durchaus auch Wertpapiergeschäfte vermittelt und bisher gut daran verdient.
Doch die Ereignisse in den Vereinigten Staaten hatten den Wert dieser Papiere in letzter Zeit rapide sinken lassen, und sie wurden zunehmend von verunsicherten Kunden befragt, wieweit die empfohlenen Anlagen noch sicher seien. Bislang hatte man sie beruhigen können, er selbst jedoch war in höchstem Maße beunruhigt über die Entwicklung auf dem Wertpapiermarkt, die das Bankhaus nicht nur das Vertrauen seiner Kunden in seine Seriosiät kosten konnte, sondern auch die eigene Bonität, wenn es weiter Verluste abschreiben müßte und irgendwann selbst in Zahlungsschwierigkeiten kommen könnte.
Noch war alles unter der Decke, der Vater wußte hoffentlich nichts von den riskanten Käufen, die sie getätigt hatten im Vertrauen auf die Ratingagenturen, die ihnen die amerikanischen Kreditgeschäfte als praktisch risikolos empfohlen hatten. Aber die Abwärtsentwicklung war inzwischen zu offensichtlich, als daß sie nur als eine Delle im Trend gewertet werden konnte, und einige Banken hatten bereits akute Schwierigkeiten. Soweit war es mit ihrem Institut dank ihrer Zurückhaltung glücklicherweise noch nicht. Auf staatliche Stützungskredite jedoch, wie sie den systemrelevanten Häusern unter der Hand schon zugesichert wurden, konnte Niebel nicht hoffen. Die Bank mußte schon selbst sehen, wie sie die Krise durchstehen könnte.
Aber Günther wußte: Früher oder später war eine Kapitalspritze auch bei ihnen nötig, um die Bank liquide zu erhalten. Noch bürgte das private Vermögen der Familie, aber das war für diese Größenordnung nicht geschaffen. Irgendwie mußte er an Sicherheiten herankommen, sonst war das Haus auf Dauer wohl nicht zu retten.
Heute nun plötzlich diese unerwartete Nachricht: Dieser Siggi, eben noch ein verdächtiger oder doch unwillkommener Eindringling in die Familie, besaß offensichtlich beträchtliche Vermögenswerte - ein Vielfaches von dem, über das die Niebels verfügten. Wenn..., ja wenn es hier zu einer Annäherung käme, zu einer Geschäftsverbindung, zu einer Verbindung überhaupt, sagen wir auch über Hilla, dann wäre das Haus erst einmal aus dem schlimmsten heraus, man könnte zuwarten, bis der Markt sich beruhigte und diese Papiere irgendwann auch wieder an Wert gewönnen. Aber die Zeit drängte, bis Jahresende müßte hier wohl Klarheit herrschen. Siegfried de Castro - was für ein exotischer Name für diesen schlaksigen, schlecht gekleideten Burschen! - wäre die Rettung.
Doch der Kerl war nicht wieder aufgetaucht, und Hilla lief herum wie eine trauernde Witwe. Hilla - sie mußte ihn finden! Wir wissen ja nun Name und Adresse, wissen um seine Beziehung nach Xanten. Gut - der Vater hatte verlangt, Hilla nicht zu informieren. Im Prinzip und unter normalen Umständen wäre das auch Günthers eigene Haltung gewesen. Und so ganz offensichtlich wollte er diese Weisung nicht mißachten. Aber einen Tipp, wie sie ihn vielleicht finden könnte, einen brüderlichen Rat so ganz nebenbei, den könnte er doch geben.
"Du suchst ihn noch immer, Hilla? Ich kann dich ja verstehen. Es ist schon schlimm, wenn man wirklich verliebt ist. Keine Widerrede! Man sieht es dir doch an, und es ist doch auch keine Schande. Er war schließlich ein ganz netter Kerl, ein wenig unkonventionell vielleicht, aber doch sympathisch. Ja, doch! Weißt du, ich habe da läuten hören, er soll einen spanischen Nachnamen haben, komisch, nicht wahr? Ein Bekannter hat es mir gestern gesagt, ganz zufällig kamen wir auf ihn zu sprechen. Aber wenn es stimmt, müßte er doch zu finden sein. Wenn nicht hier, dann drüben in Mannheim. Vielleicht über das Studentenwerk. Oder er wohnt im Studentendorf. Geh doch einfach mal vorbei. Die werden einen auffälligen Namen doch finden können. Bevor du hier herumhängst und dir noch die Augen ausweinst - entschuldige, aber ich sehe doch die dunklen Ringe um deine hübschen Augen – da solltest du lieber ganz gezielt vorgehen. Naja, ist nur ein Rat von deinem großen Bruder. Und das kann ja auch ganz unter uns bleiben, Schwesterchen. Versprochen!“
Ja, so ähnlich könnte es gehen. Hilla muß ihn finden. Und Hilla muß ihn binden. Es geht schließlich um uns alle, die Familie, die Bank, unsere Existenz.
9. Die Suche
Erstaunlicherweise hatte Hilla sich ganz ohne Widerspruch angehört, was ihr Bruder ihr anvertraute. Im Gegenteil, sie war erleichtert. Endlich gab es wieder eine Spur, die sie verfolgen könnte! Das gab ihr Mut, vertrieb die Untätigkeit, zu der sie sich verdammt sah. Sie würde ihn suchen, o ja, und sie würde ihn finden. Ganz plötzlich war sie da ganz zuversichtlich. Und sie tat etwas, was sie schon lange nicht mehr getan hatte und was Günther fast ein schlechtes Gewissen machte: Sie legte dem Bruder den Arm um den Hals und drückte ihm einen ganz zarten Kuß auf die Wange.
Wenn das stimmte mit diesem Namen - und irgendwoher mußte Günther das ja haben - dann gab es einen Anhalt. Siggi allein - wer sollte ihr da weiterhelfen. Aber mit diesem spanischen Nachnamen... gleich morgen nach dem Seminar würde sie sich wieder auf die Suche machen.
Zum Glück bemerkte es keiner, wie unaufmerksam sie war. Und das, obwohl sie in den letzten Wochen plötzlich auch innerlich teilnahm an den Themen, um die es ging. Und das war allein Siggi zu verdanken. Aber heute konnte sie nicht rasch genug das Seminargebäude verlassen. Das Studentendorf war nur zwei Straßenzüge entfernt, ein häßlicher Gebäudekomplex aus den siebziger Jahren, aber mit einem Angebot billiger Zimmer, von den Kommilitonen gerne genutzt. Neben dem Eingang lag das Büro der Verwaltung, und Hilla hätte fast vergessen zu klopfen, so eilig hatte sie es.
Aber dann hielt sie einen Augenblick inne, um ihrer Unruhe Herr zu werden. Du mußt ganz cool wirken, sagte sie sich. Und einen triftigen Grund nennen, sonst geben sie dir vielleicht keine Auskunft. Sie atmete noch einmal tief durch, ehe sie sich der Tür zuwandte. Ihren Studentenausweis hatte sie vorsichtshalber aus der Kollegmappe genommen und trug ihn nun sichtbar in der Hand.
Hilla war noch jung. Sie hatte ihr Abitur ohne Umwege erreicht und sich sofort an der Mannheimer Uni bei den Historikern eingeschrieben, auch wenn sie damit keinerlei berufliches Ziel verband. Und sie sah auch noch recht jugendlich aus, mädchenhaft eben: Ihre Beine waren ein wenig zu lang geraten für den Rest des Körpers, aber das gab ihr ein schlankes Aussehen. Äußerlich noch betont durch die enganliegenden Jeans, die sie ständig trug. Ihr regelmäßiges Gesicht war eigentlich unauffällig - eine schmale, gerade Nase, leicht geschwungene Lippen, graue Augen. Es fiel schwer, sie näher zu beschreiben. Nur ihr dunkelblondes Haar fiel ins Auge, es war dicht, lockig und schulterlang, und sie schüttelte immer wieder einige Strähnen fort, die ihr den Blick versperrten. Diese Haar war darum auch das erste, woran sich die anderen erinnerten, die Freundinnen und Freunde aus dem Seminar und aus ihren Kneipen, die Jungs aus der Disko, die gerne mit ihr tanzten, weil sie so anschmiegsam war und sich so leicht führen ließ.
So fiel auch der Blick des jungen Mannes hinter dem Tresen sofort auf ihre Haarpracht, und das stimmte ihn mild und freundlich, noch ehe sie etwas gesagt hatte. Er sah ihr aufmerksam entgegen und war augenblicklich bereit, ihr zu helfen, was immer sie auch von ihm wollte. Sie spürte instinktiv, daß sie hier schon gewonnen hatte. "Ich bin auf der Suche nach einem Kommilitonen," sagte sie in das fragende Lächeln hinein. "Nein, nicht, was du denkst," fügte sie hinzu und lächelte ebenfalls, kumpelhaft und gewinnend. "Er hat mir seine Nachschrift gegeben, dabei weiß ich nicht mal seinen Namen - also jedenfalls nicht so richtig. Ich hab versprochen, sie heute zurückzugeben, aber er war nicht aufzutreiben, weder im Seminargebäude noch in der Mensa. Ich kann doch nicht bis zur nächsten Übung warten, das wäre einfach unfair, nicht wahr?" Sie lächelte ihr Gegenüber immer noch an, um Verständnis werbend diesmal.
Der andere - auch er Student, der sich mit dem Türdienst etwas zuverdiente - ließ sich irritieren. "Wie heißt er denn, also soweit du das weißt?" "Wir nennen ihn alle bloß Siggi. Also ich denke mal Siegfried oder so. Aber er hat so einen komischen Nachnamen. Ich komm einfach nicht drauf, irgendwas Spanisches war das, ziemlich exotisch. Kannst du nicht mal in eure Liste gucken? Sonst muß ich die hundert Klingelschilder studieren, und die meisten sind sowieso nicht zu lesen."
"Das kannst du wohl sagen. Keiner gibt sich da Mühe, und viele sind längst ausgezogen, aber die Neuen haben einfach keine Zeit, mal ihren Namen drüberzukleben." Inzwischen hatte er eine Ordner herausgenommen und blätterte darin herum. "Meyer, Müller, Schulze wird es also kaum sein. Irgendwas Spanisches... Nee, das sind alles Afrikaner. Aber hier, das könnte es sein. Und Siegfried stimmt auch." Er zog die Sache in die Länge,