Münster
Eberhard-Karls-Universität Tübingen
Performativität steht wohl wie kein anderer Begriff so sehr für das Zusammenspiel von Sprache und Handlung, ja Sprache wird Handlung. Dennoch oder gerade wegen seiner Bekanntheit muss man ihn klären. Seit John L. Austin 1955 in Harvard in seiner Lesung How to do things with words, die 1962 posthum in erster Auflage veröffentlicht wird, das Performative der Sprache erklärt, hat sich der Begriff der Performativität innerhalb verschiedener Disziplinen gewandelt. Austin sieht ihn noch als Abgrenzung und Gegenpart zum Konstativen, das sich mit den Qualitäten ‚wahr’ und ‚falsch’ beschreiben lässt. Das Performative hingegen definiert er anfangs folgendermaßen:
– they do not «describe» or «report» or constate anything at all, are not «true or false»; and
– the uttering of sentence is, or is a part of, the doing of an action, which again would not normally be described as, or as «just», saying something (Austin 1975: 5).
Als eingängiges Beispiel zur Veranschaulichung des theoretisch Umrissenen referiert Austin auf die Schiffstaufe: «I name this ship the Queen Elisabeth» (1975: 5) geäußert in dem Moment, wenn die Flasche am Schiff zerschellt. Später integriert er das Performative in eine Theorie, die auf Lokution, Illokution und Perlokution aufbaut, was danach Searle weiter ausbaut. Mit dem illokutionären Akt, der performatives Potenzial aufweist, ist quasi ein Grundstein gelegt für eine Handlungstheorie der Sprache. Denn der performative Akt ist jener, der mit der sprachlichen Äußerung die Welt ändert und nicht wie das Konstative mit der Sprache die Welt abbildet.
In der Nachfolge auf Austin und Searle hat sich der Begriff des Performativen vom rein Sprachphilosophischen emanzipiert und auch in die Literatur- und Kulturwissenschaft eingebracht. Dabei seien besonders die Arbeiten Erika Fischer-Lichtes für den Bereich der Theaterwissenschaft hervorzuheben, da das Dramatische ein besonders eindrucksvolles Extrem des Performativen ist, denn das Theater stellt ein selbstreferenzielles System dar so wie auch der performative sprachliche Akt selbstreferenziell ist. Das Bemerkenswerte am Theater ist daher, dass in gewissem Maße auch eigentlich konstative Akte zum Performativen erhoben werden, indem sie auf der Bühne (als systemimmanenter selbstreferenzieller Raum) in Echtzeit ablaufen und sich als sprachliche Handlung darstellen. Der Satz: Dies ist eine schöne rote Rose, mit dem der Schauspieler auf eine tatsächliche rote Rose verweist (oder nicht) beschreibt nicht nur die Welt in einer Wort-auf-Welt-Ausrichtung, er erschafft in dem Moment auch die Welt innerhalb der Bühnenrealität.
Innerhalb der Narrativik allerdings muss eine Wandlung des Begriffs des Performativen und der Handlung geschehen. Denn das Narrative berichtet von Handlung und vollzieht diese nicht aktuell wie das Theater sondern virtuell (Coseriu). Es wird also mindestens eine Ebene, die des Erzählens, vorgeschaltet. Der Leser erfährt nicht wie der Zuschauer im Theater eine direkte, also unmittelbare, Handlung. Ihm wird berichtet, was geschah oder es wird berichtet, wie berichtet wurde, was geschah usw.
In Kleists Drama Penthesilea erleben wir bezüglich der eben getroffenen Ausführungen zur Performativität und Narration ein scheinbares Paradoxon. Mit dem Genre Drama erwarten wir unmittelbare Handlung gepaart mit sprachlicher Handlung. Genauer gesagt, Sprache, die sich als Handlung in die Gesamthandlung integriert. Die Unmittelbarkeit der Handlung, die der Zuschauer erfährt ist eigentlich charakteristisch für das dramatische Spiel. Mit dem Wort ‚eigentlich’ wurde die Qualität der Definition bereits eingeschränkt. Denn wollen wir behaupten, dass Penthesilea kein Drama ist, wenn die Unmittelbarkeit der Handlung aufgrund des Narrativen dort eingeschränkt ist?
Damit gelangen wir zu folgender Annahme: Die Unmittelbarkeit der Handlung ist zu Gunsten der sprachlichen Mitteilung in Kleists Drama Penthesilea eingeschränkt. Sie ist quasi mittelbar, indem ein Teil des Geschehens in der Form eines Berichts dargestellt wird, so etwa die folgende Passage, in der beschrieben wird, wie Penthesilea Achill tötet und unkenntlich macht:
Sie zog dem Jüngling, den sie liebt, entgegen,/ Sie, die fortan kein Name nennt - / In der Verwirrung ihrer jungen Sinne,/ Den Wunsch, den glühenden, ihn zu besitzen,/ Mit allen Schrecknissen der Waffe rüstend./ Von Hunden rings umheult und Elefanten,/ Kam sie daher, den Bogen in der Hand: [...] Ha! Sein Geweih verrät den Hirsch, ruft sie,/ Und spannt mit Kraft der Rasenden, sogleich/ Den Bogen an, daß sich die Enden küssen,/ Und jagt den Pfeil ihm durch den Hals; er stürzt: [...] Den Zahn schlägt sie in seine weiße Brust,/ Sie und die Hunde, die wetteifernden,/ Oxus und Sphinx den Zahn in seine rechte,/ In seine linke sie; als ich erschien, Troff Blut von Mund und Zähnen ihr herab (Kleist, 1974 : 243ff.).
Aber wozu führt dieses narrative Element im dramatischen Text? Der Zuschauer sieht das Geschehen nicht in Form einer körperlichen Darstellung, sondern erfährt von diesem Geschehen im Rückblick, mit anderen Worten verzögert bzw. zeitversetzt. Damit wird das Performative in seiner Aktualität entwertet. Dies steht deutlich im Kontrast zu folgendem performativen Akt: Ich erkläre Sie hiermit zu Mann und Frau. Dabei handelt es sich offensichtlich nicht um dasselbe wie in der nachfolgenden Paraphrase, bei der es sich um eine narrative Einbettung handelt: Er erklärte die beiden zu Mann und Frau. Durch diesen Mechanismus der zeitlichen Verschiebung kann eine Performativität im Sinne Austins nicht gelingen, liegt die Veränderung der Welt doch bereits zurück.
Parallel zu dieser Methode des Rückblicks enthält das Drama Prolepsen, in denen die Figuren von ihren Vorhaben berichten. Dass Penthesilea Achill töten wird, kündigt sie bereits zuvor beschwörend an:
Penthesilea: Der Sohn des Peleus fordert mich ins Feld?/ Prothoe: Zum Kampf ja, meine Herrscherin, so sagt ich./ Penthesilea: Der mich zu schwach weiß, sich mit ihm zu messen,/ Der ruft zum Kampf mich, Prothoe, ins Feld? [...] So ward die Kraft mir jetzo, ihm zu stehen:/ So soll er in den Staub herab, und wenn/ Lapithen und Giganten ihn beschützten! (Kleist, 1974: 235).
Bemerkenswerterweise geschieht nachfolgend, was Penthesilea einem performativen Akt gleich zunächst beschwört. Und zwar nicht kraft dargestellter körperlicher Handlung auf der Bühne, sondern kraft ihres Wortes, was sich dem Zuschauer später durch den Bericht offenbaren wird. Dies gilt, und sei an dieser Stelle mit Nachdruck betont, innerhalb der Bühnenrealität.
Eine solche Konstellation der sprachlichen Beschwörung, die später Realität wird, finden wir ebenfalls in Kleists Leben. Und zwar in Form seines inszenierten Doppelselbstmords zusammen mit Henriette Vogel am Kleinen Wannsee bei Berlin am 21. November 1811. Diesen Selbstmord inszenieren die beiden in einem Brief an Ernst Friedrich Peguilhen. Wenn dieser den Brief lese, seien die beiden «in einem unbeholfenen Zustand, indem wir erschossen da liegen» (Soboczynski, 2011: 63). Diese Szene beschreibt Kleist bereits in seiner letzten Erzählung Verlobung in St. Domingo, wobei er dieselbe Wortwahl «unbeholfener Zustand» trifft, was die Parallele verdeutlicht. Von Misstrauen getrieben tötet in dieser Erzählung Gustav zunächst die geliebte Toni, um sich, nachdem sich aufklärt, dass er ihr Unrecht getan hat, selbst mit der Pistole erschießt.
Im Gegensatz zum Drama Penthesilea erfüllt sich aber mit dem Selbstmord Kleists kein performativer Akt, indem kraft der Sprache sich die Welt ändert. Die Gelingensbedingungen, die Fischer-Lichte anführt, sind nicht erfüllt:
Bei den Gelingensbedingungen, die erfüllt sein müssen, handelt es sich entsprechend nicht nur um sprachliche, sondern vor allem um institutionelle, um soziale Bedingungen. Die performative Äußerung richtet sich immer an eine Gemeinschaft, die durch die jeweils Anwesenden vertreten wird. Sie bedeutet in diesem Sinne die Aufführung eines sozialen Aktes. Mit ihr wird die Eheschließung nicht nur ausgeführt (vollzogen), sondern zugleich auch aufgeführt (Fischer-Lichte, 2004: 32).
Der ausschlaggebende Unterschied liegt demzufolge in dem nichtfiktionalen Charakter der Realität. Als Autor herrscht Kleist über dieses Gelingen oder Nicht-Gelingen der Performativität innerhalb seiner erschaffenen dramatischen Realität. Bei seinem inszenierten Selbstmord scheitert er jedoch an den Gelingensbedingungen. Man könnte dies als Entfremdung von der Realität deuten.
Dennoch ist bezeichnend, dass der Wunsch nach Weltveränderung Kleists Werk und Leben durchzieht. Im Leben sehnt er sich nach Ruhm und Anerkennung, was ihm zeitlebens vergönnt bleibt.