Martin Flesch

Stumme Schreie


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in die Unterkunft. Wer da wen letztlich angreift, provoziert und herausfordert, bleibt ihm unklar. Erste Schläge werden ausgeteilt, er wehrt sich, gegen wen, registriert er nicht mehr. Dann geht alles sehr schnell, der Gruppenkonflikt eskaliert. Plötzlich steht die Polizei auf dem Platz, die Gruppen werden getrennt, es gibt Festnahmen. Moussa ist auch dabei. Er befindet sich noch im Rauscherleben, kaum orientiert, wehrt sich noch gegen die Polizisten, lässt sich dann abführen, wird fixiert. Die Nacht verbringt er in der Ausnüchterungszelle. Dann führt man ihm dem Haftrichter vor.

      Dieses Szenario kommt ihm bekannt vor, die Vergangenheit hat ihn erneut eingeholt. Der Haftrichter spricht von schwerer Körperverletzung. Er kennt sich nicht aus, weiß nichts zu berichten, lässt alles über sich ergehen, will einen Rechtsanwalt kontaktieren.

      Die Untersuchungshaft scheint, im Vergleich mit den bisher erlittenen Haftbedingungen, den Entführungen, der Folter in Syrien und den Schlägen in Bulgarien, noch einigermaßen erträglich. Man arrangiert sich. Moussa entwickelt psychische Entzugserscheinungen. Ohne Droge kann er nicht mehr schlafen. Er weiß, was in solchen Situationen zu tun ist. Er zieht sich zurück, geht wiederum in die innere Migration, diesmal gänzlich. Die Mitgefangenen sorgen sich, melden die Sachlage, Moussa wird psychiatrisch untersucht. Er findet sich schließlich in der psychiatrischen Abteilung der Justizvollzugsanstalt wieder. Wiederum erzählt er seine Geschichte, wird medikamentös behandelt. Der Psychiater, später auch der Gutachter, sagen etwas von Trauma oder Traumatisierung. Ob er Therapie machen wolle? Er kann es sich vorstellen, äußert sich halbherzig. Er fügt sich. Nach drei Wochen kehrt er in seine Zelle zurück.

      Vier Monate später findet die Hauptverhandlung seines Verfahrens vor dem Amtsgericht statt. Der Verteidiger hat ihn zuvor aufgesucht, erklärt, wie es laufen wird, was wohl an Strafe zu erwarten ist. Moussa ist wegen gefährlicher Körperverletzung angeklagt. Er erinnert sich nicht, kann den ihm angelasteten Tatbeitrag nicht realisieren. Da ist er schon wieder in seiner inneren seelischen Migration, dem Rückzug, der alles aushalten lässt. Der Prozess läuft an ihm vorbei. Dann ist es soweit. Er wird zu zwei Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt.

      Der Leidensweg setzt sich fort. Dann ereilt ihn die Nachricht, dass die Asylbehörde ausländerrechtliche Maßnahmen erwogen hat. Moussa reagiert fragend. Der Anwalt erklärt, dass er nun als Straftäter geführt werde. Das könne Auswirkungen auf seinen Aufenthaltsstatus haben.

      Das Ergebnis einer langen Odyssee, geprägt von Bedrohungen, Entführung, Folter, Bombardierung, Traumatisierung, Flucht, Entwurzelung, Kontaktabbrüchen, fremden Kulturen, Drogenkonsum, Traumafolgestörungen, Bandentum und Straffälligkeit …

      Moussa, ein Folteropfer aus Syrien …, Moussa ist jetzt Straftäter …!

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