Erich Auerbach

Gesammelte Aufsätze zur romanischen Philologie – Studienausgabe


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seiner rechten Erben; und aus ihrem, der Armut Schoß steigt seine herrliche Seele empor, um in ihr Reich zurückzukehren; für den Leib wünscht er keine andere Bahre als eben den Schoß der Armut. Das Ganze klingt aus in eine starke rhythmisch-rhetorische Bewegung, die zu der Anklage gegen die späteren Dominikaner überleitet; Thomas fordert seinen Hörer DanteDante auf, an der Größe Franzens die des anderen Führers, des DominicusDominicus, Hl. zu ermessen, der den Orden, dem Thomas selbst angehörte, gegründet hat: Pensa oramai qual fu colui …

      Ohne Zweifel ist paupertas eine AllegorieAllegorie. Und doch hätten alle konkreten Einzelheiten des armen Lebens – wie sie etwa das Sacrum Commercium aufzählt – nicht den gleichen energischen Schauder hervorgerufen wie die hier mit wenigen Worten, aber eindringlich herausgearbeitete Vermählung mit einem alten, häßlichen und verachteten Weibe. Die Bitterkeit, das Widrige, körperlich und moralisch Abstoßende einer solchen Vereinigung zeigt die Größe des heiligen Entschlusses in voller sinnlicher Kraft; sie zeigt auch die dialektische Wahrheit, daß nur Liebe fähig ist, diesen Entschluß zu verwirklichen. Im Sacrum Commercium wird ein Festmahl gefeiert, bei dem sich nacheinander herausstellt, daß die Brüder nur ein halbes irdenes Gefäß haben, um sich die Hände zu waschen, kein Tuch, um sie zu trocknen, nur Wasser, um das Brot hineinzutauchen, nur wilde Kräuter, um sie zum Brote zu essen, kein Salz, um die bitteren Kräuter zu salzen, kein Messer, um sie zu reinigen und das Brot zu schneiden. Bei dieser Aufzählung und Ausmalung wird man einen gewissen Überdruß nicht ganz unterdrücken können; es wirkt pedantisch, kleinlich und gesucht. Schon anders ist es, wenn von einem einzelnen dramatischen Akt des Armutswillens berichtet wird, wie sie sich vielfach in der Legende des Heiligen finden; etwa von der Szene, wie er die Brüder in Greccio durchs Fenster an einem allzu schön geschmückten Tisch essen sieht: er leiht sich Hut und Stab eines Armen, geht laut bettelnd an die Tür und bittet als armer Pilger um Einlaß und Speise; als die erstaunten Brüder, die ihn natürlich erkennen, ihm den verlangten Teller geben, setzt er sich damit in die Asche und sagt: modo sedeo ut frater minor. Das ist eine Szene, die das eigentümlich Ergreifende seines Auftretens schön ausdrückt, aber doch nicht die ganze Bedeutung seines Lebens. Dazu wären viele Anekdoten ähnlicher Art nötig gewesen, deren jede einen Stein zu dem Ganzen beigetragen hätte; das hat die biographische und legendäre Überlieferung geleistet, in der Komödie war dafür kein Raum. Und es war auch nicht ihre Aufgabe. Die Anekdoten der Legende waren jedermann bekannt; mehr als das, Franz von AssisiFranz v. Assisi im Ganzen war längst ein festes, abgeschlossenes Bild im Bewußtsein aller Zeitgenossen. Anders als bei manchen anderen, weniger bekannten oder stärker umstrittenen Personen, die in der Komödie erscheinen, hatte DanteDante hier eine fest umrissene Gestalt als Gegenstand, und seine Aufgabe war, sie so darzustellen, daß sie, ohne an Konkretheit zu verlieren, in dem größeren Zusammenhang ihrer Bedeutung sichtbar wurde. Es mußte wohl das Konkrete der Person des Heiligen erhalten bleiben, aber nicht als eigentliche Absicht der Darstellung, sondern sich einfügend in die Ordnung, in die jene Person von der Vorsehung hineingestellt war; es mußte das Persönlich-Konkrete des Heiligen seinem Amt untergeordnet werden und nur aus dem Amt hervorleuchten. Darum schrieb DanteDante nicht eine Begegnung mit dem Heiligen, in der sich etwa dieser in einer ihm eigentümlichen Weise gezeigt oder geäußert hätte, sondern eine Vita, ein Heiligenleben; die große Bedeutung, die DanteDante der Wirksamkeit beider Gründer der BettelordenBettelorden zuschreibt, konnte er kaum durch ihren eigenen Mund schildern lassen; er läßt sie durch die beiden großen Kirchenlehrer, die aus den Orden hervorgegangen sind, durch Thomas und BonaventuraBonaventura darstellen. In beiden Viten ist die Person dem Amt oder vielmehr der Sendung, zu der sie berufen waren, untergeordnet. Bei dem cherubisch weisen DominicusDominicus, Hl., dessen Amt Predigt und Lehre war und dessen Person sich an volkstümlicher Wirkung nicht mit der des seraphisch glühenden Franciscus vergleichen konnte, tritt das eigentlich Biographische noch weit mehr zurück, und an seine Stelle tritt eine Fülle von Bildern: Bräutigam des Glaubens, Gärtner Christi, Winzer am Weinberg, Kämpfer für den Samen der heiligen Schrift, Sturzbach über die Äcker der Ketzer, Rad am Streitwagen der Kirche. Das alles sind Sinnbilder für das Amt. Die vita Francisci ist weit lebensnäher, aber auch sie steht unter der Führung des Amtes: hier ist es nur ein einziges durchgeführtes Bild, das der Hochzeit mit der Armut, das zugleich dem Leben seine ständige Form gibt und es unter das Zeichen des Amtes stellt. Das Amt ist also auch in der Biographie Franzens entscheidend, das Konkrete des Lebens hat sich unterzuordnen, und eben dazu dient die Allegorie der Armut: sie bringt in einem die Mission des Heiligen und das eigentümlich Atmosphärische seiner Person, dies letztere mit äußerster Intensität, doch immer im Zeichen des Amtes; so wie es durch Franz selbst gegeben war, dessen starke und hinreißende persönliche Konkretheit niemals frei umherschweifte (vaneggiava), sondern sich ganz in sein Amt ergoß. «Franzisce», so spricht Gott in einem deutschen Passional4 zu dem Heiligen, «nimm die bitteren Ding für die süßen und verschmäh dich selber, daß du mich bekennen magst.» Nimm die bitteren Ding für die süßen … Gibt es wohl ein bittereres Ding als die Vereinigung mit jenem Weibe? Aber er nahm es, wie DanteDante zeigt, für ein süßes. Alle bitteren Dinge sind in dieser Vereinigung zusammengefaßt, alles, was an Bitterkeit und Selbstverachtung auszudenken wäre, liegt darin beschlossen, samt der Liebe, die stärker ist als alles Bittere, über alle Süße süß und Bekenntnis Christi.

      Gewiß ist paupertas eine AllegorieAllegorie; aber sie wird nicht als solche eingeführt, geschweige denn beschrieben; wir erfahren nichts über ihr Aussehen, nichts über ihr Kleid, wie das sonst bei Allegorien üblich ist; selbst ihren Namen erfahren wir nicht sogleich. Zunächst hören wir nur, daß Franciscus ein Weib gegen die Meinung aller Welt liebt und sich mit ihr vereinigt; ihr Aussehen wird uns nur indirekt, aber um so eindringlicher, dadurch deutlich, daß alle Welt sie flieht wie den Tod und daß sie seit sehr langer Zeit verlassen und verachtet auf einen Liebhaber wartet. Sie spricht auch nicht, wie im Sacrum Commercium, oder wie die Allegorien Mangel, Schuld, Sorge und Not im letzten Akt des zweiten Teils von Goethes Faust; sie ist nur die stumme Geliebte des Heiligen, mit ihm auf noch viel engere und eigentlichere Art verbunden als die Sorge mit Faust. So kommt das Lehrhafte, welches in einer Allegorie liegt, gar nicht als lehrhafte Mitteilung zum Bewußtsein, sondern als wirklicher Vorgang. Als Weib des Franciscus steht die Armut in der konkreten Wirklichkeit; da aber Christus ihr erster Gatte war, so ist die konkrete Wirklichkeit, um die es sich handelt, zugleich Teil eines großen weltgeschichtlichen und dogmatischen Zusammenhangs. Paupertas verbindet Franciscus mit Christus, sie begründet die Stellung des Heiligen als imitator Christi. Unter den drei Motiven, die in unserem Text auf die Nachfolge hinweisen – Sol oriens, mystische Hochzeit, Stigmatisation – ist das zweite, die mystische Hochzeit, insofern das wichtigste, als aus ihm die Begründung für die beiden anderen und für die Stellung Franzens überhaupt herzuleiten ist. Als zweiter Gatte der Armut ist er Nachfolger oder Nachahmer Christi.

      Christi Nachfolge oder Nachahmung ist ein durch viele Stellen des Neuen TestamentsNeues Testament begründetes, allen Christen gesetztes Ziel. In den ersten Jahrhunderten der kämpfenden Kirche, durch die Blutzeugenschaft der Märtyrer, ergab es sich, daß die Nachfolge nicht nur moralisch in der Befolgung der Gebote und Nachahmung der Tugenden, sondern auch existentiell, durch Erleiden des gleichen oder eines ähnlichen Martyriums geleistet wurde. Derart existentielle Formen der Nachfolge Christi, der Nachahmung seines Schicksals, sind auch nach dieser Epoche immer wieder erstrebt worden; sogar der Heldentod im Kampf gegen die Ungläubigen wurde als eine Form der Nachfolge empfunden. In der MystikMystik des 12. Jahrhunderts, vor allem wohl durch Bernhard von ClairvauxBernhard v. Clairvaux und seine cisterziensischenCisterzienser Schüler, bildete sich eine ekstatische Gesinnung, die durch Versenkung in das Leiden Christi, im wesentlichen also kontemplativ, eine existentielle Nachfolge des Heilands zu erreichen versuchte, und in der die innere Erfahrung der Passion, unio mystica passionalis, als höchste Stufe der kontemplativen Versenkung angesehen wurde. Franz von AssisiFranz v. Assisi ist insofern ein Fortsetzer der cisterziensischen Passionsmystik, als auch in seiner Gestalt, ja in ihr am stärksten, die Erfahrung der Passion als ultimo sigillo erscheint; aber der Weg dahin ist weit mehr als bei den CisterziensernCisterzienser aktiv und lebensmäßig – nicht in erster Linie auf Kontemplation, sondern auf Armut und Demut, auf der Nachahmung des armen und demütigen Lebens Christi ist die Nachfolge gegründet. Franz gab der mystischen Vergeistigung der Nachfolge eine unmittelbar auf der Schrift beruhende,