fallen frisch Verliebten nicht schwer. Sie sind mit großem Interesse und hellwach dem anderen zugewandt und suchen seine Nähe, wann immer es möglich ist. Anfänger der Meditation und frisch Verliebte sind offen für das, was sich gerade ereignet. Doch dieser Zauber des Anfangs geht im Laufe der Zeit verloren und damit auch das lebendige Interesse, das alle Sinne für das Hier und Jetzt öffnet. Der Alltag mit seiner anscheinenden Wiederholung des immer Gleichen beginnt grau und eintönig zu werden. Diese allzu menschliche Entwicklung beschreibt Hermann Hesse in seinem Gedicht „Stufen“: „Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen.“21 Schleicht sich in die Meditation eine Routine ein, droht dieses Erschlaffen. Man erwartet nichts Neues mehr. Man kommt zügig und automatisch zum Namen Jesu, den man monoton zu wiederholen beginnt. Obwohl dies gut „funktioniert“, fühlt sich die Meditation nicht gut an, sondern wird als langweilig, mühsam und beziehungslos erlebt. Etwas Wesentliches ist nämlich unmerklich verlorengegangen. Davon berichtet eine chassidische Erzählung.
Rabbi Jizchak Meïr erging sich einmal an einem Spätsommerabend mit seinem Enkel im Hof des Lehrhauses. Es war Neumond, der erste Tag des Monats Elul. Der Zaddik fragte, ob man heute den Schofar geblasen habe, wie es geboten ist einen Monat, ehe das Jahr sich erneut. Danach begann er zu reden: „Wenn einer Führer wird, müssen alle nötigen Dinge da sein, ein Lehrhaus und Zimmer und Tische und Stühle, und einer wird Verwalter, und einer wird Diener und so fort. Und dann kommt der böse Widersacher und reißt das innerste Pünktlein heraus, aber alles andre bleibt wie zuvor, und das Rad dreht sich weiter, nur das innerste Pünktlein fehlt.“ Der Rabbi hob die Stimme: „Aber Gott helfe uns: Man darf’s nicht geschehen lassen!“22
Ohne das innerste Pünktlein zu meditieren – man darf’s nicht geschehen lassen! Dieses innerste Pünktlein ist im hellwachen, interessierten Dasein zu finden. In der Meditation spürt man es als eine innere Verbundenheit zu Gott, die als Sehnsucht wahrnehmbar ist, auch dann, wenn man nicht mehr meditiert. Es belebt in gleicher Weise die zwischenmenschlichen Beziehungen durch die Aufmerksamkeit, die man empfängt und einander schenkt. Das unsichtbare Band, das es zwischen den Menschen knüpft, spürt man als Dankbarkeit, stille Freude oder als Sehnsucht, auch wenn man nicht mehr im unmittelbaren Kontakt ist. Gehen hingegen die Aufmerksamkeit und das Interesse füreinander verloren, verflüchtigt sich das innerste Pünktlein unmerklich. Man macht zwar weiter wie gewohnt und verrichtet die äußeren Dinge wie sonst auch, und doch ist nichts mehr, wie es war. Das lebendige Interesse hat sich verflüchtigt und die innere Verbundenheit fehlt. Das innerste Pünktlein erscheint klein, doch die Leere, die es hinterlässt, ist groß.
Für Teresa von Avila war es wichtig, ihren Mitschwestern zu vermitteln, dass es nicht genügt, „beim Beten gewohnheitsmäßig Worte auszusprechen.“ „Ich will, dass wir uns mit dem bloßen Aussprechen von Worten nicht zufriedengeben.“ Es war ihr ein großes Anliegen zu vermitteln, dass man Gott mit Gebeten keinen Dienst erweist, die man gewohnheitsmäßig verrichtet, ohne innerlich beteiligt zu sein. Im übertragenen Sinne läuft man Gefahr, das innerste Pünktlein zu verlieren, das heißt das wache Interesse für Gottes Gegenwart; und damit verliert man schleichend auch die Verbundenheit zu Gott und die Sehnsucht nach ihm. Diese Gefahr besteht auch dann, wenn man das Gebet nur als Pflicht oder als Aufgabe ansieht, die man zu erfüllen hat. Ich erinnere mich an einen Mann, der davon sprach, dass ihm in der Meditation langweilig sei. „Langeweile in der Meditation ist ein klares Zeichen, dass man nicht in der Wahrnehmung ist. Mit der Wahrnehmung wird die Gegenwart interessant.“23 Im Gespräch mit ihm wurde deutlich, dass er das Spüren seiner Hände wie eine Aufgabe betrachtet hatte. Als er seine Hände spürte, war für ihn diese Aufgabe erledigt. Er meditierte zwar weiter, jedoch ohne darauf zu achten, was geschieht, wenn er seine Hände weiterhin bewusst wahrnimmt und hellwach und mit Interesse dabeibleibt.
Das innerste Pünktlein, das die Meditation wieder belebt, ist stets in der Gegenwart zu finden, im immerwährenden Zauber des Anfangs. Aus diesem Grund ist es wesentlich, jede Meditation bewusst wieder neu zu beginnen. Was erfahre ich, wenn ich mich jetzt mit der Aufmerksamkeit, die mir möglich ist, hellwach und mit lebendigem Interesse Gottes Gegenwart zuwende? In jeder Meditation lasse ich mich neu auf die Beziehung zu mir selbst ein und öffne mich immer wieder neu für die Beziehung zu Gott. In diesem Beziehungsgeschehen pulsiert mein Leben. Es ist niemals statisch, sondern macht jede Meditation zu einer einzigartigen, sich nicht wiederholenden neuen Erfahrung.
Du kannst immer mit Entschlossenheit versuchen, in die Wahrnehmung zu kommen, ob es gelingt oder nicht. Die Ergebnisse sind nicht wichtig. Wir müssen nichts erreichen. Der ernsthafte und ständige Versuch genügt. 24
Hindernisse, Probleme und Schwierigkeiten bleiben niemandem erspart. Sie sind ungefragt eine selbstverständliche Zugabe auf unserem Weg zu Gott, die man natürlich auch in der Meditation zu spüren bekommt. Man will zum Beispiel in die Wahrnehmung kommen, doch beständig taucht etwas auf, was einen sogleich wieder von der Wahrnehmung wegführt. Trotz Bemühung bleibt man an der Oberfläche. Hier ist Entschlossenheit vonnöten, um in der Meditation nicht aufzugeben und trotzdem dranzubleiben. Teresa von Avila spricht sogar von einer entschlossenen Entschlossenheit. Sie macht mit der Verdoppelung des Begriffs deutlich, wie unentbehrlich diese Haltung auf unserem Weg zu Gott ist. Sie schreibt, „dass viel, ja alles an einer großen und ganz entschlossenen Entschlossenheit gelegen ist, um nicht aufzuhören, bis man zur Quelle vorstößt, komme, was da kommen mag, passiere, was passieren mag, sei die Mühe so groß, wie sie sein mag, lästere, wer da lästern mag, mag ich dort ankommen, mag ich unterwegs sterben oder nicht beherzt genug sein für die Mühen, die es auf dem Weg gibt, ja mag die Welt untergehen …“25
Ihre Zeilen lassen erahnen, welche Kraft in einer entschlossenen Haltung liegt und welche Klarheit und Zielstrebigkeit sie zutage fördert. Diese Entschlossenheit findet man ebenso bei ihrer Mitschwester Therese von Lisieux, wenn sie sagt: „Ich finde es nicht der Mühe wert, die Dinge halb zu tun.“ „Nur halb“ zu meditieren würde bedeuten, dass man sich zwar zum Meditieren hinsetzt, dann jedoch die Zeit so dahinplätschern lässt und mit seiner Aufmerksamkeit mal hier und mal dort ist. Oftmals fängt man in einer unentschlossenen Haltung erst gar nicht zu meditieren an. Entschlossenheit hingegen führt zu klaren Entscheidungen und bündelt die Aufmerksamkeit. Dies meint aber nicht, angestrengt zu versuchen, in der Meditation irgendetwas zu erreichen. Dies unterstreicht Franz Jalics, wenn er sagt: „Entschlossenheit ist die geistige Haltung, sich auf etwas einzulassen, sich einer Sache zu schenken und sich ganz hinzugeben. Ob das von Erfolg gekrönt wird oder nicht, hat weniger Bedeutung.“26 Teresa von Avila wusste, dass sie auch mit der größten Entschlossenheit nichts herbeizwingen konnte und es auch gar nicht musste. Ihre Mitschwestern lehrte sie, dass es einzig und allein wichtig sei, „uns dem Schöpfer ganz hinzugeben und unseren Willen dem seinen zu ergeben“27. Es genüge, „Schritt für Schritt [zu] tun, was wir können“28. Jeder anscheinend noch so kleine Schritt führt uns näher zu uns selbst und näher zu Gott.
Wie wichtig die entschlossene Entschlossenheit ist, erfuhr eine Frau bei einer schwierigen inneren Wegetappe. Sie verhalf ihr dazu, Schritt für Schritt, vielleicht kann man sogar sagen Atemzug für Atemzug, weiterzugehen und nicht aufzugeben. Die Schwierigkeit in der Meditation bestand darin, dass sie ihre Hände kaum wahrnahm, obgleich sie sich bemühte. Der Name Jesus Christus löste in ihr einen inneren Widerstand aus. Sie erkannte aber, dass es eine Versuchung war, deshalb mit der Meditation aufzuhören. Entschlossen lenkte sie ihre Aufmerksamkeit in Richtung ihrer kalten Hände. Sie fühlte eine Ohnmacht und hatte den Eindruck, dass sich der Widerstand wie eine harte Kruste auf ihre kalten Hände legte. Aus dem Nichts heraus, so beschrieb sie ihr Erleben, platzte die Kruste auf einmal auf und eine längst vergessene Verletzung aus der Kindheit stand ihr plötzlich vor Augen. Sie sah den Küchentisch, auf den sie als kleines Mädchen an jeder Ecke einen Blumenstrauß gestellt hatte und einen besonders schönen in die Mitte. Sie hatte die Blumen mit viel Liebe auf einer Wiese für ihre Mutter gepflückt. Voller Vorfreude wartete sie auf die Mutter. Als diese endlich von der Arbeit kam, fing sie jedoch gleich zu schimpfen an, weil sie keinen Platz fand, um ihre Einkaufstaschen abzustellen. Die Frau konnte sich nicht mehr erinnern, ob sie damals geweint hatte, weil ihre Mutter ihre Liebe nicht wahrnahm und sie beschimpfte, statt ihre Liebe zu erwidern. Jetzt ließ sie ihre Tränen zu