dass er die Präsidentschaftswahl vorziehen werde. Der erste – rein formale – Wahlgang sollte neun Tage später stattfinden, am 17. Dezember, der zweite, ebenfalls formale, Wahlgang am 22. Dezember und der dritte – entscheidende – am 27. Dezember.15 Als ich die Nachrichten hörte, dachte ich, er müsse einen Weg gefunden haben, um zwei weitere Jahre an der Regierung bleiben zu können. Warum sonst sollte er eine Wahl vorziehen, die seine Amtszeit um zwei ganze Monate verkürzen konnte?

      Am nächsten Tag überprüfte ich meine Theorie. Am 9. Dezember beantragte der griechische Finanzminister bei der Eurogruppe eine Verlängerung der zweiten Rettungsvereinbarung, die am 31. Dezember 2014 auslaufen sollte, um zwei Monate. Warum nur zwei Monate, während die Troika doch eine Verlängerung um sechs Monate vorgeschlagen hatte? Wenn Samaras damit rechnete, weitere zwei Jahre im Amt zu bleiben, hätte er sicher mindestens sechs Monate haben wollen, bevor er dem Parlament einen dritten Rettungskredit vorlegte, den die Politik der Troika erforderlich machen würde. Warum verkürzte er die Zeit so sehr? Mir fiel nur eine Erklärung ein: Er verkürzte die Zeit nicht für sich, sondern für uns.

      Ich rief aus Austin Pappas und Alexis an und erzählte ihnen, was ich vermutete. Samaras wusste, dass er sich nicht halten konnte, er hatte sich damit abgefunden, dass Ende Januar Wahlen stattfinden würden, die er verlieren würde, aber er rechnete damit, dass die Troika mit dem Auslaufen der Rettungsvereinbarung, nach der Verlängerung am 28. Februar 2015, die griechischen Banken schließen würde. Das wäre dann das Ende der gerade seit vier Wochen amtierenden Syriza-Regierung. Und damit wäre der Weg frei, dass eine technokratische Administration wie die von 2012 eine dritte Rettungsvereinbarung schließen und er selbst im Triumphzug in die Villa Maximos zurückkehren könnte. Unter uns bezeichneten wir das als Samaras’ Plan für ein »linkes Zwischenspiel«.

      Zwei Entwicklungen bestätigten unsere Theorie. Erstens verbreiteten Samaras und seine Minister in Reaktion auf die Meinungsumfragen, die einen Sieg von Syriza voraussagten, dass am Morgen nach dem Sieg die Banken geschlossen würden. Damit rief die amtierende Regierung praktisch zu einem Bankensturm auf. Am 15. Dezember sagte Stournaras, bis Juni Samaras’ Finanzminister, inzwischen Leiter der Zentralbank des Landes, in einer offiziellen Rede folgenden Satz, der in der Geschichte der Zentralbanken einmalig ist:

      Im Rahmen meiner Pflichten als Gouverneur der Bank von Griechenland und in meiner Eigenschaft als Mitglied des Rats der Europäischen Zentralbank muss ich feststellen, dass sich die Krise der letzten Tage zuspitzt, dass die Liquidität auf den Märkten rasch abnimmt und nicht nur das Risiko besteht, dass das kürzlich begonnene Wirtschaftswachstum wieder zurückgeht, sondern auch, dass die griechische Volkswirtschaft insgesamt irreparabel Schaden nimmt.16

      Nie zuvor hatte ein Zentralbanker so eklatant sein Mandat verletzt, für finanzielle Stabilität zu sorgen. Die Zentralbanken wurden geschaffen, um in Zeiten schrumpfender Liquidität einen Bankensturm zu verhindern, indem sie den Märkten versicherten, dass ausreichend Liquidität vorhanden sein würde. Mit diesem Satz hatte Stournaras das Gegenteil getan: Er hatte den von der amtierenden Regierung ausgelösten Bankensturm beschleunigt, um eine künftige Syriza-Regierung zu destabilisieren.

      Am 20. Dezember brachte die Regierung Samaras die zweimonatige Verlängerung der Vereinbarung über das zweite Rettungspaket durch das Parlament und meißelte damit den 28. Februar als den Tag in Stein, an dem die Banken schließen würden, wenn keine neue Vereinbarung mit EU und IWF zustande kommen sollte. Eine Woche später scheiterte der Präsidentschaftskandidat von Ministerpräsident Samaras. Für den 25. Januar 2015 wurden Neuwahlen angesetzt. Die Würfel waren gefallen. Ich musste schnellstmöglich nach Athen zurückkehren, um den ersten Wahlkampf meines Lebens zu führen in einem Land, in dem ich seit drei Jahren nicht mehr lebte.

      Während ich all das von Austin aus beobachtete, erkannte ich ganz klar den Hinterhalt, der mich erwartete. Es war keine Überraschung. Und doch gibt es Zeiten im Leben, da erfüllt es das Herz mit Traurigkeit, wenn eine Boshaftigkeit, obgleich erwartet, tatsächlich eintritt. Ein alter Witz fiel mir ein: Zwei Golfer erzählen sich ihre Lebensgeschichten, während sie von einem Loch zum nächsten wandern. Der erste gesteht, dass er sein Vermögen gemacht hat, als seine Fabrik abbrannte und er die Versicherungssumme kassierte. Der zweite Golfer bekennt, dass er zu seinem Geld kam, als eine Flutwelle sein Unternehmen vernichtete und er einen hübschen Scheck von der Versicherung erhielt. Der erste Golfer schaut ihn verblüfft an: »Aber wie hast du das mit der Flut gemacht?«

      Ministerpräsident Samaras und Zentralbankchef Stournaras hatten bei uns zu Hause Feuer gelegt in Form eines Bankensturms, und wir würden das Feuer löschen müssen, während wir gleichzeitig mit mächtigen ausländischen Gläubigern verhandeln mussten, die ihr Geld eigentlich gar nicht zurückhaben wollten. Unterdessen würden unsere Zentralbank, die Europäische Zentralbank, die griechische Oligarchie und die Medien Öl ins Feuer gießen. Unser einziger Verbündeter gegen eine solche Allianz würde ein geschlagener, deprimierter, aber hoffentlich entschlossener demos sein.

      Wahrheit ohne Angst

      Seit Griechenland in dem Käfig der nicht rückzahlbaren Schulden steckte, hatte man mich als Narr hingestellt. Das Establishment nannte mich so, weil ich mich weigerte anzuerkennen, dass ein Nein zu ihren Rettungspaketen den Ausschluss aus dem Euro bedeutete. In einer Demonstration von anrührender Überparteilichkeit bezeichneten mich viele Linke aus exakt dem gleichen Grund ebenfalls als Narr: Für sie war mein Ziel, Griechenland innerhalb der Eurozone zu emanzipieren, ein Hirngespinst.

      Dieser unwahrscheinliche Konsens über Parteigrenzen hinweg signalisierte den Griechen, dass sie vor einer einfachen Wahl standen: entweder weiter schweigend im Schuldgefängnis leiden, um die letzten Euros zu behalten, die sie noch in der Tasche hatten, oder die Eurozone verlassen, möglicherweise auch die Europäische Union. Die Troika und ihre Anhänger in Griechenland, die griechische Kommunistische Partei und die Mitglieder der Linken Plattform von Syriza waren sich zwar uneins, welche der beiden Optionen vorzuziehen war, aber in einem Punkt stimmten sie überein: Varoufakis ist bestenfalls ein nützlicher Idiot, der Griechenlands rebellische Volksmassen in eine schreckliche Niederlage führen wird (die beharrliche Behauptung der Linken), und schlimmstenfalls ein gefährlicher Narzisst, möglicherweise ein Agent satanischer Kräfte, der zusammen mit George Soros und anderen amerikanisch-jüdischen Feinden des Euro Europa destabilisieren möchte (die Behauptung des Establishments). Diese beiden Denkschulen schafften das Unmögliche: ein und dieselbe Person zugleich als Feind von Griechenlands Platz in Europa und als Handlanger Brüssels hinzustellen.

      Weil ich mir der realen Gefahren bewusst war, die dieser mächtige Konsens heraufbeschwor, schrieb ich Anfang 2014 ein Buch mit dem Titel Die Entstehung von Bailout-Griechenland, das nur auf Griechisch erschien. Darin formulierte ich noch einmal das Argument, das ich seit Jahren wiederholte: Griechenland durfte nicht den Grexit anstreben, sondern sollte sich um eine praktikable Vereinbarung bemühen, die seinen Verbleib in der Eurozone sicherte. Eine solche Vereinbarung war möglich, aber keinesfalls sicher, sofern wir uns nicht durch die Drohung mit einem erzwungenen Grexit einschüchtern ließen.

      Eine Woche vor der Parlamentswahl am 25. Januar 2015 präsentierte ich das Buch im Megaro Musikis, der Athener Musikhalle, vor Hunderten Menschen vor Ort und weiteren zweihunderttausend, die die Veranstaltung per Videostream im Internet verfolgten. Das sollte meine einzige Wahlkampfveranstaltung sein, deshalb nutzte ich sie, um den Wählern meine Verhandlungsziele und meine Strategie darzulegen, genau wie ich es bei Alexis, Pappas und Dragasakis getan hatte. Ich schloss mit folgenden Worten:

      Wir können nur eine Schlussfolgerung ziehen: dass es sinnlos ist, mit der EU und dem IWF zu verhandeln, wenn wir die Kapitulation