oder sich ausdenken kann.
Zur Veranschaulichung dieser konkreten Meditationspraxis dienen Beispiele aus meiner eigenen Erfahrung in der Begleitung vieler Menschen. Stets geht es um die Ausrichtung auf Gott, die in der beständigen Hinwendung zur Gegenwart und zum Namen Jesu geschieht. Wiederholungen waren für mich deshalb unvermeidbar. Sie sollen deutlich machen, wie dieses zentrale, immer gleiche Geschehen in den unterschiedlichsten inneren Erfahrungswelten zum Tragen kommt und ermöglicht, die innere Orientierung und die Verbindung zu Gott zu wahren.
Alle genannten Zitate von Franz Jalics beziehen sich auf das kontemplative Gebet, auch dann, wenn er von Meditation spricht. Er benützt das Wort Meditation im Sinne der Zeit, die dem kontemplativen Gebet gewidmet ist.1 In den letzten Jahrzehnten ist der Begriff Meditation ein Sammelbegriff geworden für verschiedene kontemplative Traditionen und für unterschiedlichste, meditative Techniken, die unterschiedliche Absichten und Ziele verfolgen können. Da es mir wichtig ist, die Sprache von heute aufzunehmen, benütze auch ich in diesem Buch den Begriff der Meditation und meine damit das kontemplative Gebet. Mein Anliegen ist es, durch eine einfache Sprache den Zugang zum kontemplativen Gebet zu erleichtern. In der Literatur wird diese Gebetsweise auch Herzensgebet, Jesusgebet, einfaches Gebet, Gebet der Sammlung, immerwährendes Gebet oder Gebet der Ruhe genannt.
Zu Franz Jalics
Franz Jalics wurde 1927 in Budapest geboren. Als 17-jähriger Offiziersanwärter machte er während einer Bombardierung Nürnbergs eine tiefe religiöse Erfahrung, die seinen weiteren Glaubensweg entscheidend prägte. „Es war ein ohnmächtiger und verzweifelter Kampf gegen den Tod. Als so in mir Wut und Angst tobten, überströmte mich plötzlich ein ganz großer Friede. Ich wusste: Gott ist da.“2 Dieses Erlebnis löste eine lebenslange Suche nach Gott aus und nach einem einfachen, unmittelbaren Gebetsweg zu ihm. Drei Jahre später trat er in Ungarn in das Noviziat der Jesuiten ein. Bereits nach einer Woche konnte er erkennen: „Was wir dort lernten, ging in die richtige Richtung; es war aber sehr viel komplizierter im Vergleich zu dem, was ich in Nürnberg gesehen habe.“3 Er war jedoch beruhigt, vom Novizenmeister zu hören, dass sich das Gebetsleben im Laufe des Ordenslebens stark vereinfachen würde und am Ende nur ein einfaches Schauen auf Gott oder auf Jesus Christus bliebe. Er erfuhr diesen Ausblick als innere Bestätigung für seinen eingeschlagenen Weg, denn er stimmte mit seiner Erfahrung und inneren Sehnsucht überein. Er absolvierte seine philosophischen und theologischen Studien in Deutschland, Belgien, Chile und Argentinien. Mit 32 Jahren wurde er zum Priester geweiht.
Einige Jahre später geriet er in eine längere Glaubenskrise. Sie war so stark, dass sie sein ganzes bisheriges Leben in Frage stellte. Eine einfache Begebenheit brachte die Wende: Ein älterer Mitbruder beschwerte sich darüber, dass er sich immer alleine um den Abwasch kümmern müsse und die anderen ihre Tassen einfach nur stehen ließen. „Ich hörte mir sein Geschimpfe an, kehrte an meine Arbeit zurück und hatte den Zwischenfall in wenigen Minuten vergessen. Nachmittags in einer Pause ging ich ein wenig spazieren. Auf einmal kam mir die Einsicht, dass dieser Mitbruder mit einem Problem an uns herangetreten war und dass ich sein Anliegen überhaupt nicht an mich herangelassen hatte … Mir wurde die Parallele zwischen diesem Ereignis und meiner Krise bewusst … Ich fragte mich, ob sich in meiner Beziehung zu Gott nicht etwas Ähnliches vollzog … Die Parallele war naheliegend und erschütterte mich tief … Ich bemühte mich ein Jahr lang, offener auf die Menschen einzugehen und sie mehr an mich heranzulassen. Nach einem Jahr war die Krise vorbei. Der Zusammenhang zwischen Menschen- und Gottesbeziehung war mir ein für allemal aufgegangen und wurde mir zum Leitfaden für mein ganzes Leben.“4
Dieser Leitfaden zieht sich wie ein roter Faden durch die kontemplativen Exerzitien, die er später entwickelte. Es ist ihm stets ein dringendes Anliegen geblieben, den kontemplativen Weg von Anfang an in der Realität der zwischenmenschlichen Beziehungen zu verankern. „Viele Leute werten ihre Gottesliebe höher als ihre Beziehungen zu den Menschen. Das ist eine klare Täuschung. Sie schätzen sich gläubiger ein, als sie sind.“5 Um dieser Täuschung nicht zu erliegen und sich in der Meditation nicht in eine Scheinwelt zu begeben, ist er nicht müde geworden, darauf hinzuweisen, dass die Beziehung, die man zu sich selbst hat, zu anderen und zu Gott deckungsgleich ist. „Wir haben nur ein Herz, mit dem wir Gott, die Menschen und uns selber lieben können. Diese Beziehungen sind untrennbar miteinander verknüpft.“6
Ermutigt durch die Erneuerungen des Zweiten Vatikanischen Konzils gründete Franz Jalics eine Gruppe mit vier Freuden, die das Ziel hatte, nach Erneuerung des Gebetslebens zu suchen. Sie forschten nach geistlichen Schätzen der Kirche, die in Vergessenheit geraten waren. Sie lebten kurzzeitig bei Benediktinern und Trappisten mit, befassten sich mit Yoga und Zen und ließen sich von dem Buch „Aufrichtige Erzählungen eines russischen Pilgers“7 inspirieren. Dieses Buch motivierte ihn, mit dem Namen Jesu zu meditieren.
1974 entschied er sich, zusammen mit einem Mitbruder in einem Armenviertel in der Nähe von Buenos Aires das Leben mit den Armen zu teilen. Als es 1976 in Argentinien zum Aufstand kam, wurde er zusammen mit seinem Mitbruder von paramilitärischen Gruppen verschleppt. Sie wurden fünf Monate gefangen gehalten und waren einer permanenten psychischen Folter ausgesetzt. Von 6000 Menschen, die von dieser Militärgruppe verschleppt wurden, überlebten nur er und sein Mitbruder. Dass Franz Jalics und sein Mitbruder menschlich an dieser Tortur nicht zerbrochen sind, verdankten sie der einfachen Wiederholung des Namens Jesu. „Tagein, tagaus, von morgens bis abends blieben wir bei diesem schlichten Gebet.“8 Nach der Befreiung war er nicht mehr der Gleiche: „Die Monate von Verschleppung, Gefangenschaft und Nähe des Todes, verbunden mit der ständigen Wiederholung des Namens Jesu, hatten in mir eine tiefgehende Läuterung bewirkt“ […] „Eine leichte Depression, die unterschwellig immer dagewesen war, wie auch eine gewisse Aggressivität waren vollständig verschwunden und kamen nie mehr zurück.“9 Später fand er seine inneren durchlebten Zustände während der Gefangenschaft in dem Sterbeprozess beschrieben, den Elisabeth Kübler- Ross in ihren Büchern schildert: Auflehnung, Rebellion, die Tatsache nicht wahrhaben wollen, Depression, bis man allmählich die Situation annimmt, wie sie ist. Dieser durchlebte Sterbeprozess befähigte ihn, das Schmerz- und Leidvolle bei den Menschen wahrzunehmen, ihnen auch in großen inneren Nöten beizustehen und dabei stets den Hoffnungsschimmer auf Gottes heilende Gegenwart im Blick zu behalten.
Nach der Befreiung lebte er zunächst ein Jahr in den USA und kam dann nach Deutschland. Von diesem Zeitpunkt an gab er nur noch Exerzitien. Es war für ihn wichtig, diese Gebetsweise, die ihn durch die qualvolle Zeit der Verschleppung hindurchgetragen hatte, weiterzugeben. 1984 eröffnete er das Exerzitienhaus „Gries“ und leitete es mit großem Einsatz bis ins hohe Alter. Das Konzept, das er für die Hinführung zum kontemplativen Gebet entwickelt hatte, ist heute als „Grieser Weg der Kontemplation“ bzw. als „Kontemplation nach Franz Jalics“ bekannt. Zu seiner Verbreitung hat auch sein Buch „Kontemplative Exerzitien – Eine Einführung in die kontemplative Lebenshaltung und in das Jesusgebet“ wesentlich beigetragen. Es zählt zu den Bestsellern mit 15 Übersetzungen.
Es ist Franz Jalics zu verdanken, dass das kontemplative Gebet, ein lang vergessener Schatz des Christentums, heute vielerorts weitergegeben wird. In einer verständlichen Sprache hat er diesen schlichten Meditationsweg für die Menschen von heute erschlossen und holt sie bei ihrem Bedürfnis nach Stille und Ruhe ab. Franz Jalics nahm bereits vor 30 Jahren wahr, wie sehr sich der moderne Mensch in seiner Beziehung zu Gott nach Ruhe, Einfachheit und Unmittelbarkeit sehnt. Sein kontemplativer Weg, der zu dieser Erfahrung führt, zeichnet sich durch eine große Klarheit und Einfachheit aus: „Gott ist einfach, und der Weg, den Jesus Christus zum Vater zeigte, ist ein überaus einfacher Weg. Er ist nicht immer ein leichter, aber doch ein sehr schlichter und unkomplizierter Pfad. Er besteht eben in der bescheidenen, demütigen und unablässigen Ausrichtung auf Gott. Es gibt nichts anderes zu sagen, als nur auf diese Ausrichtung aufmerksam zu machen.“10
Diese Ausrichtung hat Franz Jalics unermüdlich in seinen Büchern und in unzähligen Exerzitienkursen mit einer Prise Humor, einer strengen Klarheit und großer Hingabe aufgezeigt. Trotz der großen Anerkennung für seine klare Wegweisung, durch die er unendlich