Klaus Behling

Leben nach der DDR


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erster Schritte auf dem Weg in eine Marktwirtschaft konnte die Treuhand bis zum 18. März 1990 kaum umfänglich als »Umbauagentur« wirken. Vor der Veränderung der dazu ungeeigneten Struktur stand für die neue Regierung unter der Führung der CDU zuerst ein neuer politischer Auftrag der Anstalt. Das am 17. Juni 1990 verabschiedete »Gesetz zur Privatisierung und Reorganisation des volkseigenen Vermögens« formulierte als »Absicht« der Treuhandanstalt:

      »• die unternehmerische Tätigkeit des Staates durch Privatisierung so rasch und so weit wie möglich zurückzuführen,

      • die Wettbewerbsfähigkeit möglichst vieler Unternehmen herzustellen und somit Arbeitsplätze zu sichern und neue zu schaffen,

      • Grund und Boden für wirtschaftliche Zwecke bereitzustellen.«

      Dieser Schwenk um hundertachtzig Grad entsprach dem Wunsch nach einer schnellen Einheit. Was nach dem Krieg von der Gründergeneration der DDR gern als »Revolution« interpretiert wurde, machte das Treuhandgesetz nun rückgängig. Paragraph 1, Vermögensübertragung, legte fest: »(1) Das volkseigene Vermögen ist zu privatisieren …« Damit wurde die Treuhand, je nach Blickwinkel, für die einen die tatsächliche »Revolution« des Herbstes 1989, für die anderen jedoch zur »Konter­revolution«.

      Zum Treuhanderlös bestimmte Paragraph 5: »(1) Die Einnahmen der Treuhandanstalt werden vorrangig für die Strukturanpassung der Unternehmen … [und] in zweiter Linie für Beiträge zum Staatshaushalt und zur Deckung der laufenden Ausgaben der Treuhandanstalt verwendet.«

      Das sollten künftig Kapitalgesellschaften besorgen. Paragraph 7 legte fest: »(1) Die Treuhandanstalt verwirklicht ihre Aufgaben in dezentraler Organisationsstruktur über Treuhand-Aktiengesellschaften, die nach Anzahl und Zweckbestimmung mit den Aufgaben der Treuhandanstalt die Privatisierung und Verwertung des volkseigenen Vermögens nach unternehmerischen Grundsätzen sichern.«

      Überdies hatte sie die Anpassung an die Wirtschaftsstruktur der alten Bundesrepublik zu schaffen. Paragraph 8: »(1) Die Treuhand-Aktiengesellschaften haben unter Hinzuziehung von Unternehmensberatungs- und Verkaufsgesellschaften sowie Banken und anderen geeigneten Unternehmen zu gewährleisten, dass in ihrem Bereich folgende Aufgaben unternehmerisch und weitestgehend dezentral gelöst werden:

      • Privatisierung durch Veräußerung von Geschäftsanteilen oder Vermögensanteilen,

      • Sicherung der Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen,

      • Stilllegung und Verwertung des Vermögens von nicht sanierungsfähigen Unternehmen oder Unternehmensteilen.«

      Damit war eine Konstruktion gefunden, mit der einerseits die DDR-Wirtschaft kompromisslos an die der Bundesrepublik angepasst wurde, gleichzeitig aber keine »Staatsholding« entstand. Das verhinderte später die »Durchgriffshaftung«, also das Einstehen des Eigentümers Treuhandanstalt für Fehler. Andererseits »regierte« sie in die ostdeutschen Betriebe hinein, denn jeder Pfennig, den diese brauchten, konnte nur von der Treuhand kommen. Wie eine »Konzernmutter« hielt sie alle Fäden in der Hand, war aber nicht verantwortlich, wenn etwas schiefging.

      Vor diesem Hintergrund relativierte sich der Paragraph 2, Punkt 6, des Treuhandgesetzes: »(6) Die Treuhandanstalt hat die Strukturanpassung der Wirtschaft an die Erfordernisse des Marktes zu fördern, indem sie insbesondere auf die Entwicklung sanierungsfähiger Betriebe zu wettbewerbsfähigen Unternehmen und deren Privatisierung Einfluss nimmt. Sie wirkt darauf hin, dass sich durch zweckmäßige Entflechtung von Unternehmensstrukturen marktfähige Unternehmen herausbilden und eine effiziente Wirtschaftsstruktur entsteht.«

      Festzuhalten bleibt also: In den Monaten vor und dem ersten halben Jahr nach der Einheit dachte man an einen Umbau der DDR-Wirtschaft, nicht an deren Kahlschlag. Lothar de Maizière resümierte dazu im Nachhinein über die Rolle der Treuhand: »Sie hatte ein unerreichbares Ziel.«

      So sahen es die Leute mit dem Geld in der Hand wohl schon früher. Das belegen ihre Aktivitäten. Danach blieb der Treuhand nur noch, ihre Polemik an die Realität anzupassen. Nun hieß es: »Privatisierung ist die beste Sanierung.« Und: Die Anstalt habe drei Aufgaben in der Rangfolge ihrer Bedeutung: »Schnelle Privatisierung – entschlossene Sanierung – behutsame Stilllegung«.

      Waren die »treuen Hände« schmutzig?

      Ja, sagen viele, die Anfang der 1990er Jahre durch die Treuhandaktivitäten ihre Arbeit verloren. Oft kamen sie nie wieder so richtig auf die Beine. Das spüren die Betroffenen heute an ihrer Rente. Ja, sagen auch manche Politiker und verweisen auf den bis heute weitgehend deindustrialisierten Osten. Im Fernsehen sind Berichte über besonders dreisten Betrug zu sehen. Die Darstellung von Treuhandverkäufen ganzer Firmenkomplexe für 1 DM soll illustrieren, dass das alles gar nicht mit rechten Dingen zugehen konnte. Es gibt sogar konkrete Zahlen. Am 17. Januar 1994 informierte Bundesfinanzminister Theo Waigel den Deutschen Bundestag: »In den der Stabsstelle ›Besondere Aufgaben‹ des Direktorates Recht der Treuhandanstalt bisher bekanntgewordenen Fällen von Vereinigungskriminalität beläuft sich der strafrechtlich – nicht betriebs- oder volkswirtschaftlich – relevante Schaden, das heißt der Schaden, der auf tatbestandsmäßigen, rechtswidrigen und schuldhaften Handlungen beruht, an die das Gesetz eine Strafandrohung knüpft und für die ein Anfangsverdacht besteht, auf rund 3 Mrd. DM – Schaden der Treuhandanstalt ca. 1,84 Mrd. DM, Schaden von Treuhand-Unternehmen ca. 961 Mio. DM, Schaden von Dritten ca. 207 Mio. DM. Dank der erfolgreichen Tätigkeit der verschiedenen Kontrollorgane der Treuhandanstalt konnte der tatsächlich eingetretene Schaden allerdings auf rund 300 Mio. DM begrenzt werden.«

      Die Treuhandanstalt (THA) habe mit Kriminalität wenig zu tun, beteuerten hingegen ihre ehemaligen Mitarbeiter. Sie haben sich im »Treuhand Alumni Club e. V.« zusammengeschlossen. Ihr Präsident, Dr. Ken-Peter Paulin, erklärte 2011: »Die Anzahl der ›Fälle‹ mit kriminellem Hintergrund über die gesamte Laufzeit der THA liegt mit weniger als 2 Prozent recht niedrig. Das bedeutet: In über 98 Prozent aller Privatisierungsfälle ist derartiges nicht aufgedeckt worden.« Am 16. März 2011 erläuterte er in der Frankfurter Allgemeinen auch, weshalb Kriminalität in größerem Umfang gar nicht möglich gewesen sei: »Die THA war von Anfang bis Ende ihrer Tätigkeit von vielen Seiten einer beinahe ›umfassenden‹ Kontrolle unterzogen. Unsere Kontrolleure waren: der Verwaltungsrat der THA, zwei Ministerien des Bundes, die Landesregierungen, die Gewerkschaften, das Bundeskartellamt, die EU-Kommission und nicht zuletzt die Presse. Natürlich waren die internen Kontrollen der THA nicht von Anfang an da, aber sie wurden zügig aufgebaut, sobald ihre Notwendigkeit erkannt war. […] So wurden folgende Funktionen aus der Taufe gehoben: Umweltschutz/Altlasten, Recht, Zentrales Beteiligungscontrolling, Prüfung von Unternehmenskonzepten, Koordination Reprivatisierung, um einige zu nennen. Die ursprünglichen Kontrollgremien existierten ohne Diskontinuität weiter. Die THA wurde im Laufe der Zeit immer stärker kontrolliert.«

      Wissenschaftler bemühten sich um eine differenzierte Betrachtung. Dennoch fällten auch sie ein hartes Urteil. Jan Priewe, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, erklärte zum Ende der Treuhand am 31. Dezember 1994: »Es wurde relativ regellos, mitunter willkürlich und manchmal kriminell privatisiert.«

      Die mit Wirtschaftskriminalität befassten Professoren Klaus Boers von der Universität Münster und Hans Theile von der Universität Konstanz wiesen in diesem Zusammenhang auf folgenden Umstand hin: »Die Stabsstelle bearbeitete, meist nach externen oder internen Hinweisen, 3.661 strafrechtlich bedeutsame Vorgänge, unterlag dabei aber keinem Ermittlungs- und Anzeigezwang. In der Regel gerieten Mitarbeiter oder Unternehmen in den Blick, wenn sie im Verdacht standen, die Treuhand strafrechtswidrig geschädigt zu haben. Auf diese Weise wurden der Stabsstelle weit mehr Verdachtsfälle bekannt als der Polizei oder der Staatsanwaltschaft. Dies lag und liegt nicht zuletzt daran, dass sich Mitarbeiter, die einen strafrechtlich relevanten Verdacht hegen, eher an eine Einrichtung des Unternehmens wenden als an die Polizei oder Justiz. Allerdings beruhte letztlich nur ein Drittel der 1.426 die Treuhand betreffenden staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren auf Anzeigen der Stabsstelle. Auch die Anklagequote bewegte sich bei den von der Stabsstelle untersuchten Fällen mit 28 Prozent in einem für Wirtschaftsverfahren üblichen Rahmen.«

      Die Abgeordneten