Klaus Behling

Leben nach der DDR


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MfS/AfNS« im Einigungsvertrag keine Berücksichtigung gefunden hatte. Im Gegensatz zur DDR wollte die Bundesrepublik die Akten ins Bundesarchiv überführen und einer dreißigjährigen Sperrfrist unterstellen. Dagegen protestierten DDR-Bürgerrechtler mit einer erneuten Besetzung der ehemaligen Stasi-Zentrale und einem Hungerstreik. Am 18. September 1990 vereinbarten Günther Krause und Wolfgang Schäuble eine Zusatzvereinbarung zum Einigungsvertrag, die festlegte, dass »der gesamtdeutsche Gesetzgeber die Grundsätze, wie sie in dem von der Volkskammer am 24. August 1990 verabschiedeten Gesetz … zum Ausdruck kommen, umfassend berücksichtigt«. Sie wurde als »Vereinbarung vom 18. September 1990« Teil des »Einigungsvertragsgesetzes«.

      In der Volkskammer sagten 299 Abgeordnete »ja«, 80 Abgeordnete »nein«, und es gab 1 Enthaltung. Im Bundestag votierten 440 Parlamentarier mit »ja« und 47 mit »nein« bei 3 Enthaltungen.

      Am 21. September 1990 stimmte der Bundesrat dem Vertrag zu, am 23. September unterzeichnete ihn Bundespräsident Richard von Weizsäcker.

      Ostberlin, 20. September 1990, im Haus der Parlamentarier: Namentliche Abstimmung der Abgeordneten der Volkskammer zum »Einigungsvertragsgesetz«. An der gläsernen Abstimmungsurne gibt der Vorsitzende der PDS, Gregor Gysi, sein Votum ab. (picture alliance / dpa – Report / Wolfgang Kumm)

      Nach dem Inkrafttreten wurde der Einigungsvertrag mehrfach geändert, zuletzt 2016, indem überflüssig gewordene Abschnitte gestrichen wurden.

      Heute ist der Blick auf den Einigungsvertrag für manche zwiespältig. Eine grundsätzliche Kritik kommt allerdings nur noch von jenen, die die Einheit Deutschlands ablehnen. Der letzte DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière zog auch nach zwanzig Jahren eine durchweg positive Bilanz: »Manches, was die Leute beklagen: ›Ja das steht im Einigungsvertrag und ist falsch‹, ist spätere bundesdeutsche Gesetzgebung, was wir gar nicht gemacht haben. Aber man hat es sich so angewöhnt, alles, was nicht klappt, dem Einigungsvertrag anzulasten. Man sollte sich ihn ansehen, um festzustellen, dass die Anerkennung der Berufsabschlüsse der Ostdeutschen im Einigungsvertrag geregelt ist, dass ein großer Teil ihrer sonstigen zivilrechtlichen Ansprüche, Eigentumsansprüche und so weiter geregelt ist. Ich halte ihn nach wie vor für ein Meisterwerk.«

      Applaus von DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière (Mitte): In Berlin, im Kronprinzenpalais, besiegeln Regierungsmitglieder beider deutscher Staaten am 31. August 1990 den Beitritt der DDR zur BRD. Die beiden Verhandlungsführer des Einigungsvertrags, Wolfgang Schäuble (links) und Günther Krause (rechts), tauschen die von ihnen unterzeichneten Urkunden. Das Vertragswerk umfasst rund 900 Seiten. (picture alliance / dpa – Bildarchiv / Peter Kneffel)

      Wo blieb der »Rententopf«

      der DDR?

      Die Frage ist einfach zu beantworten: Es gab keinen »Rententopf«, denn die Renten in der DDR wurden genauso wie auch im Westen im Umlageverfahren finanziert. Die Arbeitenden zahlten für die Ruheständler.

      Die Sozialversicherung der DDR bot allen Bürgerinnen und Bürgern Schutz bei Alter, Invalidität und Tod. Seit 1971 ergänzte sie die Freiwillige Zusatzrentenversicherung (FZR), die in zwei Ausbaustufen Bruttoentgelte von mehr als 600 Mark durch Zusatzbeiträge rentenwirksam werden ließ. Etwa 85 Prozent der Berechtigten schlossen die FZR ab.

      Mit der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion wurde die Angleichung an bundesdeutsches Rentenrecht nach der Einheit festgelegt. Für Frauen stieg das Renteneintrittsalter von sechzig auf fünfundsechzig Jahre, DDR-Zusagen über die künftige Rentenhöhe – sie lagen bei bis zu 90 Prozent des günstigsten Nettoverdienstes – wurden nicht übernommen. Zu den Zusatz- und Sonderversorgungssystemen hieß es: »Die bestehenden Zusatz- und Sonderversorgungssysteme werden grundsätzlich zum 1. Juli 1990 geschlossen.« Es gab siebenundzwanzig Zusatzversorgungssysteme für verschiedene Berufsgruppen und Sonderversorgungssysteme für die einstigen »bewaffneten Organe«. Zu beiden Fällen hieß es: »Bisher erworbene Ansprüche und Anwartschaften werden in die Rentenversicherung überführt, wobei Leistungen aufgrund von Sonderregelungen mit dem Ziel überprüft werden, ungerechtfertigte Leistungen abzuschaffen und überhöhte Leistungen abzubauen.«

      Die neue Rentenversicherung unterschied nun »Bestandsrentner«, die per 31. Dezember 1991 Rente empfingen, »Zugangsrentner«, die zwischen dem 1. Januar 1992 und dem 30. Juni 1995 Rente beanspruchen konnten, und »Neurentner«, die danach das Rentenalter erreichten.

      Am 28. Juni 1990 erließ die letzte DDR-Regierung ein Rentenangleichungsgesetz. Es beinhaltete unter anderem für »Bestands- und Zugangsrentner« eine Zahlbetragsgarantie. Der Vertrauensschutz für »Zugangsrentner« war zeitlich nicht befristet.

      Laut Einigungsvertrag vom 31. August 1990 sollten Einzelheiten der Rentenversicherung in einem späteren Bundesgesetz geregelt werden. Es schrieb als Datum für den Vertrauensschutz der »Zugangsrentner« dann den 30. Juni 1995 fest. Einen Kürzungsgrund bei Zusatz- und Sonderversorgungssystemen sah das neue Gesetz, »wenn der Berechtigte oder die Person, von der sich die Berechtigung ableitet, gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen oder in schwerwiegendem Maße ihre Stellung zum eigenen Vorteil oder zum Nachteil anderer missbraucht hat«.

      Anfang der 1990er Jahre herrschten unterschiedliche Auffassungen darüber, ob der Einigungsvertrag wie ein einfaches Bundesgesetz behandelt werden dürfe, das der Gesetzgeber jederzeit verändern kann, oder nicht. Auch über den Zeitpunkt des Inkrafttretens der Eigentumsgarantie für vormalige DDR-Bürger, die im Grundgesetz verankert ist, wurde kontrovers debattiert.

      Vor diesem Hintergrund entstand das Rentenüberleitungsgesetz vom 25. Juli 1991. Es begrenzte den Zahlbetrag der Renten auf maximal 2.010 DM im Monat, wenn das vormalige DDR-Versorgungssystem nicht als »systemnah« eingestuft wurde. Zur »Systemnähe« legte der Gesetzgeber fest, dass bei früherer Ausübung leitender Funktionen, einer Tätigkeit als Richter oder Staatsanwalt oder in einer Berufungs- oder Wahlfunktion im Staatsapparat eine Begrenzung des für die Rentenhöhe zu berücksichtigen Arbeitsentgelts von maximal des 1,4-fachen des DDR-Durchschnitts angerechnet würde. Somit gab es pro Berufsjahr für Betroffene dieser Regelung bei 1,4-fachem DDR-Durchschnittsverdienst nur einen Rentenpunkt. Das hieß zum Beispiel: Wer im Jahr 1980 in einer als »systemnah« ausgewiesenen Funktion 1.409,33 Mark verdiente, wurde denen gleichgestellt, die, ohne dem Staat oder der SED besonders verbunden gewesen zu sein, genau den Durchschnitt von 1.006,67 Mark verdienten. Beide bekamen je einen Rentenpunkt.

      Für den Zahlbetrag aus dem MfS-Sonderversorgungssystem wurde die Anerkennung von 0,7 Prozent des DDR-Durchschnittsverdienstes festgelegt. Daraus entstand für alle MfS-Angehörigen, unabhängig von ihren Einzahlungen und von der vormaligen Gehaltshöhe, eine Einheitsrente von 802 DM.

      Auf die Übergangsregelungen folgte eine weitere Form der Rentenbegrenzung. Wie im Westen auch üblich, wurde eine Beitragsbemessungsgrenze beim anrechenbaren Jahreshöchstverdienst festgelegt. Dadurch waren maximal noch 1,8 Rentenpunkte pro Arbeitsjahr erreichbar.

      Gegen die Kürzungen aus politischen Gründen gab es zahlreiche Klagen vor Gericht. Der Grund: Der Gesetzgeber unterstellte, dass die höheren DDR-Gehälter nicht wegen der erbrachten Leistung, sondern aufgrund von – nicht näher definierten – Privilegien gezahlt wurden.

      Im Januar 1993 entschied das Bundessozialgericht dazu zugunsten der Kläger. Das Rentenüberleitungsgesetz musste geändert werden. Deshalb entstand nun das »Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetz« vom 24. Juni 1993. Die neue Regelung nahm verschiedene Rentenkürzungen zurück. Die bisherige generelle Kappungsgrenze der Rente wurde von 2.010 DM auf 2.700 DM erhöht. Davon profitierten DDR-Besserverdiener, wenn sie nicht den Einkommensgrenzen der »staatsnahen« Funktionen unterlagen. Auch dafür galt nun eine neue Rechnung. Betrug das persönliche Arbeitsentgelt nicht mehr als das 1,6-fache des DDR-Durchschnitts, wurden jetzt 1,4 Rentenpunkte angerechnet.

      Auch diese Regelung wurde von Betroffenen vor Gericht angefochten. Nach weiteren Prozessen erfolgte mit dem »Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes«