ist der Künstler der Ausstellung, die aktuell im Lichthof und im Erdgeschoss des Gropius Baus zu sehen ist. Und neben ihm sitzt Emanuele Coccia, Philosoph und Professor in Paris sowie Autor von Die Wurzeln der Welt. Eine Philosophie der Pflanzen. Als Philippe mit seinen Büchern auf mich zukam, war ich besonders von deinem Buch Das Gute in den Dingen. Werbung als moralischer Diskurs fasziniert. Es ist ein kleines Buch, das eine seltsame Perspektive auf den Kapitalismus wirft, speziell darauf, wie dieses System Moral schafft, indem es Werbung macht. Bevor wir über dein neues Buch und über die Arbeiten von Philippe sprechen, welche Idee steckt hinter Das Gute in den Dingen?
Emanuele Coccia:
Von Gegenständen über Pflanzen zu Menschen: Das Buch geht von dem Ort aus, an dem Werbung normalerweise erscheint, nämlich an Mauern, die wir sehen, und die eigentlich während der gesamten Geschichte – zumindest der europäischen Zivilisation – der Ort waren, an dem die Stadt ihrer eigenen Stimme Ausdruck verliehen hat. Formal geht es um ethische Systeme, um Götter und Geschichte, um die Pest und die Toten. Die Frage, die mich beim Schreiben begleitete, war: Was bedeutet es, dass auf denselben Flächen, auf die eine Stadt normalerweise ihre eigene Vorstellung von ethischen und moralischen Grundsätzen projiziert, jetzt in gewisser Weise nur noch Bilder von Gebrauchsgegenständen zu sehen sind? Die Werbung ist nicht nur ein kommerzielles Unternehmen. Mein Gedanke war, dass sie etwas Moralisches und Ethisches mit sich bringt: Die Moral ist in den Dingen. Darum ist es so wichtig, die Idee aufzugeben, Objekte zu produzieren. Eine besondere Eigenschaft von Philippes Kunst ist, dass du von Anfang an gesagt hast: „Ich betrachte mich nicht als Objektproduzent.“ Für Philippe ist klar, dass die zentrale Geste der Kunst nicht darin besteht, Objekte zu produzieren, sondern das Objekt zu installieren. Die Ausstellung ist in gewisser Weise ein Medium. So auch die Ausstellung hier im Gropius Bau.
Philippe Parreno:
Diese Arbeitsweise war nicht nur formal begründet, sondern hat eigentlich bei der Tatsache begonnen, dass ich mit anderen Künstler*innen zusammenarbeite – wir arbeiten immer in Kooperationen –, und wir glauben, dass es mehr um das Projekt geht als um die Objekte. Es geht darum, zusammen Ideen zu projizieren, und da wir Künstler*innen sind oder zu sein versuchen, entwickelte sich aus diesem Projekt eine Reihe von Ausstellungen. Aber es war ein Projekt, das auf objektbasierter Entropie fußte. Das lag daran, dass wir entschieden hatten, jede der Ausstellungen einzigartig und singulär auftreten zu lassen, sodass jede auf einen so speziellen Kontext und Inhalt reagieren würde, dass man sie kein zweites Mal produzieren kann. Und sie waren Ergebnisse eines Gesprächs zwischen den Akteur*innen der Ausstellung. Innerhalb dieser Projekte gab es zwar auch einige Objekte, die jedoch unklar, undefiniert waren, also nicht wirklich als solche gekennzeichnet. Ich meine damit, dass sie in einer komplexen Beziehung zu anderen Objekten standen, sodass keine klar benennbare Grenze zwischen den einzelnen Objekten gezogen werden konnte. Es ging von Anfang an immer um die Beziehung zwischen Dingen und Menschen.
TO:Philippe, du hast ein besonderes Verständnis von den Dingen entwickelt – und nennst sie Quasi-Objekte. Einerseits existieren sie physisch und wirken passiv, andererseits entwickeln sie ein Eigenleben, sobald sie Teil des menschlichen Verhaltens werden, das sie stark beeinflussen. Mit dieser Dimension beschäftigt sich auch dein Text The Speaking Stone. Das Quasi-Objekt, zum Beispiel dieser Stein, den wir in der Ausstellung zeigen, entwickelt eine Sprache, weil es eine Art Skript im Verhalten der Menschen aktiviert. Wie zeigt sich das in deiner Ausstellung?
PP:Das Quasi-Objekt ist ein Konzept, das ich von dem französischen Philosophen Michel Serres übernommen habe, der in seinem Buch Der Parasit eine Quasi-Objekt-Theorie entwickelt, in der es keine Objekte und Subjekte gibt, sondern ausschließlich kontextbezogen jemand zum Subjekt durch ein Verhalten bestimmt wird. Ich fand es nützlich als eine Form der Terminologie, um zu definieren, was ein Objekt ist und wann es unvollständig ist. Man kann also sagen, dass ein Objekt nur dann vollständig ist, wenn es benutzt oder aktiviert wird. Ein einfaches Beispiel ist der Fußball: Wenn man 22 Leute auf einem Platz ohne Ball versammelt, hat man noch kein Spiel. Und ohne Spiel kann man auch vom Ball noch nicht als Objekt sprechen. Erst wenn man den Spieler*innen den Ball gibt und er zwischen ihnen hin- und herläuft, wird es ein Spiel. Der Ball bringt die Handlung als Produzent des Spiels voran – und indem er gespielt wird, wird er als Objekt definiert. Ein anspruchsvolleres Beispiel für Objekte und Rituale ist der Körper.
EC:Die Art und Weise, wie du das Konzept des Quasi-Objekts verwendest, bringt noch einen anderen Aspekt ins Spiel, der äußerst interessant ist. Die Tatsache, dass es aktiviert werden muss. Das Beispiel des Fußballs zeigt genau das. Und es erinnert wiederum daran, was du vorhin sagtest: Dein Ansatz sei es, Projekte mit Menschen zu machen, nicht nur mit Objekten. Objekte, die in gewisser Weise ein Vorwand sind, um etwas viel Komplexeres zu schaffen, in das die Menschen ganzheitlich involviert sind.
PP:Die Zusammenarbeit mit all den Leuten war für mich sehr wichtig. Anfangs ging es darum, schneller zu sein. Wenn man Ideen austauscht, produziert man sie auch, während man spricht. Und dann hängt das Interesse auch mit den 1990er-Jahren zusammen: Gruppenausstellungen waren als Konzept für mich etwas Fantastisches, denn sie waren auf eine Art und Weise wie Filme, in der Künstler*innen mit anderen Künstler*innen und Objekten zusammen etwas aufführten. Ich erinnere mich, dass ich viel Zeit mit Pierre Joseph verbracht habe, der etwas sehr Interessantes feststellte: Wenn wir uns über eine Idee oder ein Projekt unterhielten, haben wir eigentlich in dem Moment angefangen, wo ich mir vorstellen konnte, was er beschreibt und wie es weitergeht. Deshalb musste er es dann nicht mehr tun, denn wenn es existierte, ohne dass ich es sah, dann war es damit real. In diesem Fall sagte er im Laufe unseres Gesprächs, dass es existiert. Die Dinge schweben also mit unterschiedlicher Intensität um diese virtuelle Idee herum. Sie können sowohl auf der virtuellen Ebene existieren als auch in der Vorstellung oder in der Realität. Sie oszillieren zwischen diesen drei Instanzen.
TO:Wenn ich mich an dieses Buch von Michel Serres erinnere, ist der Parasit eine Metapher für eine Person, die nur eine Beziehung zu Beziehungen hat. Andere Personen haben eine Beziehung zu Dingen oder Objekten, aber auch zu Ideen oder Ideologien. Im Sinne von Serres verlieren immer die Menschen, die an Dinge glauben und eine Loyalität zur Sache an sich haben, wenn sie in einen Konflikt mit Menschen geraten, die sich völlig anders verhalten. Ein Parasit ist nur der Beziehung selbst treu. Ich denke, das ist auch eine Entwicklung in deiner Arbeit: Du arbeitest mit Objekten wie mit Schauspieler*innen und inszenierst sie in einem Beziehungsfeld. Und dieses Feld ist wichtiger als die Objekte selbst. Damit gibst du der Ausstellung eine eigene Existenz. Es geht um mehr als die bloße Anordnung von Objekten.
EC:Das Quasi-Objekt ist durch seine Gleichzeitigkeit, Subjekt und Objekt zu sein, eine außergewöhnliche Veranschaulichung der extrem unterschiedlichen Stadien; es ist eine Art Produkt, aber zugleich eine Persönlichkeit. Aber diese Persönlichkeit sucht nach einer Aktivierung durch andere Menschen. Du lässt zum Beispiel in deiner Arbeit mit einem Manga-Charakter wie Ann Lee, den du von einer japanischen Firma gekauft hast, unterschiedliche Künstler*innen dieselbe Person reaktivieren. Das ist wirklich eine perfekte Veranschaulichung der poetischen Aussage, dass das Kunstwerk ein Werk in Beziehung ist, weil es beispielsweise ohne diese Beziehung zu anderen Künstler*innen nicht existiert. Du sagtest auch, dass es für dich wichtig war, das Leben eines Bildes oder das Streben eines Bildes zu überprüfen. Das ist einer der auffälligsten Aspekte deiner Kunst: Du zeigst immer wieder, wie schwierig es ist, eine Grenze zwischen Leben, Zeichen, Lebewesen und Objekten zu ziehen. In gewisser Weise ist das Werk auch eine lebende Person, nur nicht in menschlicher Form: diese Idee, dass das Leben etwas Schwebendes ist, das verschiedene Stadien und Körper durchläuft. Wir reinkarnieren von Zeichen zu Zeichen, von Körper zu Körper. Und die Kunst muss diese Fähigkeit des Lebens zeigen. Und im Fall der aktuellen Ausstellung ist es die Tatsache, dass alles vorbestimmt wird, der Rhythmus, der Atem, die Lichter, alles wird von der Hefe in diesem zentralen Bioreaktor entschieden. Die Hefe ist in diesem Raum das Gehirn von allem – das aber auch von den Menschen, die vorbeikommen, beeinflusst wird.
TO:Ich erkenne einen Zusammenhang zwischen euren Interessen: Ihr habt beide in eurer Arbeit den Versuch unternommen, ein Verständnis von animierten oder animierenden Objekten zu entwickeln, in denen sich das Leben in unterschiedlichen Körpern – technischen genauso wie pflanzlichen oder künstlerischen – realisiert und einen Systemzusammenhang herstellt, der wichtiger