Laura Markham

Gelassene Eltern – glückliche Geschwister


Скачать книгу

      Ganz gleich, ob Ihre Kinder ganz klein, Vorschulkinder oder ältere Kinder sind, Sie können ihnen beibringen, wie sie es schaffen, sich zu verstehen. Sie können eine Familienkultur schaffen, die geprägt ist von gegenseitiger Unterstützung und Respekt. Viel wichtiger noch, Sie sind in der Lage, jedem Kind bei den Gefühlen zu helfen, die Feindseligkeit gegenüber dem Geschwisterkind hervorrufen. Und Sie können die Verbundenheit mit jedem Kind festigen, damit es sich sicher genug fühlt, um diese Emotionen zu verarbeiten und so niemals das Gefühl bekommt, dass Sie das Geschwisterkind mehr lieben. All dies beginnt mit Ihrer Fähigkeit, Ihre eigenen Gefühle zu regulieren und Wege zu finden, wie Sie mit jedem Kind in Kontakt kommen.

      Befürchten Sie, dass der Schaden bereits angerichtet ist? Es ist niemals zu spät. Was zählt ist, dass Sie sich eingestehen, dass Sie mit der Situation nicht zufrieden sind und dass Sie sich vornehmen einzuschreiten, um die Dinge zu verbessern. Ihr Kind zu maßregeln, damit es sich der Schwester oder dem Bruder gegenüber besser verhält, wird nicht funktionieren. Auch Scham, Schuld oder Bestrafung führen nicht zum Ziel – weder beim Kind noch bei Ihnen. Wenn Sie allerdings Ihre eigenen Handlungen ändern, um die Bedürfnisse des Kindes zu erfüllen und ihm mit seinen Emotionen helfen, haben Sie Erfolg. Ist das viel Arbeit? Ja, es ist enorm viel Arbeit. Ist es das wert? Lesen Sie, was diese Mutter zu berichten hat:

      Als Gerald geboren wurde, war es sehr schwer mit Daniel – es ging so weit, dass ich ihm nicht einmal den Rücken zukehren konnte, ohne dass er den kleinen Bruder schlug. Zu der Zeit halfen wir uns mit Auszeiten etc., wobei wir ihn oftmals in ein anderes Zimmer trugen und er dabei um sich schlug und schrie – ich fühle mich heute so schuldig dafür! Ich habe mich oft aufgeregt und ihn angeschrien, wenn er seinen Bruder schlug und Wutanfälle hatte. Ich mache mir wirklich Sorgen, dass dieses eine Jahr, in dem ich mich so über ihn aufgeregt habe, einen bleibenden Schaden hinterlassen hat.

      Die gleiche Mutter, zwei Jahre später:

      Ich habe sehr, sehr hart daran gearbeitet, dass wir uns gegenseitig respektvoll und anständig behandeln – so, wie wir selber behandelt werden möchten. Ich lobe sie regelmäßig dafür, dass sie nett zueinander sind, und ermutige sie, kleine Gefälligkeiten füreinander zu tun. Zum Beispiel beschließt der drei Jahre alte Gerald, dass er seinen Lkw mitnehmen möchte, als wir schon fast aus der Haustür sind. Der fünf Jahre alte Daniel rennt nach oben ins Zimmer, um ihn zu holen. Ich singe ein Loblied für Daniel und tanze einen »Bester-großer-Bruder«-Tanz. Wir ermutigen sie, sich zu umarmen und zu küssen und rücksichtsvoll miteinander umzugehen. Grundsätzlich lenken wir die Aufmerksamkeit einfach darauf, wie toll es ist, einen Bruder und Spielgefährten zu haben … und dass wir alle Teil dieser Familie sind.

      Gerald und Daniel können sich glücklich schätzen, so eine Mutter zu haben, die nie aufgegeben oder ihrer Frustration und Hoffnungslosigkeit nachgegeben hat. Stattdessen hat sie sich an die Arbeit gemacht, jeden einzelnen Tag. Sie hat es geschafft, ihre Gefühle zu regulieren. Sie hat ihren Jungs mit ihren starken Emotionen geholfen. Sie hat die individuellen Bedürfnisse der beiden erfüllt. Sie hat eine Familienkultur der Wertschätzung und Unterstützung etabliert. Und sie zieht Söhne groß, die ein Leben lang Freunde sein werden.

      Und das können Sie auch.

      Mein erstes Buch, Gelassene Eltern – zufriedene Kinder: Wie Sie liebevoll bleiben, statt zu schreien, zu schimpfen oder zu drohen beschreibt, wie man die starken Emotionen, die über einen kommen, bemerkt, wie man sich wieder beruhigt, mit seinem Kind in Kontakt kommt und sein Kind emotional so unterstützt, dass es Selbstdisziplin entwickelt und kooperieren will, ohne dass es bestraft werden muss. In dem vorliegenden Buch erfahren Sie, wie Sie diese Methoden bei der Erziehung von ­Geschwisterkindern anwenden. Es würde den Rahmen sprengen, wenn ich hier die Grundlagen der Erziehung, die in Gelassene Eltern – zufriedene Kinder im Detail beschrieben sind, erneut erläutere. Ich hoffe, dass Sie das Buch bereits gelesen haben oder noch lesen werden. Dieses Buch erklärt ausführlich die Hilfsmittel, die Sie dabei unterstützen sollen, eine glückliche Beziehung zwischen Ihren Kindern zu fördern. Sie werden feststellen, dass das Buch seine ganze Wirkung entfalten kann, wenn Sie diese Hilfsmittel mit Selbstregulierung, Verbindung und Coaching kombinieren, die detailliert in Gelassene Eltern – zufriedene Kinder beschrieben sind.

      1 Stormshak, Elizabeth; Bullock, Bernadette und Falkenstein, Corrina: Harnessing the Power of Sibling Relationships as a Tool for Optimizing Social-Emotional Development. In: Kramer, Laurie und Conger, Katherine (Hg.): Siblings As Agents of Socialization. New Directions for Child and Adolescent Development. 126, 2009, S. 61–77. San Francisco, CA: Jossey-Bass, 2009.

      Teil 1

      Grundlagen der gelassenen Elternschaft

      Alle Geschwister streiten in einem gewissen Maße, ganz gleich, was ihre Eltern tun. Konflikte sind Teil jeder menschlichen Beziehung, und Sie können Ihre Kinder nicht davon abhalten, Bedürfnisse und Wünsche zu haben, die manchmal miteinander kollidieren. Was Sie aber tun können ist, ihnen solide Werkzeuge an die Hand geben, mit denen sie sich durch diese Streitigkeiten durcharbeiten können. Werkzeuge, die sie den Rest ihres Lebens benutzen werden.

      Jedes Kind ist einzigartig und manche Geschwister haben es schwerer miteinander als andere. Somit mag es für Sie vielleicht überraschend sein zu erfahren, dass der Schlüssel für eine gesunde, unbeschwerte, zufriedenstellende Dynamik zwischen Ihren Kindern nicht deren Verhalten oder Temperament ist. Diese Faktoren spielen auch eine große Rolle, ohne Frage. Aber der Schlüssel sind Sie.

      Jahrzehntelange Studien über Geschwister und Familien ergaben faszinierende Erkenntnisse. Viele von ihnen werde ich in diesem Buch erläutern. Hier eine der wichtigsten Erkenntnisse, die durch zahlreiche Studien untermauert wurde:

      Haben Eltern bessere Beziehungen zu ihren Kindern, dann haben diese Kinder glücklichere Beziehungen untereinander. Haben die Beziehungen der Eltern zu ihren Kindern einen negativen oder strafenden Charakter, so zeigen die Kinder ein aggressiveres und egoistischeres Verhalten untereinander.

      Während Sie also Ihre Kinder nicht kontrollieren können, so können Sie jedoch jemanden kontrollieren, der einen enormen Einfluss darauf hat, was für eine Beziehung die Kinder zueinander haben: sich selbst.

      Ja, Ihre Kinder werden zwangsläufig eine gewisse Rivalität untereinander spüren. In jeder Familie wird es Phasen geben, in denen sich Geschwister scheinbar wegen jeder Kleinigkeit streiten oder sagen, dass sie sich hassen. Für gewöhnlich ist es aber möglich, dass die Liebe über die Rivalität siegt, indem man ein Erziehungskonzept anwendet, das ich Gelassene Elternschaft nenne.

      1

      Wie man zu entspannten Eltern wird

      Wenn ich präsent sein kann und atme, zeigt sich oftmals die Liebe. Wenn ich in der Vergangenheit und in der Angst bin, dann verursache ich eine Eskalation, die sich vielleicht noch nicht einmal in der Realität zusammengebraut hätte.

      Staci

      Gelassen bedeutet nicht, dass es bei Ihnen zu Hause nicht auch mal wild oder lebhaft oder lustig zugeht. Es bedeutet einfach, dass Sie darauf hinarbeiten, innerlich gelassener und weniger reaktionsfreudig zu werden. Dadurch sind Sie Ihren Kindern ein besseres Vorbild und helfen ihnen dabei, ein Gehirn inklusive Nervensystem zu kreieren, das sich selbst regulieren kann.

      Kein Vater und keine Mutter ist immer gelassen. Doch Eltern, die sich mehr Frieden in ihren Familien und in ihren eigenen Herzen wünschen, betrachten diese drei Prinzipien als unverzichtbar:

      1 Ein gelassener Vater reguliert seine eigenen Emotionen, auch angesichts starker Gefühle und Fehlverhalten seitens des Kindes. Dadurch sind wir in der Lage, eine positive Beziehung zu unserem Kind herzustellen, auch in Situationen, in denen die Gefühle überkochen. Wir können davon ausgehen, dass sich Kinder von Zeit zu Zeit kindisch verhalten.