Henning Dedekind

Krautrock


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Männer und Mädchen zwischen bemalten Autos. Statt einer lustigen Schau gab es ein paar Schaulustige.«

      Die einen freuen sich über internationale Aufmerksamkeit, die anderen ziehen gegen das vermeintliche »Gammlertreffen« zu Felde. Insbesondere die riesige Fördersumme – zumal für ein Festival der Jugendkultur – löst vehemente öffentliche Diskussionen aus. Horst Stein: »Die Meinung der Öffentlichkeit war gespalten. Die Bevölkerung hat ja nur das Äußere mitgekriegt. Die waren zunächst völlig erschlagen von den vielen Hippie-Gestalten in der Stadt. Man war ganz erstaunt, dass Frank Zappa fragte, ob es hier auch Duschen gebe.« Die Vorurteile der Bevölkerung bekommt Zappa am eigenen Leib zu spüren: Im strömenden Regen versuchen er und seine Begleiterin, ein Taxi zu rufen. Die ersten sieben Fahrer winken nur ab und lassen den zotteligen Rockstar im Regen stehen.

      Auf der anderen Seite können sich aber auch viele Bürger für den internationalen Gedanken des Festivals begeistern. Ehrenamtliche Helferinnen wie Zappas Begleiterin, zu erkennen an einer kleinen Gitarren-Anstecknadel am Revers, unterstützen die Songtage tatkräftig. »Die Hostessen dieses jugendlichen Musikfestivals sind so etwas wie ein Stück Visitenkarte von Essen«, verkündet die WAZ stolz. Die »Verbindungsleute in unserer Stadt« erwartet gleich ein ganzes Aufgabenfeld: Künstler müssen vom Flughafen abgeholt und untergebracht, Ersatzteile für Instrumente besorgt werden. Fernsehteams, Rundfunk- und Zeitungsjournalisten verlassen sich auf die Sprachkenntnisse der »Studentinnen, Schülerinnen, Auslandskorrespondentinnen, Stenotypistinnen, Hausfrauen, Sprechstundenhilfen«, die außer freier Kost und Eintritt zu den Konzerten nur ein kleines Taschengeld erhalten. Dabeisein, Mitmachen ist alles.

      Die Zeltlager liefern derweil Stoff für wilde Fantasien. Öffentlichkeit und Presse vermuten Sexorgien und Drogenexzesse. »Sie haben extra ein paar Leute rausgeschickt und waren dann ganz erstaunt, dass alles ganz brav und lieb war«, sagt Horst Stein. Ein mutiger Anwohner, anfangs noch besorgt um den Bestand seines Vorgartens, mischt sich schließlich unter die Festivalbesucher. »Der ist praktisch jeden Tag da gewesen und hat einen glühenden Brief geschrieben, wie dufte er das fand, dass die Leute am Lagerfeuer saßen und ganz bescheiden ihr Brot und ihren Käse gegessen haben.«

      Eine »pop-musikalische Agitationsveranstaltung«

      Veranstaltungen wie »Protest International« und Protestaktionen der APO sollen die IEST’68 zu einer »pop-musikalischen Agitationsveranstaltung« (Kaiser) machen. Transparente und Spruchbänder fordern allerorten »Amis raus aus Vietnam« oder »Freiheit für Cohn-Bendit« – nebst Spendensammlung für die Verteidigung des Frankfurter Studentenführers. Die neue deutsche Protestkultur wird manch internationalem Gast zu viel. So beklagt Frank Zappa später, dass zu viele Konzerte in politische Diskussionen ausgeartet seien.

      Wilhelm Nieswandt, damals Oberbürgermeister der Stadt Essen, nimmt den politischen Aspekt zunächst nicht sonderlich ernst. Als er die teilnehmenden Musiker am 26. September zur geschlossenen Gesellschaft in den städtischen Saalbau lädt, kommt es zum Eklat: »Das Establishment ließ bitten«, formuliert Horst Stein den Ärger der Jugend, die immer noch Profitgier wittert. »Da hieß es auf einmal, ›die werden empfangen, und wir, die Zuschauer, nicht. Schließlich wurde der Saal gestürmt. Die Kuchentheke wurde geplündert, Bierdeckel flogen durch die Luft.«

      Der anfangs wohlwollende Tenor in den Zeitungen schlägt nach diesem Ereignis um. Die WAZ berichtet großformatig über den Skandal, der von vielen Bürgern heimlich herbeigesehnt wird. Dies wollen die Festivalbesucher mit einem Protestmarsch zum Redaktionssitz erwidern. Stein wird zum Polizeipräsidenten gebeten:

      »Die Polizei wollte alles abriegeln, Zäune aufstellen und Wasserwerfer einsetzen. Ich wurde gefragt, was ich darüber dachte. Da wir am nächsten Tag noch ein Konzert in der Grugahalle hatten, schlug ich vor, mit dem Verfasser des betreffenden Artikels vor Beginn eine Podiumsdiskussion zu veranstalten. Der Reporter hatte Angst und verlangte Polizeischutz.«

      Die Handvoll Demonstranten, die schließlich doch noch vor den verschlossenen Toren der WAZ aufmarschieren, lässt der Verlag in einem eigens bestellten Bus zurück zum Festival kutschieren – versehen mit Freikarten. Im Saal wird eine Dreiviertelstunde lang diskutiert, dann ertönen die ersten Rufe »Aufhören! Anfangen!« Der Fall scheint erledigt. Doch die Gemüter sind erhitzt, und die kurzzeitig aufgeweichten Fronten zwischen Jugendlichen und bürgerlichem Lager verhärten sich weiter.

      Später heißt es in einer erzwungenen Gegendarstellung zum Skandal-Artikel: »Auch die Westdeutsche Allgemeine Zeitung betreibt seit neuestem mit Macht die famose Schädlingsbekämpfung. Sie präsentiert dem kerngesunden Volksempfinden die Songtage als ›Revoluzzerfestival‹ von langsamdenkenden, stunksüchtigen Freibiertrinkern, Hinternkneifern, Busenfummlern, Rabauken, die mit Behagen in reinen Sauereien in der Kloake herumrühren.«

      Rauschen im Blätterwald

      Nach dem Ende der Songtage ist in vielen deutschen Blättern zwischen den Zeilen ein Aufatmen zu lesen. So meldet die Kölnische Rundschau am 3. Oktober 1968 erleichtert: »Die Revolution fand nicht statt. Songs und Sex, Rock und Schock, zum Teil glänzende Musik, zum Teil unverständliches Gestammel. Doch das Protestgeschrei der Interpreten kam beim Publikum nicht an. Das wollte sehen, aber nicht handeln.« Die Feuilletons der übrigen Bundesrepublik gestehen dem Proletariat an der Ruhr die Kulturrevolution ohnehin nicht zu. Ein »Monstrum faden Rummels«, urteilt die Frankfurter Allgemeine Zeitung, eine »gigantische Massierung des Mittelmäßigen«, sieht der Spiegel. Die Ruhr Nachrichten wollen beim Abschluss-Happening gar Rauschgiftkonsum, Schlägereien und sexuelle Ausschweifungen beobachtet haben. Die Songtage werden als »Sauerei in einem Schweinestall« diffamiert. Horst Stein:

      »Es war schon toll, was nachher in der Presse lief. Später wurde gesagt, draußen an den Seitengängen hätte ein Paar öffentlich Sex gehabt, und alle wären darum herumgestanden und hätten geklatscht. Diejenigen, denen diese ganze Veranstaltung nicht gepasst hat, haben dafür gesorgt, dass dieser Artikel durch die gesamte Presse ging.«

      Die Angelegenheit wird vom Jugendschutz untersucht, die Staatsanwaltschaft eingeschaltet. Schließlich schläft die Sache ein, doch »der politische Teil, die Protestsongs gingen in diesem Rummel unter«, meint Stein. »Dass eine Stadt unzensiert ein solches Festival veranstaltet hat, bei dem die berüchtigten Kommunen aus Berlin mit dabei waren, das hat auf einmal überhaupt nicht mehr gezählt.«

      Nachwehen

      Die Essener Songtage bleiben – abgesehen von einer kleineren Jubiläumsveranstaltung im Jahre 2003 – ein einmaliges Ereignis. Nach den Ausschreitungen gegen den Oberbürgermeister gibt es für nicht-kommerzielle Festivals von Seiten der Stadt keine Unterstützung mehr. Angeregt durch das Festival werden jedoch die Forderungen an die Jugendarbeit überall lauter.

      Teile der Subkulturszene wiederum zeigen sich enttäuscht darüber, »dass der kritiklose Konsum aus dem kommerziellen Showgeschäft bedenkenlos übernommen wurde«, wie es der Kollektiv-AStA der Ruhr-Universität gegenüber der Bochumer Studentenzeitung formuliert. Die Musikbranche hingegen hat eine Marktlücke entdeckt: Rockfestivals. Bereits im Folgejahr geht das erste »Pop- und Blues-Festival« über die Bühne der Grugahalle. Eine reine Kommerzveranstaltung. Auch das Geschäft mit dem Protest wird bei den IEST’68 vollends erschlossen: Che-Guevara-T-Shirts, Marx-Aufkleber und Anti-Bild-Poster gehören von nun an zum Grundsortiment der fliegenden Händler. Die Industrie beginnt, die Subkultur zu schlucken.

TEIL III: Goldenes Zeitalter

      7. »Deutschlands eigene Popmusik«

      »Es war wichtig, eine eigene Popmusik zu haben, denn es ging schließlich um unsere Identität. Es ging wirklich darum, die Pop- und Rockmusik neu zu erfinden, und zwar für uns, mit unseren Interessen und Fähigkeiten.«

      – Othmar Schreckeneder –

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